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Ehe mit Mutter, Vater und zwei Kindern als einzige Form der Familie? Die Evangelische Kirche in Deutschland zeigt sich - im Gegensatz zur katholischen Kirche - nun noch offener.

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Kurswechsel: Evangelische Kirche lockert ihr Familien-Bild auf

Ehe als einzige Form der Familie? Die Evangelische Kirche in Deutschland zeigt sich - im Gegensatz zur katholischen Kirche - offener: Unverheiratete und homosexuelle Paare gelten in einem nun vorgestellten Papier ebenso als Familie.

Es ist ein Kurswechsel: Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) erweitert ihr Familienbild, das bisher an die Rechtsform der Ehe gekoppelt war. In der neuen Familienschrift „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit“ gelten als Familie generationenübergreifende Partnerschaften, in denen Menschen langfristig Verantwortung füreinander übernehmen und verlässlich und verbindlich miteinander leben. Das schließt auch homosexuelle Paare mit Kind ein und kinderlose Paare, die sich um kranke Angehörige kümmern. „Die Ehe ist eine gute Gabe Gottes, die aber, wie das Neue Testament zeigt, nicht als einzige Lebensform gelten kann“, heißt es in dem 160 Seiten umfassenden Papier, das am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde. Das Dokument weist zum Beispiel auf Jesus Christus hin, der ehelos in der Gemeinschaft der Jünger lebte und die Nachfolge Gottes mehrmals über das Zusammenleben in der Ehe stellte.

„Nicht mehr die Rechtsform steht für uns an erster Stelle, sondern die Inhalte“, sagte der EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider bei der Vorstellung des Dokuments. Das Papier sei aber eine „Orientierungshilfe“ und bewusst kein dogmatisches Lehrschreiben, da man erst einmal die veränderte gesellschaftliche Realität zur Kenntnis nehmen wolle, ohne ihr gleich mit erhobenem Zeigefinger zu begegnen. Natürlich werbe man auch weiterhin für die Ehe und die kirchliche Trauung, sagte Schneider. Die Denkschrift würdigt die Ehe als „besondere Stütze und Hilfe“.

Andere Partnerschaftsformen neben der Ehe wolle man nicht abwerten

Die Ehe schaffe und sichere dauerhaft und folgenhaft die durch ihren Öffentlichkeitscharakter dokumentierte wechselseitige Verantwortlichkeit und Verlässlichkeit, aber auch den Schutz des Schwächeren in der Partnerschaft“. Man nehme aber eben auch wahr, „was es rechts und links von der Ehe an Partnerschaften gibt“, so Schneider. Diese anderen Formen wolle man nicht abwerten. In der Vergangenheit habe die Kirche mit „hoher Normativität“ über Familie und Ehe gesprochen, was zu vielen Leidensgeschichten geführt habe.

Schon Martin Luther erklärte die Ehe als "weltlich Ding"

Anders als in der katholischen Kirche, wo die Ehe als ein unauflösliches Sakrament gilt, habe der Reformator Martin Luther die Ehe zum „weltlich Ding“ erklärt, die von den Partnern gestaltbar sei und gestaltet werden müsse, heißt es in der Denkschrift. „Aus einem evangelischen Eheverständnis kann heute eine neue Freiheit auch im Umgang mit gesellschaftlichen Veränderungen erwachsen - im Umgang mit Geschiedenen genauso wie mit Einelternfamilie oder auch mit gleichgeschlechtlichen Paaren“, betonte Nikolaus Schneider. So soll die Kirche nach Überzeugung der Autoren homosexuellen Paaren, die ihre Partnerschaft „unter den Segen Gottes stellen“ wollen, diesen „nicht verweigern“.

Die neue Orientierungshilfe wurde von einer dreizehnköpfigen Kommission erarbeitet unter Vorsitz der früheren SPD-Familienministerin Christine Bergmann und der Soziologin Ute Gerhard, die jahrzehntelang historische Familienforschung betrieben hat. Vor allem ihrer Mitwirkung ist es zu verdanken, dass die Schrift über einen breiten familienhistorischen Teil verfügt, in dem deutlich wird, dass das heutige Verständnis von „Familie“ erst im 18. Jahrhundert entstanden ist und die bürgerliche Ehe ein Produkt romantischer Vorstellungen des 19. Jahrhunderts ist. Die „Erhöhung“ der bürgerlichen Ehe sei mit der Unterordnung der Frau unter „den Einen“, den Ehemann, einher gegangen. Das christlich-abendländische Eheverständnis und die Lehren von der Ehe als Institution haben bis in die jüngste Vergangenheit dazu gedient, patriarchale Vorrechte des Ehemannes und die ‚Gewalt’ des Vaters über die Kinder zu stützen“, sagte Ute Gerhard bei der Vorstellung der Denkschrift am Mittwoch. „Mit ihrem Kurswechsel öffnet sich die evangelische Kirche nicht nur der gelebten Wirklichkeit der Familien, sie befreit sich und andere auch von Vorurteilen und Abgrenzungen gegenüber denen, die sich aufgrund ihrer Lebensweise in der Kirche nicht verstanden oder ausgeschlossen fühlen.“

Neuer Ethos der Fürsorglichkeit gefordert

Mit dem neuen Papier plädiert die evangelische Kirche zugleich für einen neuen „Ethos der Fürsorglichkeit“ und warnt vor der Ökonomisierung aller Lebensbereiche, die es schon alleine aus Zeitmangel schwer mache, fürsorgliche und verantwortliche Familienbeziehungen zu führen. Zwischen den Zeilen wird in dem neuen Dokument deutlich, dass die Autoren wenig vom steuerlichen Instrument des Ehegattensplittings halten. Sie lehne das Ehegattensplitting ab, „weil es auf einem überholten Ehe-Modell der patriarchalen Ehe beruht“, sagte Soziologin Ute Gerhard am Mittwoch.

Er stelle sich auf „schwierige Diskussionen“ mit der katholischen und der orthodoxen Kirche über die Unterschiede im Familienbild ein, sagte Nikolaus Schneider. In der katholischen Kirche gilt bis heute ausschließlich die Ehe zwischen Mann und Frau als Grundlage dafür, dass Familie gelingt. Auch aus konservativen protestantisch-pietistischen Kreisen gibt es Kritik an dem neuen Familienbild.

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