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Echte Kerzen oder Lichterkette, Strohstern oder Lametta: Es geht um Kindheit und Heimatgefühle.

© Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Kulturkampf unter dem Weihnachtsbaum: Bienenwachskerzen oder Lichterketten – das ist eine Identitätsfrage

Über das Ringen in meiner deutsch-französischen Familie rund um die Traditionen – und warum Deutsche hier die Nase vorn haben sollten. Eine Kolumne.

Die fürchterlich humorlosen Identitätskämpfe, die derzeit unsere und andere Gesellschaften erschüttern, lassen mich kalt. Zu viele Unter-Sub-Gruppen, zu viel Individualisierung für meinen Geschmack und für den Zusammenhalt einer Gesellschaft.

Allerdings muss ich mir eingestehen, dass ich jahrelang selbst erbitterte Identitätskämpfe ausgefochten habe – und zwar immer zu Weihnachten. Mit meinem Mann. Es ging um die unterschiedlichen Traditionen rund um das Fest, die wir nicht nur in unseren jeweiligen Familien, sondern als deutsch-französisches Paar auch in unseren Herkunftsländern kennen- und lieben gelernt hatten.

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Die Streitthemen lauteten: Soll der Weihnachtsbaum schon Wochen vorher geschmückt im Wohnzimmer herumstehen und die Nadeln verlieren, oder erst am Heiligabend hinter verschlossenen Türen geschmückt werden und dann als Überraschung für die Kinder das Zimmer erstrahlen? Elektrische Lichterkette oder Bienenwachskerzen? Lametta oder Strohsterne?

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Und – hier wird es nun wirklich bitterernst: Liegen die Geschenke am Heiligabend unter dem Baum – oder kommen sie um Mitternacht durch den imaginären Kamin, und die Kinder werden entweder nach Mitternacht geweckt oder zerren am ersten Feiertag morgens um sechs Uhr die ganze Familie aus dem Bett, um die nächtliche Post zu öffnen?

Es geht ja nicht um Rechthaberei, sondern um die eigene Kindheit und Heimat

Das waren zwischenzeitlich Fragen auf Leben und Tod und die Trennung lugte mehrfach um die Ecke. Eigentlich unverständlich. Aber natürlich geht es um mehr als reine Rechthaberei: Die Weihnachtszeit, ihre Traditionen und das Weihnachtsfest haben nicht nur viel mit Familie, sondern auch mit Kindheit und Heimat zu tun.

Und Heimatgefühl kommt in schnelllebigen und mobilen Zeiten, gerade wenn man auch viel im Ausland lebt, nicht so oft auf. Daher möchte man es festhalten, wenn es sich denn einmal regt. Und so wird aus einer kleinen Unstimmigkeit schnell ein ernster Kulturkampf.

So eben bitte nicht! (Das ist kein französischer Baumschmuck, sondern das Haus des Weihnachtsbaumweltmeisters in Rinteln.)
So eben bitte nicht! (Das ist kein französischer Baumschmuck, sondern das Haus des Weihnachtsbaumweltmeisters in Rinteln.)

© Ole Spata/dpa

Ich fand ja, als Deutsche hätte ich bei Weihnachtstraditionen mal Vorfahrt. Denn infolge des Nationalsozialismus haben wir Deutschen ja kaum Traditionen, zu denen wir ein ungebrochenes Verhältnis haben. Jeder Franzose dagegen ist ununterbrochen angehalten, auf irgendetwas stolz zu sein, die Revolution, die Esskultur, die Atombombe.

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Die kleinen Zeremonien in der Weihnachtszeit, vom Adventskranz, über den Adventskalender, das Plätzchenbacken und die Tanne mit echten Kerzen sowie Bescherung am 24. Dezember sind einige dieser wenigen Traditionen, die wir Deutschen trotz des Zivilisationsbruchs vorbehaltlos ausleben können.

Und daher auch an die eigenen Kinder weitergeben wollen, das spielt natürlich auch eine Rolle. Damit ja keines von ihnen eines fernen Tages wagen sollte, den eigenen Weihnachtsbaum mit silberfarbenem Lametta und LED-Leuchten zu schmücken! Dieses deutsch-französische Ungleichgewicht im Traditionsfundus muss doch eigentlich jeder verstehen – und nachgeben.

Es kam anders: Einige Jahre lang hatten wir Bienenwachskerzen brennen und dazwischen die elektrische Lichterkette dreifarbig blinken. Langsam stellen sich diese Fragen gar nicht mehr: Nicht nur sind die Kinder größer, jetzt wird der Adventkalender in Frankreich immer populärer und hier werden am Heiligabend auch schon mal Austern gegessen.

In Zeiten, wo selbst Halloween ein urdeutscher Brauch geworden ist, denke ich manchmal wehmütig an diese kleinen Identitätskämpfe rund um den Weihnachtsbaum zurück. Der Völkerverständigung tut die Globalisierung der Bräuche sicher gut, aber irgendwie ist es auch schade.

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