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Tausende „Querdenker“ protestieren gegen die Corona-Politik, ohne Masken- und Abstandsgebote einzuhalten.

© Imago/Arnulf Hettrich

Update

Kritik an der Polizei in Stuttgart: Mehr als 10.000 „Querdenker“ protestieren ohne Abstand und Masken

Die Polizei bewachte die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen am Samstag mit einem Großaufgebot, schritt aber nicht ein. Das sorgt für massive Kritik.

Mehr als 10.000 Menschen haben nach Angaben der Polizei an der Kundgebung der „Querdenken“-Bewegung in Stuttgart gegen die Corona-Politik teilgenommen. Die meisten hätten keine Masken über Mund und Nase getragen sowie Abstände nicht eingehalten, sagte ein Polizeisprecher am Samstagabend.

Die Polizei sei aber in das an sich friedliche Geschehen mit ihren hunderten Beamten nicht eingeschritten, damit sich nicht noch mehr Menschen auf dem Gelände am Cannstatter Wasen drängten. Gegen 18 Uhr hätten mehrere Tausend Menschen den Platz schon wieder verlassen, sagte der Sprecher. Einige Tausend demonstrierten aber noch vor Ort.

Auf Twitter-Videos ist zu sehen, wie Demonstranten durch die Innenstadt ziehen, einige halten sich an den Händen und bilden Menschenketten. Sie skandieren: „Friede, Freiheit, keine Diktatur.“

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Die Polizei war am Samstag seit dem Vormittag mit Hunderten Beamten an verschiedenen Orten in der Innenstadt im Einsatz, weil zehn teilweise unterschiedliche Kundgebungen angemeldet waren. Die baden-württembergische Polizei wurde dabei unterstützt von der Bundespolizei und von Polizisten aus Nordrhein-Westfalen und Hessen. Während des Aufzuges kam es zu erheblichen Verkehrsbehinderungen.

Daran, dass die Polizei nicht einschritt, gab es Kritik. Der Stuttgarter Polizeisprecher Stefan Keilbach sagte: „Das ist keine befriedigende Situation für uns als Polizei.“ Auf der einen Seite stehe die Versammlungsfreiheit, auf der anderen der Infektionsschutz. Damit sich nicht noch mehr Menschen auf dem Gelände drängten, seien die Beamten nicht eingeschritten.

Ein Demonstrant in „Querdenker“-Aufzug in Stuttgart.
Ein Demonstrant in „Querdenker“-Aufzug in Stuttgart.

© REUTERS/Andreas Gebert

Der Sprecher der Stadt Stuttgart, Sven Matis, erklärte, man habe sich an die geltende Corona-Verordnung des Landes gehalten, die das Grundrecht auf Versammlungen nicht wegen der Pandemie einschränke. „Das war unser Gradmesser“, so Matis. „Wir haben intensiv über den Umgang mit den angemeldeten Kundgebungen gerungen, uns dann - um auf sicheren Grund zu stehen - an der Landeverordnung orientiert.“

Das Konzept von Stadt und Polizei sei gewesen, dass sich alle Demo-Teilnehmer am Ende auf dem Cannstatter Wasen sammeln und nicht unkontrolliert durch Stuttgart ziehen, erläuterte Matis. Die Stadt hatte im Falle von Verstößen gegen die Maskenpflicht und die vorgeschriebenen Abstände angekündigt, Versammlungen aufzulösen.

Bundesaußenminister Heiko Maas verurteilte die Demonstration. Wenn Tausende ohne Maske und Abstand unterwegs seien, verstoße das gegen jede Regel und erst Recht gegen jede Vernunft. „Wer dabei mitmacht, gefährdet nicht nur seine eigene Gesundheit, sondern auch die von anderen“, schrieb Maas via Twitter.

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Nach Angaben der Stuttgarter Polizei wurden am Mittag vor dem Stuttgarter Rathaus 20 Menschen, die mutmaßlich dem Rockermilieu angehören, kontrolliert. Es seien Quarzhandschuhe, pyrotechnische Gegenstände und Sturmhauben beschlagnahmt worden. Dabei sei eine Polizeibeamtin leicht verletzt worden. Die Betroffenen erhielten Platzverweise.

Stuttgarter berichten von automatisierten Anrufen

Wenig später sei ein pyrotechnischer Gegenstand in einen Aufzug geworfen worden, verletzt worden sei dabei niemand, teilte die Polizei mit. Ein Tatverdächtiger sei kontrolliert worden.

„Der Polizei liegt ein Video vor, wonach mutmaßlich ein Journalist offenbar von einem Aufzugsteilnehmer geschlagen wurde. Die Ermittlungen hierzu dauern an“, hieß es in einer Pressemitteilung. Gegen den Leiter der Versammlung, die am Vormittag am Marienplatz begonnen hatte, wird laut Polizei ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

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Die ARD-Tagesschau musste eine Liveschalte nach Stuttgart abbrechen, weil offenbar Steine nach dem Reporter des SWR geworfen wurden:

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„Wieder einmal kennen die selbsternannten Querdenker keine Hemmungen, Berichterstatter als Ziel ihrer Wut anzugreifen“, sagt der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes (DJV), Frank Überall. „Das allein ist schon schlimm genug. Wütend macht mich die offensichtliche Untätigkeit der Polizeibeamten, die nichts für den Schutz unserer Kolleginnen und Kollegen unternehmen.“

Überall fragt auch ganz direkt: „Was muss eigentlich noch passieren, bis die Sicherheitskräfte erkennen, dass Journalistinnen und Journalisten in Deutschland nicht mehr frei berichten können?“

Er fordert den wiedergewählten baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) und seine Landesregierung auf, für künftige Demonstrationen ein „überzeugendes Schutzkonzept“ auszuarbeiten. „Herr Kretschmann, Sie sind für die Sicherheit der Journalisten verantwortlich!“, so Überall.

Außenminister Maas reagierte ebenfalls entsetzt auf die Angriffe. „Die Beleidigungen und Übergriffe auf Journalist*innen haben mit Demonstrationsfreiheit rein gar nichts zu tun. Das sind Angriffe auf Pressefreiheit. Sie müssen verfolgt und geahndet werden“, schrieb er via Twitter.

Gegendemonstranten versuchten, Zug zu stoppen

Teilweise hatten vermummte Gegendemonstranten versucht, den Zug zum Cannstatter Wasen zu hindern. Sie standen mit Fahrrädern oder saßen auf der Bundesstraße 14. Die Polizei löste die Menge auf.

Wie die „Welt“ und „T-Online“ berichten, hätten Tausende Stuttgarter Bürger im Vorfeld der Demo am Samstag automatisierte Anrufe von Nummern aus Berlin und Dresden erhalten. In diesen Aufrufen soll eine Stimme zur Teilnahme an der Demo aufgerufen haben. Die Organisatoren der „Querdenken“-Bewegung erklärten, nichts damit zu tun zu haben.

Die Behörden waren zunächst von 2500 Teilnehmern in Stuttgart-Bad Cannstatt ausgegangen, die Anmelder von 6000. Die „Querdenken“-Bewegung und ihre Mitstreiter sprechen sich gegen die derzeitigen Corona-Maßnahmen aus. Die Bewegung wird vom Landesamt für Verfassungsschutz in Baden-Württemberg beobachtet.

Polizeihubschrauber über dem Stadtgebiet im Einsatz

Auf die Frage, ob Menschen, die auf dem Weg zum Wasen waren, Masken trugen, sagte der Stuttgarter Polizeisprecher Stefan Keilbach: „Ich sehe hier 20 Leute mit Masken, und das sind Polizisten.“ Die Hygiene-Auflagen wurden laut Polizei größtenteils nicht eingehalten.

Polizeihubschrauber waren zur Dokumentation des Geschehens über dem Stadtgebiet im Einsatz. In einem Tweet der Polizei hieß es: „Masken- und Abstandsverstöße werden von uns beweissicher dokumentiert.“ Ein Fotograf der Deutschen Presse-Agentur berichtete von einer Volksfeststimmung bei den Teilnehmern.

Abermals mit Unverständnis reagierte das Landesgesundheitsministerium auf die Demonstranten der „Querdenker“-Szene im Stuttgarter Stadtgebiet. „Ich verstehe nicht, dass die Stadt sich sehenden Auges in diese Situation manövriert hat“, sagte Ministerialdirektor Uwe Lahl am Samstag.

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Sowohl schriftlich als auch in einem persönlichen Telefonat habe er dem Stuttgarter Ordnungsbürgermeister Clemens Maier die Möglichkeiten aufgezeigt, die die Corona-Verordnung des Landes auch für ein Verbot von Großdemonstrationen hergebe.

Die Stadt habe sich dann gegen ein Verbot entschieden. „Das war aus infektiologischer Sicht in dieser Phase der Pandemie falsch“, sagte Lahl. Wie solle man der Bevölkerung erklären, dass sich an den Osterfeiertagen nur fünf Menschen aus zwei Haushalten treffen dürften, während Tausende Demonstranten ohne Maske und ohne Mindestabstand durch die Stadt zögen. „Das Demonstrationsrecht ist ein hohes Gut, aber in einer Pandemie gibt es auch dafür Grenzen“, sagte Lahl.

Im vergangenen Sommer hatten auf dem Wasen bis zu 10.000 Menschen demonstriert. Zuletzt hatte am 20. März eine Demonstration in Kassel mit mehr als 20.000 Menschen für Schlagzeilen gesorgt - erlaubt waren nur 6000. Es kam zu teils gewalttätigen Auseinandersetzungen. (Tsp, dpa)

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