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Zum Abschied schenkt der Vorsitzende der Jungen Union (JU), Paul Ziemiak, Merkel ein Paar Socken.

© dpa/Carsten Rehder

Kritik, aber kein Aufstand: So verlief Merkels Besuch beim JU-Deutschlandtag

Der Aufstand gegen die Kanzlerin bleibt beim JU-Treffen in Kiel aus. Merkel zeigt sich ungeduldig – auch mit der Großen Koalition. Am Ende bekommt sie Socken.

Von Robert Birnbaum

Matthias Böttger geizt nicht mit Selbstbewusstsein. Als „Ökonom und Student der Geschichte“ stellt sich der gerade 21jährige auf der Homepage des JU-Kreisverbands München-Nord vor, und außerdem findet er, dass die Kanzlerin fertig hat. Die Herrschaft des Unrechts sei ja nun so weit beendet, sagt der junge Mann ins Saalmikrofon, aber was politische Führung angehe: „Ich glaube nicht, dass das mit Ihnen noch möglich ist.“ Angela Merkel sitzt auf dem Podium und macht sich Notizen. Der Deutschlandtag der Jungen Union ist immer eine Härteprüfung für CDU-Vorsitzende. Diesmal könnte er das Zeug zum Menetekel haben. Könnte. Denn der Aufstand bleibt aus.

Dabei ist die Unzufriedenheit groß. JU-Chef Paul Ziemiak hat am Freitagabend in der Kieler Sparkassenarena den Ton vorgegeben: „Die Große Koalition taumelt von Krisensitzung zu Krisensitzung“, schimpfte Ziemiak, darauf hätten die Leute „keinen Bock“. Bei Umfragewerten bis runter auf 26 Prozent für die Union könne man auch nicht mehr bloß sagen, „warten wir mal ab“. Was allerdings eventuelle Personalfragen angeht, die sich aus dieser Diagnose ergeben könnten, empfahl Ziemiak doch lieber Abwarten bis nach den Landtagswahlen. Für die Doppelbotschaft bekam er 91 Prozent der Stimmen, Rekord für einen JU-Chef. 

Merkel stichelt gegen den JU-Vorstand

Als Merkel am Samstag in ihrem roten Sakko für Kampfeinsätze in den Saal einzieht, bleiben in den hinteren Bankreihen etliche Junge sitzen. „Das sind immer fordernde Auftritte“, merkt die CDU-Chefin an und geht sofort zur offensiven Selbstkritik über: „Ich kann alle verstehen, die sich nach dem enttäuschenden Wahlergebnis ein anderes Jahr gewünscht hätten.“ „Fingerhakeln“ und Selbstbeschäftigung statt Sachpolitik - „das war auch aus meiner Sicht enttäuschend.“

Aber aufhalten will sich Merkel damit nicht. Die Parteijugend bekommt eine ungeduldige Vorsitzende präsentiert. „Die Welt schläft nicht“, sagt Merkel, „die Welt verändert sich rasant.“ Und Deutschland? Zu langsam, zu unflexibel, zu sehr auf sich selbst bezogen. Nur mal die Migrationsfrage genommen: „Manchmal diskutieren wir das Thema so, als lebten wir noch im Sommer 2015!“ 

Der Beifall fällt nicht enthusiastisch, aber doch freundlich aus, wozu sicher Merkels Schlussstichelei beiträgt: Also, der am Vorabend gewählte geschäftsführende Vorstand – die Vorsitzende blickt vom Pult zur Seite. Lauter Männer. „Ich sag' Ihnen, Frauen bereichern das Leben, nicht nur privat, auch politisch! Sie wissen gar nicht, was Ihnen entgeht!“ Der geschäftsführende Vorstand schaut etwas betreten drein.

Abreibung für den bayerischen Kritiker

Dann kommt die Fragerunde. „Sagen Sie auch, wenn Sie unzufrieden sind“, ermuntert Merkel. Unzufrieden ist die Junge Union mit den eigenen Perspektiven für die Rente, der Fortexistenz des Solidaritätszuschlags und den Abgas-Grenzwerten für Dieselautos. Merkel antwortet mit Routine und ihren berüchtigten Detailkenntnissen, Tenor: Mal eben in Brüssel die Feinstaub-Grenzwerte anheben lassen – wie stellt ihr euch das vor?

Und der selbstbewusste Herr Böttger kriegt eine Abreibung: „Erstens, verzeihen Sie mir, aber diesen Begriff der 'Herrschaft des Unrechts', den weise ich zurück!“ Was die Bundesregierung in der Flüchtlingskrise getan habe, sei ihr von Gerichten bestätigt worden: „Bitte fangen wir nicht mit so was an!“ 

Das findet die große Mehrheit im Saal auch. Der Münchner bleibt alleine. Später absolviert der CSU-Landesgruppenvorsitzende Alexander Dobrindt seinen Gastauftritt vor einem derart beifallsunwilligen Publikum, dass man mindestens von Unhöflichkeit reden muss. Dabei spricht Dobrindt sicherheitshalber gar nicht über Flüchtlinge, sondern schimpft über die Linken, als stehe das Land unmittelbar vor einem kommunistischen Umsturz.

Die JU schickt Merkel nachträglich in Rente

Die Feindbild-Nummer zündet sonst immer, diesmal aber nicht. Die Delegierten haben offenkundig Dobrindts Rolle im Berliner Gezänk vor Augen. Damit wird er zum Mann von gestern. Die Parteijugend interessiert sich für die von morgen. Wenn nur der Name „Ralph Brinkhaus“ fällt, brandet gleich Applaus auf; der Volker-Kauder-Stürzer kommt am Sonntag nach Kiel. Jens Spahn kriegt den mit Abstand längsten Beifall des Tages. Der Gesundheitsminister übt gerade den Imagewechsel vom konservativen Flügelspieler zum Mann von – er sagt es selber - „Maß und Mitte“. Seine Rede reicht von der Pflegereform über die Zukunft Europas bis ins Visionäre: „Das Beste kommt noch!“ Das könnte glatt als Übung für eine Parteitagsbewerbung durchgehen. Draußen im Foyer kann man bei der Mittelstandsjugend per Tischtennisball-Abstimmung auf die Merkel-Nachfolge tippen. Dort führt allerdings Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer. 

Ziemiak schenkt Merkel am Ende ein Paar Wandersocken und eine gelben Gummijacke. „Aus diesem Geschenk schlussfolgere ich, dass Sie mich nicht im Regen stehen lassen wollen“, dankt die Parteichefin. Das jedoch könnte voreilig sein. Kaum ist Merkel weg, schickt die JU sie sozusagen nachträglich in Rente: Sie stimmt für einen Antrag, die Amtszeit von Kanzlern auf drei Wahlperioden zu begrenzen.

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