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Renate Künast wird deutlich, hier bei einer Rede im Bundestag.

© Michael Kappeler / dpa

Exklusiv

Künast-Schmähungen im Internet: „Stück Sch...“ - Bayerns Justiz will Beleidiger anklagen

Die Berliner Gerichte rangen um die Frage, was unter die Meinungsfreiheit fällt. Bayerns Justiz will einen Facebook-User im Süden jetzt für seine Äußerungen zur Verantwortung ziehen.

Im Zusammenhang mit den Beleidigungen gegen die Grünen-Politikerin Renate Künast soll jetzt erstmals eine Anklage erhoben werden. 

Wie der Tagesspiegel aus Justizkreisen erfuhr, soll sich in Bayern demnächst ein Facebook-Nutzer verantworten müssen, der Künast in einem Post als „Stück Scheiße“ bezeichnet hatte. 

Derzeit wird die Anklage abschließend von der Generalstaatsanwaltschaft München geprüft, die neuerdings Hate-Speech-Verfahren in ganz Bayern koordiniert.

Das Berliner Landgericht hatte den Post in einem umstrittenen Beschluss zu insgesamt 22 beleidigenden Äußerungen zunächst noch als nicht strafbar bezeichnet, sich aber nach bundesweiter Empörung selbst korrigiert und sechs Posts als strafbar eingestuft. 

In einem weiteren Beschluss hat jetzt das Kammergericht nach einer Beschwerde Künasts als nächste Instanz sechs weitere Wortmeldungen für strafbar erklärt. 

Dies bedeutet jedoch keine strafrechtliche Verurteilung der Urheber. Im Ergebnis wurde Facebook damit lediglich auf Grundlage des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) verpflichtet, Personendaten der zwölf Nutzer herauszugeben, damit Künast auf zivilrechtlichem Weg gegen sie vorgehen und etwa Unterlassung verlangen kann.

"Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist"

Auslöser der Beschimpfungen war der Post eines rechtsextremen Bloggers, der mittels eines entstellten Zitats den Eindruck erweckt hatte, Künast habe sich für eine Entkriminalisierung von Sexualkontakten mit Kindern ausgesprochen.

Tatsächlich gibt es aber nur ein missverständliches Zitat der Politikerin, das vor mehr als 30 Jahren im Berliner Abgeordnetenhaus gefallen ist („Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist“) und das ihr heute immer wieder vorgehalten wird.

Die Grünen-Politikerin verfolgt ihre Ansprüche als politisches Projekt mit intensiver medialer Begleitung. Finanziert werden die Prozesse durch die gemeinnützige Organisation Hate Aid, die sich der Unterstützung von Hass-Opfern im Internet verschrieben hat. 

Künasts Anwalt Severin Riemenschneider hatte die erste Entscheidung aus Berlin angesichts der Einstufung auch derbster, sexualbezogener Beschimpfungen als „Skandalbeschluss“ bezeichnet und die Vorgänge mit dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke in Verbindung gebracht.

Der User nutzte seinen Klarnamen

Frau Künast habe mit den Verfahren „Aufmerksamkeit erregt und ein Bewusstsein für die Problematik geschaffen“, sagt Riemenschneider jetzt auf Anfrage. 

Tatsächlich hat das Bundeskabinett kürzlich verschiedene Maßnahmen gegen Hassreden im Internet auf den Weg gebracht, unter anderem auch eine Verschärfung des NetzDG. Künftig sollen dem Bundeskriminalamt strafbare Inhalte als Zentralstelle gemeldet werden.

Dass Künast zugleich auch strafrechtlich gegen die Beleidiger vorgeht, war bisher nicht öffentlich bekannt. Anwalt Riemenschneider hatte seinerzeit nur mitgeteilt, es sollten die Möglichkeiten des NetzDG zur Auskunftserlangung ausgelotet werden. 

Offenbar hat es sich die Politikerin dann aber anders überlegt. Jetzt liefen Strafverfahren über das Bundesgebiet verteilt, bestätigte der Anwalt. Im bayerischen Fall sei der nötige Strafantrag „form- und fristgerecht gestellt“ worden, heißt es aus der Justiz. 

Hier war es im Prinzip auch nicht nötig, Facebook zur Daten-Freigabe zu verpflichten. Der User aus Deggendorf habe den Text unter seinem Klarnamen gepostet. In voller Länge hieß es: „Dieses Stück Scheiße. Überhaupt so eine Aussage zu treffen zeugt von kompletter Geisteskrankheit“.

Der Fall könnte bis zum Bundesverfassungsgericht gehen

Ob es im Ergebnis zu einer Verurteilung kommt oder der Beschuldigte einen Strafbefehl akzeptiert, ist unklar. Das Berliner Landgericht hatte aufgrund des Anschlusssatzes in Ansätzen eine sachbezogene Äußerung erkannt, so dass sich der Nutzer auf seine Meinungsfreiheit berufen könnte. Im Ergebnis aber habe der beleidigende Gehalt überwogen. 

Ob die bayerische Justiz sich dieser Wertung anschließt, ist ungewiss. Der Betroffene könnte sich gegen Verurteilungen wehren, theoretisch bis zum Bundesverfassungsgericht. 

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