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Am Anfang stand die Ausgrenzung: Ein SA- und SS-Mann bekleben 1933 in Berlin das Schaufenster eines Textilgeschäftes mit Boykott-Plakaten.

© bpk

Kritik an Götz Aly: "Es gibt keine Ökonomie des Holocaust"

Konnten die Nazis morden, weil sie den Deutschen erlaubten, sich zu bereichern? Diese These hat der Berliner Historiker Götz Aly aufgestellt. Nun erntet er Widerspruch.

Von Hans Monath

Der Wirtschaftshistoriker Albrecht Ritschl hat die These zurückgewiesen, wonach wirtschaftliche Motive entscheidend für die Vernichtung der europäischen Juden im Nationalsozialismus waren. "Es gibt keine Ökonomie des Holocaust", sagte der in London lehrende Historiker bei der Vorstellung einer Geschichte des Bundeswirtschaftsministeriums und seiner Vorgänger im 20. Jahrhundert am Mittwoch in Berlin.

Ritschl ist Sprecher der Unabhängigen Geschichtskommission, die im Auftrag des Ministeriums das vierbändige Werk "Wirtschaftspolitik in Deutschland 1917 - 1990" erarbeitete. Der Wissenschaftler warnte, wer mit den vermeintlich gewaltigen Bereicherungsmöglichkeiten durch das Vermögen von Juden in der damaligen Zeit argumentiere, gerate "in gefährliche Nähe zur Nazi-Propaganda".

Ritschl, der innerhalb des Werks den Band "Das Reichswirtschaftsministerium in der NS-Zeit" herausgab, wandte sich entschieden gegen die Darstellung seines Kollegen Götz Aly. Der Berliner Historiker hatte in seinem 2005 erschienenen Buch "Hitlers Volksstaat" von einer "Gefälligkeitsdiktatur" gesprochen und argumentiert, die Möglichkeit zur systematischen Bereicherung auf Kosten der Opfer des Nationalsozialismus sei eine zentrale Legitimationsquelle der Diktatur gewesen.

Dieser These müsse er eine "eindeutige Absage" erteilen, sagte Ritschl. Es sei trotz vieler Bemühungen nicht möglich, die Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten "rational einzuordnen". Dem Kollegen Aly warf er vor, dieser unterscheide nicht zwischen der "Wahrnehmungsebene" und dem im Vergleich zu den Behauptungen der Nazi-Propaganda weit geringeren tatsächlichen Vermögen der in den Dreißigerjahren in Deutschland lebenden Juden. Zudem sei die Einkommensgleichheit im Jahr 1936 schlagartig abgesackt, sämtlichen sozialen Fortschritte aus der Zeit der Weimarer Republik seien damit rückgängig gemacht worden. "Es bereichern sich einige, aber es waren nicht die einfachen Leute", sagte der Professor der London School of Economics.

Auch Geschichte der Wirtschaftspolitik der DDR aufgearbeitet

Im Gegensatz zur Aufarbeitung der Geschichte vieler anderer Ministerien beschränkte sich die Unabhängige Geschichtskommission beim Wirtschaftsministerium nicht auf die Zeit des Nationalsozialismus und der Anfangsjahre der Bundesrepublik, sondern analysierte auch die Zeit der Weimarer Republik und die Geschichte der Wirtschaftspolitik in der DDR.

Die Grundlagen für die Exporterfolge der deutschen Wirtschaft in der Gegenwart wurden nach Darstellung des Wirtschafts- und Sozialhistorikers Werner Abelshauser schon in den 50er Jahren gelegt. Damals habe das Wirtschaftsministerium systematisch "die Schwellenländer der Welt ins Visier genommen" und die Bedingungen geschaffen, damit deutsche Maschinen und Produkte in diese Länder verkauft wurden, deren Regierungen die eigene Regionen entwickeln und wettbewerbsfähig machen wollten.

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) dankte der Geschichtskommission. Ihre Studie mache deutlich, wie die furchtbaren Katastrophen in der deutschen Geschichte - zwei verheerende Kriege, das Scheitern der ersten deutschen Demokratie und der nationalsozialistische Völkermord - auch die wirtschaftspolitischen Strategien beeinflusst hätten, sagte er.

Die zwölf Jahre Nazi-Diktatur mit ihren unvorstellbaren Verbrechen und einem verheerenden Krieg hätten den Tiefpunkt dieser Geschichte gebildet. "Mitarbeiter des Ministeriums beteiligten sich an der Ausbeutung der besetzten Länder ebenso wie an der Entrechtung und wirtschaftlichen Ausbeutung der jüdischen Minderheit bis hin zur Vernichtung ihrer Existenzgrundlagen", sagte der Minister. Auch in die Planungen zur Ermordung von dreißig Millionen Menschen im Osten Europas seien Mitarbeiter des Ministeriums verstrickt gewesen. Für die meisten Beamten habe dies keine Konsequenzen gehabt. "Im Gegenteil: Viele der Mitarbeiter des Reichswirtschaftsministeriums tauchen in den Personalverzeichnissen des Bundeswirtschaftsministeriums wieder auf", erklärte Gabriel.

Der Bericht zeige aber auch, "dass aus der Katastrophe gelernt wurde". Die Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft hätten eine Ordnung schaffen wollen, in der offener Wettbewerb und soziale Sicherheit in eine Balance kommen. "Aus der Sozialen Marktwirtschaft wurde so eine Erfolgsgeschichte der zweiten deutschen Demokratie. Die Väter der Sozialen Marktwirtschaft wollten die Freiheit bewahren und die Demokratie schützen", meinte der Vizekanzler und forderte: "An diese Tradition sollten wir uns und andere immer selbstbewusst erinnern." 

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