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Prozess gegen das führende Mitglied des libanesischen Miri-Clans (Archivbild)

© Carmen Jaspersen/dpa

Kurskorrektur in der Asylpolitik: Deutschland ist auf dem Weg zu mehr Realismus

Miri wird abgeschoben, IS-Kämpfer zurückgenommen, der Anwalt Yilmaz S. festgenommen. Das alles fügt sich in ein Bild neuer deutscher Politik. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Den in der Türkei festgenommenen Vertrauensanwalt der Deutschen Botschaft Yilmaz S., das libanesische Clanmitglied Ibrahim Miri und die IS-Kämpfer mit deutschem Pass verbindet auf den ersten Blick wenig. Drei getrennte Dramen.

Auf den zweiten Blick haben sie vielleicht doch etwas gemeinsam: die schwierige Suche Deutschlands nach einem Weg, Völkerrecht, Interessen und Realpolitik zusammenzubringen in einer Welt, in der immer mehr Akteure Eigennutz über die internationalen Pflichten stellen. Ist der Ehrliche also der Dumme?

Diesen Eindruck können Bürger gewinnen angesichts der Widersprüche im Umgang mit Asylanträgen. Auf einmal geht ruckzuck, was vorher als verfahrenstechnisch schwierig und rechtlich problematisch galt. Ibrahim Miri kann abgeschoben werden. Sein Asylantrag sei kein Hindernis, sagt das Bremer Verwaltungsgericht. Miri darf auch nicht bleiben, während er gegen die Ablehnung des Asylantrags klagt.

Die Schlagworte, die sonst angeführt werden zur Erklärung, warum abgelehnte Asylbewerber nicht ausreisen und die Behörden angeblich machtlos sind, verfangen für die Justiz in seinem Fall nicht: mögliche Gefahr für Leib und Leben in der Heimat, Warten auf die rechtskräftige Ablehnung des Antrags am Ende eines mehrstufigen Rechtswegs, Flüchtlingsschutz oder subsidiärer Schutz, der Verweis auf deutsche und europäische Rechtsprechung. Und: Miri soll die Kosten seiner Abschiebung auch selbst bezahlen.

Was sagen Politik und Justiz den Bürgern, die denken: Es geht also, wenn der Staat will. Und der Betroffene keine Solidaritätsgruppen mobilisieren kann, die Behörden und Justiz öffentlich unter Druck setzen.

Deutschland nimmt Bürger zurück, andere Staaten zieren sich

Widersprüche zeigen sich auch bei der Rücknahme deutscher IS-Kämpfer und ihrer Angehörigen. Hier geht es um die Zuständigkeit von Staaten für ihre Bürger. Zu der gehört die Pflicht zur Rücknahme, wenn ein anderes Land, in dem sie sich aufhalten, sie loswerden möchte.

Auch hier, lernen Deutsche mit Staunen, geht plötzlich zügig, was lange als schwer durchsetzbar galt. Deutschland muss IS-Kämpfer und deren Angehörige aufnehmen, die die deutsche Staatsbürgerschaft haben. Dabei spielt keine Rolle, ob sie eine Gefahr für die Mitbürger in Deutschland darstellen. Der Pass begründet die Pflicht.

Wenn Deutschland in vergangenen Jahren ausreisepflichtige, abgelehnte Asylbewerber in ihre Heimatstaaten zurückbringen wollte, hieß es oft, so einfach gehe das nicht. Die Hindernisse, die angeführt wurden – erst mal prüfen, ob der Heimatstaat die Betroffenen als seine Bürger anerkennt, Ersatzpapiere beschaffen, auf die offizielle Erklärung der Aufnahmebereitschaft warten –, erweckten leicht den Eindruck, ein Staat könne sich aussuchen, ob er Staatsbürger zurücknehme.

Und wie viele. Denn auch so wurde argumentiert: Man dürfe nicht fragile Staaten, die sich liberalisieren, wie Tunesien, durch Rücksendung größerer Gruppen fragwürdiger Zeitgenossen destabilisieren.

Bundesregierung förderte falschen Eindruck

Die Bundesregierung förderte den Eindruck, dass Rücknahme eine freiwillige Leistung und keine völkerrechtliche Pflicht sei, indem sie vorgab, sie müsse Rückführungsabkommen mit den betroffenen Staaten schließen, und dies oft mit Finanzhilfen verband.

Was sagt die Politik Bürgern, die meinen, der Hauptunterschied zwischen der Rücknahme deutscher IS-Kämpfer und der schleppenden oder verweigerten Zurücknahme ausreisepflichtiger Ausländer in Deutschland durch ihre Heimatstaaten liege darin, dass Deutschland seine Pflichten anerkennt, während andere Staaten Geld damit verdienen, dass sie sich sperrig verhalten?

Ist die Überprüfung von Asylangaben gleich "Spitzelei"?

Was zu Yilmaz S. führt, dem Vertrauensanwalt der Deutschen Botschaft, der überprüfen sollte, ob die Details, die Asylbewerber zur Begründung ihres Antrags in Deutschland angeben, einer Überprüfung standhalten. Die Türkei hat ihn festgenommen unter dem Vorwurf der Spionage – zusammen mit Akten über Menschen, die in Deutschland Zuflucht vor dem Zugriff des türkischen Staats suchten. Das kann bedrohliche Folgen für sie haben.

Pro Asyl fordert nun, die Überprüfung der Angaben von Asylbewerbern im Ausland einzustellen. Das sei "Spitzelei". In Deutschland "müssen Flüchtlinge nicht beweisen, dass sie einen Fluchtgrund haben. Sie müssen es glaubhaft darstellen."

Nun ja, Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Darf es wirklich genügen, dass ein Asylbewerber seine Geschichte, von der die Bearbeiter des Antrags ja nicht wissen können, ob sie stimmt, glaubhaft darstellen kann angesichts der hohen Zahlen abgelehnter Asylanträge?

Deutschland darf den Grad seiner Rechtstreue nicht wie andere Staaten von der Opportunität abhängig machen. Es muss die Einhaltung der Regeln nach innen wie nach außen durchsetzen. Die Widersprüche, die in den drei Fällen Miri, IS-Kämpfer und Yilmaz S. bei der Korrektur des gewohnten Kurses aufbrechen, sind Teil des deutschen Wegs zu mehr Realismus.

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