zum Hauptinhalt
Rheinland-Pfalz' Regierungschefin Malu Dreyer überreicht Benni Over den Verdienstorden.

© FOTO SEYDEL

Künstlich beatmet seit vier Jahren: Der Kampf des Benni Over für seine Corona-Impfung

Ein schwer kranker Mann kämpft verzweifelt bei Jens Spahn darum, die Corona-Impfungen anders einzuteilen. Doch die Zeit arbeitet gegen ihn. Schafft er es noch?

Das erste, was Benni Over jeden Tag nach dem Aufwachen macht: Er studiert die neuen Zahlen. Da ist der Freitag, der 11. Dezember, wieder ein schlechter Tag: 29.875 Corona-Neuinfektionen, die Zahl der Covid-19-Todesfälle ist wieder deutlich gestiegen. „Er sagt uns morgens immer als erstes, wie viele Menschen wieder gestorben sind“, berichtet sein Vater Klaus Over am Telefon.

Der Kämpfer Benni Over

Benni Over ist 30 Jahre alt, leidet unter schleichendem Muskelschwund (Muskeldystrophie Duchenne), sitzt seit 20 Jahren im Rollstuhl, kann nur noch seine Finger bewegen und wird seit vier Jahren zusätzlich beatmet. Eine Corona-Infektion würde er kaum überleben.

Zu Beginn der Woche war er erst wütend, dann niedergeschlagen. Er hatte wieder viel im Netz gelesen, dieses Mal zur Stiko – den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission, wer wann gegen Corona geimpft werden soll. „Papa ich gehöre nicht zu den Impfungen am Anfang dazu“, habe er gesagt. Er wäre trotz seiner Krankheit erst in der zweiten Hälfte 2021 wohl dran. Benni Oven glaubt, der Plan könnte dazu führen, dass er es nicht schafft. „Er hat stundenlang geweint“, sagt sein Vater. Klaus, Connie und Benni Over wohnen in Niederbreitbach im Landkreis Neuwied, zwischen Koblenz und Bonn in Rheinland-Pfalz. Der Vater, alles was sie machen, wen sie einschalten, das gehe von ihrem Sohn aus.

Seit Februar in Quarantäne

Seit Februar, seit die Pandemie auch Deutschland im Griff hat, sind sie quasi in häuslicher Quarantäne. Im Namen des Sohnes wurden nun viele Bundestagsabgeordnete und Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) angeschrieben, in der Hoffnung, dass der Entwurf des Impfplans noch einmal überarbeitet und anders priorisiert wird.

Der Sohn ist Hochrisiko-Patient und nach einem Herzstillstand muss er komplett beamtet werden. 37 Tage war er damals auf der Intensivstation, die Eltern kämpften auch gegen die Ärzte, die ihm keine Chance mehr gaben. Der Vater war früher für einen Hygienekonzern tätig, im Zuge von Corona haben er und seine Frau neben der Alltagspflege auch die komplette Intensivpflege übernommen. Zuvor war ein ambulanter Intensiv-Pflegedienst zehn Stunden am Tag da und half. „Wir haben dicht gemacht, keinen mehr reingelassen.“ Aus Angst vor den Viren. Sie haben einen großen Garten, sind fast Selbstversorger, und haben umgestellt auf Online-Belieferung. Im Sommer konnten sie noch auf der Terrasse auf Abstand Freunde treffen, jetzt sind sie auf Zoom-Meetings umgestiegen.

[Jeden Morgen informieren wir Sie, liebe Leserinnen und Leser, in unserer Morgenlage über die politischen Entscheidungen, Nachrichten und Hintergründe. Zur kostenlosen Anmeldung geht es hier.]

Einsatz für die Orang-Utans

Benni Over hat sich einen Namen gemacht als jemand, der sich für den Schutz von Orang-Utans einsetzt. Im Sommer 2014 hatte er beim Besuch des Berliner Zoos seine Liebe zu den Tieren entdeckt, und unterstützt Klima- und Tierschutzprojekte in Indonesien. Von Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) wurde er für sein Engagement für den Regenwald und die Orang Utans mit dem Verdienstorden des Landes Rheinland-Pfalz ausgezeichnet. Und mit seinen Eltern ist er immer wieder auf „Tour“ durch Schulen, um über sein Leben zu berichten.

Bis Corona kam. Per Video informieren sie stattdessen über ihre Quarantäne. Durch die Isolation daheim ohne die professionellen Therapeuten gibt es nun Online-Therapien. „Ich bin der verlängerte Arm und versuche das umzusetzen“, versucht sich der Vater als Ersatzpfleger. Aber alle stoßen, zumal jetzt im Winter, an ihre physischen und psychischen Grenzen. „Meine Frau macht das gleiche für die Atemtherapien. Alles andere findet nicht mehr statt.“ Das Haus sei quasi eine Dauer-Intensivstation. „In den letzten 3,4 Wochen geht es wirklich bergab, sein körperlicher Zustand hat sich sehr verschlechtert.“

[Wenn Sie die wichtigsten News aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräteherunterladen können.]

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn im Impfzentrum Nürnberg.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn im Impfzentrum Nürnberg.

© imago images/photothek

Spahns Sprecher: Er ist in Gruppe III

Die große Hoffnung ist die Impfung, doch der Sprecher von Gesundheitsminister Spahn macht da wenig Hoffnung. Er blättert in den Unterlagen, sagt dann auf die Frage, wo ein Fall wie Benni Over in eingruppiert wird: „Impfgruppe III“.

Die beim Robert Koch-Institut (RKI) angesiedelte Stiko schlägt vor, Impfungen zunächst nur an Ältere über 80, Pflegeheimbewohner und an das Personal mit höchstem Infektionsrisiko in Kliniken und Altenheimen zu verabreichen, rund 8,6 Millionen Menschen.

Große Hoffnungen liegen auf dem Biontech/Pfizer-Impfstoff
Große Hoffnungen liegen auf dem Biontech/Pfizer-Impfstoff

© imago images/Laci Perenyi

Das Pflegeheim-Paradoxon

Laut dem Stiko-Entwurf sollen als Gruppe II etwa 6,7 Millionen Menschen folgen darunter Senioren zwischen 75 und 80 Jahre sowie Menschen mit Demenz oder einer geistigen Behinderung in Einrichtungen sowie dort tätiges Personal. Folgen sollen dann die Gruppe III: Ältere zwischen 70 und 75, aber auch Vorerkrankte mit erhöhtem Risiko und ihre engsten Kontaktpersonen – hier könnte Over zum Zuge kommen.

Aber da andere Staaten den Biontech/Pfizer-Impfstoff bereits zugelassen haben und die EU dies frühestens Ende Dezember tun wird, gehen viele Vakzine erst einmal dort hin. „Diese Regelung macht uns eine Impfung frühestens im zweiten Halbjahr 2021 und damit nach über 1,5 Jahren Quarantäne und Isolation möglich“, sagt Klaus Over. „Das werden wir nicht schaffen.“

Das Paradoxe: Benni Over käme in Impfgruppe I und könnte zusammen mit seinen Eltern zu den ersten Corona-Geimpften gehören, wenn anerkannt würde, „dass wir ein Pflegeheim sind mit Benni als Kunden und Patienten und uns Eltern als Therapeuten als Personal“. Deshalb sei man schon bei der Zuteilung von Schnelltests durchs Rost gefallen. Denn mit denen könnten auch die Therapeuten wieder ins Haus.

[Behalten Sie den Überblick: Jeden Morgen ab 6 Uhr berichten Chefredakteur Lorenz Maroldt und sein Team im Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint über die aktuellsten Entwicklungen rund um das Coronavirus. Jetzt kostenlos anmelden: checkpoint.tagesspiegel.de.]

Wer kommt hier wann dran?
Wer kommt hier wann dran?

© dpa

Hilft das Impf-Attest?

Immer wieder würden sie zermürbend von einer Stelle zur nächsten verwiesen, von der Krankenkasse zum Gesundheitsamt, von dort zur Kassenärztlichen Vereinigung. Insgesamt sieht Klaus Over ein desaströses Krisenmanagement in der zweiten Welle. Der Arzt habe schon gesagt, er werde für Benni ein Attest ausstellen. Er falle definitiv in die Kategorie „Pflegebedürftige und Schwersterkrankte“ und gehöre in die Gruppe I. Doch ein Attest wird nichts bringen, damit gibt es keine Impftermine in den geplanten Impfzentren. Auch der Vorstand der Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch hat gefordert, dass zunächst die Pflegebedürftigen und Schwerstkranken geimpft werden müssen.

Das Impfdilemma wird sich, wenn es wirklich los geht, weiter verschärfen, erst Recht wenn wegen der globalen Nachfrage weniger Dosen in Deutschland zur Verfügung stehen. Die Overs wollen weiter kämpfen, ihrem Sohn zuliebe. „Herr Spahn sehen Sie ein, dass wir in Gruppe I rein müssen“, appelliert Klaus Over.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false