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Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vor dem in den ukrainischen Farben beleuchteten Brandenburger Tor. A

© Foto: Michael Kappeler/dpa

Kritik an Kiew-Reise von Scholz, Macron und Draghi: „Dümmster politischer Fehltritt“

Die offenbar geplante Reise von Scholz, Macron und Draghi in die Ukraine wird im Osten Europas kritisch gesehen. Auch in der EU-Frage gibt es Differenzen.

Estlands ehemaliger Staatschef Toomas Hendrik Ilves ist ein Freund deutlicher Worte. Dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der italienische Regierungschef Mario Draghi offenbar gemeinsam nach Kiew fahren wollten, ohne den polnischen Staatschef Andrzej Duda mitzunehmen, sei „der dümmste politische Fehltritt“ von westlichen Staats- und Regierungschefs der EU seit dem deutsch-französischen Vorstoß für einen Gipfel mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin im vergangenen Jahr.

Damals hätten es Deutschland und Frankreich nicht für nötig gehalten, „zuerst EU-Staaten zu konsultieren, die an Russland grenzen“, schrieb Ilves auf Twitter.

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Kritik an Deutschland, Frankreich und Italien

Die Rolle Deutschlands, Frankreichs und Italiens seit dem russischen Überfall auf die Ukraine wird in mehreren osteuropäischen Staaten kritisch gesehen. Estlands Regierungschefin Kaja Kallas mahnte kürzlich, Putin nicht mehr anzurufen, da sonst die Botschaft bei ihm nicht ankomme, dass er isoliert sei. Diese Kritik zielte auf Scholz und Macron, die regelmäßig den Kontakt zu Putin halten und mit ihm telefonieren.

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In den baltischen Staaten und in Polen, aber auch in der Ukraine wird befürchtet, Berlin und Paris könnten mittelfristig Druck auf die Führung in Kiew ausüben, einem Waffenstillstand und damit Gebietsabtretungen an Russland zuzustimmen. Dass Macron in einem Interview davor warnte, Russland zu demütigen, hat diese Befürchtungen noch verstärkt.

Bundeskanzler Olaf Scholz (rechts) spricht mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin
Bundeskanzler Olaf Scholz (rechts) spricht mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin

© Mikhail Klimentyev/Russian President Press Office/Sputnik/dpa

Zudem wird in Vilnius, Warschau oder Tallinn sehr genau registriert, dass Deutschland bisher keine schweren Waffen an die Ukraine geliefert hat und Scholz in dieser Frage immer wieder zu zögern scheint. Der Dritte in der Kiew-Reisegruppe, Italiens Regierungschef Draghi, brachte ebenfalls Ukrainer und andere Osteuropäer gegen sich auf, weil seine Regierung den Vereinten Nationen selbst einen Friedensplan vorlegte.

Dieser Plan fiel sowohl in Kiew als auch in Moskau durch.

Macron geriet auch im eigenen Land in die Kritik

Macron hat noch bis Ende des Monats den rotierenden EU-Vorsitz inne und muss daher auf einen Ausgleich der unterschiedlichen Positionen unter den 27 Mitgliedstaaten angesichts des Kriegs in der Ukraine bedacht sein. Allerdings waren seine Interview-Äußerungen, denen zufolge Russland nicht gedemütigt werden dürfe, selbst in Frankreich auf ein kritisches Echo gestoßen.

So merkte Frankreichs früherer Botschafter in den USA, Gérard Araud, per Twitter an, dass Macron zwar im Grundsatz Recht habe. Allerdings seien sowohl der Zeitpunkt der Äußerung als auch Macrons Wortwahl „besonders unglücklich“, so Araud.

In der Tat gehört die Einschätzung, dass es dem Westen in erster Linie um eine Demütigung Russlands gehe, zur Ideologie Putins.

Die ehemalige US-Außenministerin Hillary Clinton sagt, dass „Putin die rote Linie seit langem überschritten“ habe.
Die ehemalige US-Außenministerin Hillary Clinton sagt, dass „Putin die rote Linie seit langem überschritten“ habe.

© Joel Saget/AFP

Auch die ehemalige US-Außenministerin Hillary Clinton sagte in einem Interview mit dem Sender „France Culture“, dass die Haltung Macrons angesichts der Tatsache, dass „Putin die rote Linie seit langem überschritten“ habe, „etwas überholt“ sei. Sie betonte, dass Staaten mit einer größeren geografischen Nähe zu Russland wie Polen oder die baltischen Länder wohl klarer sehen würden, „wer Putin wirklich ist und welche Ziele er verfolgt“.

Ein möglicher Besuch von Scholz, Macron und Draghi würde in eine Phase fallen, in der eine Entscheidung der EU über einen eventuellen Kandidatenstatus für die Ukraine näher rückt. Am Ende dieser Woche wird die Stellungnahme der EU-Kommission zu Kiews EU-Beitrittsantrag erwartet.

Die eigentliche Entscheidung darüber, ob die Ukraine die erste Hürde auf dem langen Weg Richtung EU nehmen kann, fällt allerdings im Kreis der 27 EU-Mitgliedstaaten.

Große Meinungsunterschiede bei EU-Perspektive für Kiew

Beim EU-Gipfel am 23. und 24. Juni wird eine Diskussion über die EU-Perspektive der Ukraine erwartet. Wie es am Montag aus EU-Diplomatenkreisen hieß, bestehen in dieser Frage weiterhin große Meinungsunterschiede zwischen den EU-Staaten.

„Nicht hilfreich“ sei es, dass Polen und die baltischen Staaten die Erwartung schürten, dass alles andere als die bedingungslose Verleihung des EU-Kandidatenstatus an die Ukraine beim bevorstehenden Gipfel ein Scheitern darstelle.

Wie es in den Kreisen weiter hieß, müsse sich die EU-Kommission bei ihrer bevorstehenden Stellungnahme an ihrer Rolle als Hüterin der EU-Verträge messen lassen. Falls die Brüsseler Behörde bei ihrer am kommenden Freitag erwarteten Stellungnahme der Ukraine einen „Blankoscheck“ ohne jegliche Bedingungen ausstellen solle, würde sie sich für etliche EU-Mitgliedstaaten leicht angreifbar machen.

Außerdem werde in diesem Fall ein Präzedenzfall geschaffen. Andere Länder, die bislang vergeblich auf den Kandidatenstatus warteten, würden sich dann die Frage stellen, warum sie überhaupt schmerzhafte Reformanstrengungen unternehmen sollten.

Den Angaben zufolge dringen unter den 27 Mitgliedstaaten bislang nur Polen und die baltischen Staaten eindeutig auf die Verleihung des EU-Kandidatenstatus für die Ukraine beim bevorstehenden Gipfel. Tschechien, die Slowakei und Italien tendierten ebenfalls in diese Richtung, allerdings mit größerer Zurückhaltung.

Alle übrigen Mitgliedsländer, darunter Deutschland, Frankreich, die Niederlande oder Belgien, stünden einem überstürzten EU-Verfahren für die Ukraine kritisch gegenüber.

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