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Moderator Jan Böhmermann am Arbeitsplatz beim ZDF.

© ZDF und Jens Koch

Kunstfreiheit war gestern: Jan Böhmermanns „Schmähgedicht“ bleibt teilweise verboten

Das Bundesverfassungsgericht verbannt eine TV-Satire über den türkischen Staatspräsidenten in den Giftschrank. So kommt der Anstand nicht zurück. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Dem umstrittenen „Schmähgedicht“ des TV-Unterhalters Jan Böhmermann hat das Bundesverfassungsgericht am Donnerstag einen letzten Vers hinzugefügt. Es lehnte dessen Verfassungsbeschwerde gegen Gerichtsurteile aus Hamburg ab, die einzelne Zeilen rechtskräftig untersagt hatten. Die Begründung war knapp, es gab keine.

Kläger jener früherer Verfahren war der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, der damit einen für ihn schönen Erfolg errang: Er lässt mit Hilfe der Justiz in Deutschland eine deutsche Satire unterdrücken, die sich unter anderem kritisch mit seinem Verhältnis zur Meinungsfreiheit befasst. Erdogans Persönlichkeitsrechte gehen diesem Anliegen vor, so kann man die damaligen Entscheidungen zusammenfassen.

Soll man dem reizbaren Staatschef gratulieren?

Soll man dem reizbaren Staatschef gratulieren? Besser nicht. Er könnte es als Verhöhnung empfinden, was es auch wäre. Denn anders als seine Reaktion darauf war das „Schmähgedicht“ ein Stück Unterhaltungskunst, das nicht Erdogan kränken sollte, sondern den Zuschauern einen Perspektivwechsel bot. Anlass war Erdogans Empörung über eine mittelmäßige NDR-Satire.

Böhmermann nahm beides aufs Korn und zeigte symbolisch, wo hierzulande Grenzen gezogen werden, nämlich notgedrungen im Nirgendwo zwischen Volksempfinden und willkürlichen Richtersprüchen. Auf jeden Fall aber weiter als in der Türkei.

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Wesentliche Teile des mehrminütigen Szenarios, das neben Angela Merkel offenbar auch ein Großteil seiner Kritiker nie ganz zu Gesicht bekam, widmeten sich dieser demokratischen Unzulänglichkeit, die anhand des Studienobjekts „Schmähgedicht“ handwerklich sauber seziert wurde; ein Mix aus Provokation, Amüsement und juristischem Bildungsfernsehen, wie Böhmermann ihn häufiger präsentiert.

Im Publikum und vermutlich auch bei Erdogan kam nur der „Ziegenficker“ an, der sich im Gedicht übrigens in dieser Form gar nicht findet. Was folgte, ist bekannt. Eine Staatsaffäre, seltene Fehltritte der damaligen Kanzlerin, ein eingestelltes Strafverfahren wegen eines vergessenen Majestätsbeleidigungsparagrafen, der im Anschluss gestrichen wurde. Und das Hickhack um einzelne Textpassagen, das Erdogan und seine Persönlichkeitsrechte jetzt wesentlich für sich entschieden.

In Furcht vor Hass und Hetze schwindet die Toleranz

Natürlich hätte man anders urteilen und das Werk in Gänze unter den Schutz der Kunstfreiheit stellen können, Motto: Satire darf nicht alles, aber das darf sie noch. Hat man aber nicht. Der Grund dafür dürfte in der gestiegenen Sensibilität gegenüber öffentlichen Beleidigungen jeglicher Art zu suchen sein, die aus Sicht vieler und zunehmend auch aus Sicht von Justiz und Bundesverfassungsgericht die öffentliche Diskussion beschädigen, insbesondere im Internet.

Hier schwindet die Toleranz aus Furcht, Hass und Hetze könnten die Oberhand gewinnen. Am Beispiel Böhmermann zeigt sich nun, dass die Strategie, mittels Recht und Gesetz verloren geglaubte Sittlichkeit wiederherzustellen, auch Opfer kosten kann. Eines ist die Satire.  

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