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SPD-Politiker Carsten Schneider kämpft gegen den Niedergang der SPD in Ostdeutschland.

© picture alliance /dpa/Martin Schutt

Krise der Sozialdemokraten: Ost-SPD kämpft gegen Sturz in die Bedeutungslosigkeit

Die SPD regiert in fast allen ostdeutschen Ländern mit oder stellt sogar den Länderchef. Bei drei Landtagswahlen 2019 aber droht den Genossen ein Debakel.

Die ostdeutsche SPD steckt in einer tiefen Krise. Zwar sitzen die Sozialdemokraten in fast allen neuen Bundesländern in der Regierung. In Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern stellen sie sogar die Länderchefs. Doch die ostdeutschen Genossen befinden sich auf dem Rückzug. Außer in Berlin landeten die Sozialdemokraten bei der Bundestagswahl 2017 im Osten überall auf dem vierten Platz, abgeschlagen hinter CDU, Linke und AfD. Und das dicke Ende steht ihnen noch bevor: In gut einem Jahr wählen drei ostdeutsche Bundesländer neue Landtage. Dann könnte die SPD vernichtend geschlagen werden. In Brandenburg droht den regierenden Sozialdemokraten ein Absturz um rund neun Prozentpunkte. Die Umfragen sehen sie bei 23 Prozent. In Sachsen und Thüringen könnten sie unter die Zehn-Prozent-Hürde abrutschen – dorthin, wo sich die Klein- statt der Volksparteien tummeln. Es könnte das Ende der Ost-SPD einleiten.

Unbedingt verhindern will das der Thüringer Sozialdemokrat Carsten Schneider. Er ist einer der wenigen ostdeutschen SPD-Politiker, die bundesweit etwas zu sagen haben. Ein überregional bekanntes Gesicht hat er zwar nicht, aber als Erster Parlamentarischer Geschäftsführer ist er so etwas wie der Manager der SPD-Bundestagsfraktion – und damit ein einflussreicher Mann. Bei ihm laufen die Fäden zusammen, er organisiert die Zusammenarbeit der 153 sozialdemokratischen Parlamentarier. Die 20 Ost-Abgeordneten habe er in wichtigen Ausschüssen unterbringen können, sagt er stolz. Er versteht sich als jemand, der in Berlin für die Belange der neuen Länder kämpft.

Am Freitag steht Schneider in einem Reisebus und hält wie ein Fremdenführer ein Mikrofon in der Hand. Draußen rauscht die Erfurter Vorstadt vorbei. Schneider ist auf einer Sommerreise mit Berliner Journalisten unterwegs. Er führt die Pressevertreter durch seine Heimatstadt Erfurt, zeigt ihnen die Gegend. Es geht ins Gewerbegebiet zu einem Logistikunternehmen, dem größten Arbeitgeber der Region. Auf dem Weg zeigt der SPD-Politiker durchs Busfenster auf schmucke Neubauten. Das „Rotdachviertel“ sagten die Einheimischen dazu, erklärt er. „Rechter Hand: Kleingartenanlagen“, ruft Schneider ins Mikrofon. „Dort vorne: Studentenwohnungen.“ Die zahlreichen neuen Häuser zeigen: Erfurt hat sich gut entwickelt seit der Wende, die Stadt wächst. Dank der neu angesiedelten Industrie herrscht fast Vollbeschäftigung. Und trotzdem: Auch hier finden die Rechtspopulisten großen Zuspruch. Der AfD-Kandidat Stephan Brandner gewann bei der Bundestagswahl 17,5 Prozent – nur ein paar Hundert Stimmen weniger als Schneider. „Total bitter“, sagt der SPD-Mann, „das hat mich tief getroffen.“

Die Schwäche der Ost-SPD hat viele Gründe

Ist für die SPD der Osten schon längst verloren? Auf die Frage reagiert Schneider mit einem kurzen Seufzer. Für die anstehende Landtagswahl sei es vielleicht schon zu spät, das Ruder noch herumzureißen. Den Kampf werde er aber sicher nicht aufgegeben, beteuert Schneider – auch wenn die Zukunft der ostdeutschen Sozialdemokratie schwierig werde. „Das ist mein täglich Brot, ich kenne es nicht anders.“ Seit 1998 sitzt der 42-Jährige im Bundestag. Hier im Erfurter Umland kennt er jedes Dorf – und fast jeden der wenigen Sozialdemokraten, die es hier gibt.

Die Schwäche der SPD im Osten habe viele Gründe, sagt er. Es gebe nur wenige Wahlkämpfer, keine echte sozialdemokratische Stammwählerschaft, dafür impulsive Wechselwähler, die schnelle, harte Urteile fällten. Aktuell nutzen viele Menschen ihre Stimme für die AfD, um Frust über die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung abzubauen „Wie ein Ventil“, sagt Schneider. Die SPD müsse deshalb den Kampf mit der AfD aufnehmen. Die Lösung? „Nach links rücken“, ist der ehemalige Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises überzeugt. Schneider setzt auf das Thema Steuergerechtigkeit, das die SPD zu lange außer Acht gelassen habe.

In der sozialen Frage üben nicht nur die Linken, sondern auch die AfD inzwischen mächtig Druck auf die SPD aus. Vor allem in Thüringen: Im Gegensatz zu ihren westdeutschen Landesverbänden nimmt die dortige AfD unter ihrem Anführer Björn Höcke soziale Themen in den Blick, etwa mit einem eigenen Rentenkonzept. Dass die SPD seit Hartz IV viel Glaubwürdigkeit eingebüßt hat, macht es den Rechtspopulisten leicht. Gerade im Osten, wo nach der Wende unzählige Werke geschlossen wurden und in der Folge die Arbeitslosigkeit in die Höhe schoss, hat viele die Agenda 2010 hart getroffen. Sie hatten den Eindruck, ihre Lebensleistung in der ehemaligen DDR werde von der SPD nicht wertgeschätzt.

Diese Menschen will vor allem Schneiders Genosse Martin Dulig zurückgewinnen. Er ist Chef der sächsischen SPD, stellvertretender Ministerpräsident sowie Wirtschaftsminister in Sachsen – und seit Frühjahr offiziell Ostbeauftragter der SPD. Seine Partei sei „sehr westdeutsch“ geprägt, kritisiert Dulig. Es stimmt: Von den rund 450 000 Mitgliedern stammen nur ein paar Tausend aus dem Osten. Der Partei fehle deshalb das Verständnis für die Stimmung in Ostdeutschland, das Gefühl, abgehängt zu sein, sagt Dulig. Er will deshalb „Stimme des Ostens“ sein. Doch ob sich über den Opfermythos Wähler zurückgewinnen lassen? Besetzt doch auch hier schon die AfD das Thema, das früher vor allem von der PDS und später den Linken bedient wurde.

Von „Opfern“ will Schneider lieber nicht sprechen. Er denkt aber, die SPD im Westen müsse erkennen, dass der Osten eben doch anders ticke; dass viele andere Auffassungen hätten als etwa die Menschen in Köln oder Hannover – zum Beispiel, was den richtigen Umgang mit Russland angehe. „Die SPD muss auch innerhalb der Partei solche Kontroversen zulassen“, fordert Schneider. „Da können wir noch besser werden.“ Das lässt sich freilich auch über die aktuellen Umfragewerte der SPD sagen.

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