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Die neuen SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans treiben ihre Partei nach links.

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Kurs der neuen SPD-Vorsitzenden: Kommt zu Nikolaus das Groko-Aus?

Die neuen SPD-Vorsitzenden treiben ihre Partei nach links. Kommt der Koalitionsbruch bald? Wie reagiert die CDU? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Torben Albrecht kommt um halb zwölf zum Dienst ins Willy-Brandt-Haus. Der erste Advent ist für den Bundesgeschäftsführer der SPD in diesem Jahr ein Arbeitstag, auch sein Arbeitsplatz wackelt nun. Den Kopf nachdenklich gesenkt, huscht er an diesem grauen Dezembertag in die Parteizentrale, Tag eins nach dem Beben.

Albrecht war noch von Andrea Nahles geholt worden, er arbeitete schon als Staatssekretär für sie im Bundesarbeitsministerium – nun ist der Nahles-Vertraute der Vertreter des alten Establishments, das gerade einen gewaltigen Denkzettel verpasst bekommen hat.

Schon Nahles war trotz einer weithin unbekannten Gegenkandidatin, der Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange, nur mit 66 Prozent zur Vorsitzenden gewählt worden. Der Unmut über die große Koalition und schlechte Wahlergebnisse fegten Nahles im Juni weg. Nun steht das Willy-Brandt- Haus vor einer linken Revolution.

Ohne große Koalition wäre die kaum möglich gewesen – jetzt stehen mit Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken zwei Sozialdemokraten an der Spitze der Partei, die von der Mehrheit des Vorstands, der Bundesminister und der Bundestagsfraktion abgelehnt worden sind.

Wie geht es nun weiter?

Bei der SPD wird mit Hochdruck an den Anträgen für den am Freitag beginnenden Bundesparteitag in Berlin gearbeitet, einige Jusos frohlockten bereits, an „Nikolaus kommt das Groko-Aus“.

Am Dienstag tagt das 40 Personen umfassende erweiterte Präsidium, dem gehören auch die Bundesminister und damit Olaf Scholz sowie Juso-Chef Kevin Kühnert und mehrere Kommunalpolitiker an. Hier soll der Leitantrag der Parteiführung für den Parteitag finalisiert werden.

Walter-Borjans und Esken werden auch dabei sein – sie wollen Forderungen an CDU/CSU aufnehmen, um den Koalitionsvertrag zu ergänzen. Esken spricht von einem „Update“ des Vertrags.

Was sind die Ziele der „Neuen“?

Immer wieder betonen sie, dass sie das Klimapaket nachverhandeln wollen – sie fordern einen höheren CO2-Preis von 40 statt zehn Euro, mit den Einnahmen sollen gerade untere und mittlere Einkommen über eine Klimaprämie entlastet werden. „Der überwiegende Teil der Leute müsste bei einem CO2-Preis von 40 Euro pro Tonne und dem Konzept der Klimaprämie doch gar nicht mehr zahlen“, sagte Walter-Borjans im Interview mit dem Tagesspiegel.

„Es ist, und das wird gerne ausgeklammert, eine Verteilungsfrage. Wenn ein hoher CO2-Preis damit einhergeht, dass pro Kopf durch eine Art Klimaprämie entlastet wird, geht das ausschließlich zulasten höherer Einkommen.“ Zudem sind sie – und das geht frontal gegen Olaf Scholz und CDU/CSU – gegen die „schwarze Null“. „Im Zentrum einer neuen sozialdemokratischen Politik steht eine neue Finanzpolitik“, heißt es in ihrem Programm.

„NoWaBo“ und Esken wollen binnen zehn Jahren 500 Milliarden Euro zusätzlich investieren, um den Investitionsstau bei Kommunen, Bildung und konventioneller Bahninfrastruktur zu beheben (circa 244 Milliarden Euro) sowie um massiv in Klimaschutz zu investieren (150 Milliarden) und in die Digitalisierung (rund 100 Milliarden).

Was nütze „unseren Kindern eine Schuldenquote von 50 statt 60 oder 65 Prozent des BIP, wenn ihre Umwelt vergiftet ist, gut bezahlte Arbeitsplätze verlagert wurden und Deutschland in technologischen Rückstand geraten ist?“, fragen die designierten Chefs.

Ist die Union zu einem „Update“ des Koalitionsvertrags bereit?

CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat ein Aufschnüren des Koalitionsvertrags ausgeschlossen. „Wir stehen zu dieser Koalition auf der Grundlage, die verhandelt ist“, sagte die Verteidigungsministerin am Sonntag bei einem Besuch in Split. „Das ist für die CDU die Geschäftsgrundlage.“

Sie selbst steht unter dem Druck des konservativen CDU-Flügels und des Wirtschaftsflügels, denen schon der Grundrenten-Kompromiss mit der SPD zu viel war. Sie musste nach nicht einmal einem Jahr im Amt jüngst beim CDU-Parteitag in Leipzig bereits die Vertrauensfrage stellen – das zeigt: Sie kann sich kaum bewegen, will sie nicht eine neue Zerreißprobe in der Union heraufbeschwören.

Auch CSU- Landesgruppenchef Alexander Dobrindt betont, es gebe einen bestehenden Koalitionsvertrag, der sei die Grundlage. Direkt nach dem bis Sonntag (8. Dezember) dauernden SPD-Parteitag ist ein Koalitionsausschuss geplant, an dem werden auch Walter-Borjans und Esken teilnehmen. Aber Esken sagte vor ihrer Wahl, wenn die Union von vornherein keine Nachverhandlungen zulasse, werde sie bereits dem Bundesparteitag den Ausstieg aus der Koalition empfehlen.

Was passiert, wenn die SPD rausgeht?

Der CDU-Politiker Friedrich Merz hatte im August orakelt, wenn Scholz verliere, sei die Wahrscheinlichkeit groß, „dass die Koalition den Jahreswechsel nicht mehr erleben wird“. Dann könnte Angela Merkel noch einmal mit Grünen und FDP über Jamaika reden, was wenig aussichtsreich ist, oder mit einer CDU/CSU- Minderheitsregierung weitermachen.

Der Bundeshaushalt für 2020 ist bereits beschlossen. CDU und CSU müssten die sechs SPD-Ministerien übernehmen und sich im Bundestag wechselnde Mehrheiten suchen. Das wäre alles andere als eine stabile Regierung und Mitte kommenden Jahres übernimmt Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft.

Merkel hat wiederholt betont, sie sei „keine Freundin der Minderheitsregierung“. So könne sie dann auf einem EU-Gipfel nichts zusagen, weil sie nicht wisse, ob sie dafür eine Mehrheit im Bundestag bekommt.

Aber nur so könnte sie Kanzlerin bleiben. Oder sie könnte wie Gerhard Schröder 2005 eine „unechte“ Vertrauensfrage stellen, mit dem Ziel, sie zu verlieren, um den Weg für Neuwahlen freizumachen – hierzu müsste Bundespräsident Frank- Walter Steinmeier (SPD) grünes Licht geben.

Dann wäre Merkels Ära schneller beendet als geplant, da sie hier nicht mehr antreten wird. Wegen der EU-Ratspräsidentschaft müssten Neuwahlen rasch, im März, spätestens im April stattfinden, um bis Mitte des Jahres eine neue, handlungsfähige Regierung zu haben. Das große Problem für CDU/CSU wie SPD bei baldigen Neuwahlen: Sie müssten schleunigst die offene Frage klären, wer denn als Kanzlerkandidat(in) ins Rennen gehen soll.

Kann Scholz Vizekanzler bleiben?

Er ist durch die Klatsche bei der Bewerbung um den Parteivorsitz schwer angezählt. Sollte der Parteitag auch die „schwarze Null“, also einen Haushalt ohne neue Schulden, als politisches Ziel kippen, wäre er kaum noch tragbar.

Er inszenierte sich stets als Politiker der Vernunft, machte in Hamburg erfolgreiche Politik, etwa auch in Sachen Wohnungsneubau – aber nun wird er zur tragischen Figur. Für zu viele war er das Symbol des kühlen Machtpolitikers. Das Projekt einer Kanzlerkandidatur („Olaf 21“) ist tot.

CDU und CSU überließen 2018 nur unter der Zusicherung, dass Scholz das Amt übernimmt, der SPD das wichtige Finanzministerium. Sollte Scholz zurücktreten und die Koalition aber noch fortbestehen, müsste konsequenterweise Walter- Borjans das Amt übernehmen und auch neuer Vizekanzler werden. Er hat das Amt in Nordrhein-Westfalen bereits ausgeübt, legte aber auch mehrfach einen verfassungswidrigen Haushalt vor.

Esken ist vor allem Expertin für Digitalpolitik – seit 2013 sitzt sie im Bundestag, zog aber immer nur über die Landesliste Baden- Württemberg ein, bei der Bundestagswahl 2017 holte sie in ihrem Wahlkreis 16,9 Prozent der Erststimmen. Die Wahl des Duos ist Ausdruck des Verlangens nach einer Rückkehr zu eindeutig linker SPD-Politik. „Wer Sozialismus negativ verwendet, hat halt einfach keine Ahnung“, meinte Saskia Esken einmal.

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Kann das Experiment gut gehen?

Auch in anderen Ländern Europas sind sozialdemokratische Parteien in der Krise scharf nach links geschwenkt – fast nirgends mit Erfolg, während Sozialdemokraten mit anderem Kurs wie in Dänemark (mit einer strengen Migrationspolitik) Wahlerfolge verzeichneten. In der SPD regen sich viele über nun kursierende Untergangsszenarien auf.

Aber schon der eine Satz, den Altkanzler Gerhard Schröder dem „Spiegel“ übermittelt hat, lässt tief blicken: „Ich habe das Verfahren für unglücklich gehalten, und das Ergebnis bestätigt meine Skepsis.“ Der Mittelstandsbeauftragte Harald Christ hat wegen eines zu linken Kurses hingeschmissen, Bundestagsabgeordnete fürchten bei Neuwahlen ein Fiasko. Aber erst einmal ist es eine urdemokratische Entscheidung.

Juso-Chef Kevin Kühnert hat nun noch mehr Einfluss, er will Vize werden, ebenso Bundesarbeitsminister Hubertus Heil. Die Zahl der Vizes soll eigentlich von sechs auf drei verringert werden – doch auch das ist jetzt nicht mehr in Stein gemeißelt. Im Willy-Brandt-Haus steht im Advent alles auf Anfang.

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