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Suchende CDU, anpassungsfähige CSU: Parteichefs Annegret Kramp-Karrenbauer und Markus Söder.

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Krise der Parteien: Auf der Suche

Das neue Jahr zwingt die Parteien, Ziele neu zu definieren. Wer in den Führungen meint, sie hätten viel Zeit dazu, der irrt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Zum Jahreswechsel fasst man gute Vorsätze. Das gehört nicht nur bei den Menschen zum Ritual, sondern auch bei vielen Parteien. Geradezu legendär sind die politischen Fanfarenstöße der CSU aus Wildbad Kreuth, das jetzt als Besinnungsort vom Kloster Seeon abgelöst wurde.

Und dann natürlich die Dreikönigstreffen der FDP im Stuttgarter Staatstheater, in dem die Liberalen beides so schön inszenieren können, wenn sie gerade an der Macht sind – Staat und Theater.

Aber dieses Jahr 2020 zwingt viele Parteien, Ziele neu zu definieren, denn sie sind erkennbar auf der Suche nach sich selbst. Wenn die Parteispitzen die Wahlergebnisse der letzten Bundestagswahl mit den heutigen Prognosen vergleichen, müssen bei fast allen Selbstzweifel aufkommen.

Nur die AfD kann sich in ihrer totalen Negation des Bisherigen bestätigt fühlen. Sie schöpft ihre Kraft aus der Mobilisierung von Ressentiments. Es ist ein vergifteter Boden, auf dem sie gedeiht.

Aus anderen Gründen profitieren die Grünen davon, dass ihre Konkurrenten verbraucht und personell ausgelaugt wirken. Zudem hat der Markenkern der Grünen, der Klima- und Umweltschutz, Hochkonjunktur, und die wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auch anhalten. Alle anderen Parteien stehen vor der Herausforderung, den eigenen Kurs und die originären Schwerpunkte neu zu definieren.

Bei der SPD ist das besonders quälend, weil sie nicht nur ihr gesamtes Führungspersonal radikal ausgewechselt hat, sondern außerdem inhaltlich eine neue Orientierung sucht. Sie leidet am Mitregieren, weil sie glaubt, sich in der Koalition mit der Union nicht mehr selbst verwirklichen, ja, sich sogar nicht einmal mehr selbst wiedererkennen zu können.

Selbstzweifel

Ewige Weisheiten wie die ihres einstigen Vorsitzenden, Franz Müntefering, wonach Opposition Mist sei, zählen nicht mehr viel, zumindest außerhalb der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion. Die Abgeordneten von heute können sich jedoch ausrechnen, dass vermutlich ein Viertel oder gar ein Drittel von ihnen bei einer Neuwahl kein Mandat mehr erreichen würde. Die Wahlprognosen sagen das ziemlich durchgängig.

Von Selbstzweifeln ist auch die CDU erfasst. Der muss freilich niemand sagen, dass Regieren befriedigender als Opponieren ist. CDU und CSU verstanden sich schon immer als Kanzlerwahlvereine, die den Machterhalt über innerparteiliche Ränkespiele stellten.

Annegret Kramp-Karrenbauer oder Friedrich Merz, das ist zwar auch eine Richtungsfrage. Aber wer da für was steht, lässt sich bei der Parteivorsitzenden weniger leicht beantworten als bei ihrem Konkurrenten. Der jedoch grämt sich noch immer über die knappe Niederlage beim Hamburger Parteitag.

Wie anpassungsfähig konservative Parteien sein können, demonstriert am überzeugendsten im Moment die CSU. Deren Vorsitzender, Markus Söder, hat aus den empfindlichen Stimmverlusten bei der letzten Landtagswahl 2018 und den parallelen Zugewinnen der Grünen die Lehre gezogen: Die CSU muss dahin, wo die Wähler sind, wenn die Wähler nicht zur Partei kommen. Wie schwer die Umsetzung des Imagewandels in der Praxis fällt, haben ihm die demonstrierenden Bauern vor dem Kloster Seeon gezeigt. Und dass die eigenen Leute, die um die ländlichen Stimmen fürchten, mitziehen, ist auch längst nicht angemacht.

Einen Schnellkurs im Sich-neu-Erfinden und Dennoch-sich-treu-Bleiben absolviert die FDP. So sozial sein wie die alte SPD, marktwirtschaftlich wie die CDU; dabei liberal wie Gerhard Baum und Ralf Dahrendorf, also Pluralität zuzulassen, wo doch ein Einzelner immer noch die Partei dominiert – eine nur schwer lösbare Aufgabe.

Und dann nagt da noch immer die Flucht vor der Jamaika-Koalition im Jahr 2017 am Selbstwertgefühl. Kann man eine Partei wählen, die vor der Verantwortung zurückscheut?

Wer in den Parteizentralen meint, es gebe viel Zeit zur Besinnung, irrt. 2021 stehen fünf Wahlen in Bundesländern und eine Bundestagswahl an.

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