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So viele Restaurants haben viel unternommen, um coronafest zu sein - nun sollen sie wieder schließen. Ein Trauerspiel, findet unsere Kolumnistin.

© imago images/localpic

Kurz vor dem zweiten Lockdown: Liebes Lieblingslokal, bitte überleb' das!

Corona auf Schritt und Tritt: Man soll doch nur das Haus verlassen für die nötigsten Dinge. Ganz ehrlich? Mein Lieblingslokal ist mehr als nötig. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Hatice Akyün

Jeder von uns hat sein Lieblingslokal, oder? Es ist meistens gar nicht mal das Essen, das einen immer wieder dahinzieht, es sind die Menschen, die man mit dem Lokal verbindet. Die Kellnerinnen und Kellner, der Besitzer, die Besitzerin, die anderen Gäste, mit denen man vielleicht noch nie gesprochen hat, aber trotzdem zunickt, wenn man sich wiedersieht. Es ist dieser Ort mit dem einen Lieblingstisch am Fenster, den man reserviert für besondere Anlässe. Ein Ort, an dem man ein Date hat, ein geschäftliches Essen oder spontan hingeht, weil man keine Lust hat, die eigenen Töpfe zu schwingen.

Mein Lieblingslokal ist in Charlottenburg. Ich saß hier schon verheult vor lauter Liebeskummer, als der Kellner mir wortlos einen Gin Tonic hinstellte. Hier habe ich meine letzten Geburtstage gefeiert, die Zeugnisse meiner Tochter, hier habe ich geflucht, gelacht und geliebt. Ab Montag wird es wie alle anderen Restaurants geschlossen sein. Aber diesmal weiß niemand, ob es nach dem zweiten Lockdown wieder öffnen wird.

Gestern war ich noch mal dort und für Sonntag ist der Tisch schon reserviert. Versuchen, zu retten, was zu retten ist, Beistand leisten, doppelt und dreifach Trinkgeld geben, obwohl ich doch selber schauen muss, wie ich als Soloselbständige durchkomme durch diese Zeit. Aber Familie lässt man auch nicht im Stich, wenn es drauf ankommt.

„Du bist total unvernünftig“, schimpfen meine Freundinnen und Freunde. Man soll doch nur das Haus verlassen für die nötigsten Dinge. Ganz ehrlich? Mein Lieblingslokal ist mehr als nötig. Für meine Seele. Monatelang haben sie unermüdlich jede neue Auflage umgesetzt, waren immer wieder kreativ bei der Einhaltung der Hygieneregeln, aber vor allem haben sie viel Geld investiert in Decken, Stühle, Heizstrahler, Windschutz, damit die Gäste sich hier sicher fühlen konnten. Und das haben wir. Denn jeder war sich der Verantwortung bewusst, sich gegenseitig zu schützen, zu unterstützen.

Ja, es gibt die schwarzen Schafe, aber die waren eine Minderheit. Warum muss die Mehrheit, die alle Auflagen erfüllt, die Zeche zahlen für die wenigen, die sich nicht daran gehalten haben? Mit Kontrollen hätte man die aus dem Verkehr ziehen können. Das nun alle Läden schließen müssen, ist fatal. Für die InhaberInnen, aber auch für uns Gäste. Denn überleben werden womöglich nur die großen Ketten, Lokale ohne Charakter. Verlieren werden dagegen diejenigen Gaststätten, denen die Gäste wichtig sind, nicht der Gewinn.

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Ja, es geht jetzt darum, die Kontakte, wo es geht, so weit wie möglich zu reduzieren, um potenzielle Ansteckungsrisiken zu verhindern. Und die zugesagte staatliche finanzielle Unterstützung könnte einigen helfen, die vier Wochen zu überbrücken. Aber viele haben den letzten Lockdown finanziell noch nicht überwunden, für viele ist der Zuschuss nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Deshalb kann ich verstehen, dass bereits einige Wirte gegen die Sperrstunde vor Gericht gezogen sind. Und viele andere werden es ihnen jetzt nachmachen.

Auf Twitter schrieb jemand, jedes Bußgeld, das von Maskenverweigerern eingenommen wird, sollte an Kunst und Kultur gehen. Gar nicht so eine schlechte Idee, quasi eine Quersubventionierung für alles, was nicht systemrelevant ist, aber ohne das wir emotional sehr arm wären. Man kann nur hoffen, dass auch mein Lieblingsrestaurant Berlins Spirit, in der Krise über sich hinauszuwachsen, verinnerlicht hat, damit wir in vier Wochen die Wiedereröffnung feiern können.

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