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Mehr Gewalt, weniger Einbrüche - das weist die Kriminalstatistik 2016

© Michael Kappeler/dpa

Kriminalstatistik 2016: Berlin ist die Hauptstadt des Verbrechens

Totschlag, Sexualdelikte, Körperverletzungen - die Zahl der Gewalttaten ist laut Polizeistatistik deutlich gestiegen. Die Gesamtzahl der Straftaten allerdings nicht.

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Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat eine zunehmende „Verrohung“ in der Gesellschaft beklagt. Dies werde im allgemeinen gesellschaftlichen Umgang , etwa im Internet, deutlich und auch bei der Entwicklung der Kriminalität. „Da ist etwas in unserem Land ins Rutschen geraten“, sagte de Maizière am Montag bei der Vorstellung der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik 2016. Danach stieg die Zahl der Gewaltdelikte im Vergleich zu 2015 im vergangenen Jahr mit 6,7 Prozent deutlich an. Bei der gefährlichen und schweren Körperverletzung verzeichnete die Polizei sogar fast zehn Prozent mehr Fälle. „Das ist ein Weckruf an uns alle“, sagte de Maizière. „Jeder ist aufgerufen, dem entgegenzutreten.“ Der Minister forderte eine respektvolles Miteinander. „Dem müssen wir wieder mehr Geltung verschaffen.“

Rekord an politisch motivierten Taten

Insgesamt zog de Maizière jedoch eine positive Bilanz der Kriminalitätsentwicklung in Deutschland. Trotz der starken Zuwanderung von mehr als einer Million Menschen sei die Kriminalität insgesamt nicht gestiegen. Die Zahl der Wohnungseinbrüche ging sogar um rund zehn Prozent zurück. „Unsere Konzepte greifen hier“, sagte der Minister. Damit sich der Trend fortsetze, müssten härtere Strafen verhängt werden. Einbrüche in Privatwohnungen sollten nicht unter einem Jahr Gefängnis bestraft werden, sagte de Maizière weiter. Er setzt hier auf eine abschreckende Wirkung, zumal 80 Prozent der Tatverdächtigen bei Einbruch schon bei der Polizei bekannt seien. Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU), sagte bei der Vorstellung der Statistik, vor allem Personalaufstockungen und Investitionen in die Ausrüstung der Polizei in den Ländern hätten zum Rückgang von Einbruchs- und Diebstahlsdelikten geführt.

Berlin hat trotz eines leichten Kriminalitätsrückgangs die schlechteste Bilanz aller Bundesländer und deutschen Großstädte aufzuweisen. In der Bundeshauptstadt werden bezogen auf tausend Einwohner nicht nur die meisten Straftaten begangen, auch die Aufklärungsrate der Polizei ist hier besonders schlecht. Die Gewerkschaft der Polizei wundert das nicht: „Die Stadt wächst seit Jahren, unser Personalbestand aber nicht, das schafft jede Menge Tatgelegenheiten“, sagte GdP-Sprecher Benjamin Jendro dem Tagesspiegel. Innensenator Andreas Geisel (SPD) wies darauf hin, dass die Zahl der registrierten Straftaten in Berlin auf 568860 gesunken ist, obwohl die Bevölkerung um 60000 Menschen gestiegen sei. „Das sind gute Signale“, sagte Geisel dem Tagesspiegel.

Aus der Kriminalstatistik geht auch hervor, dass gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil unter den Tatverdächtigen überdurchschnittlich viele Geflüchtete sind. Unter den ausländischen Tatverdächtigen stieg ihr Anteil um mehr als 50 Prozent. Laut Ulbig gibt es eine kleine Gruppe von Zuwanderern, die immer wieder Straftaten begeht. Insgesamt stieg die Zahl ausländischer Straftäter um rund zehn Prozent.

Einen traurigen Rekord stellte die Polizei zudem bei politisch motivierten Delikten fest. Zum Anstieg trugen vor allem Rechtsextremisten und die Kontrahenten innertürkischer Konflikte bei. Die Zahl der rechten Gewalttaten wuchs um mehr als 14 Prozent auf 1698, die der ausländischen Fanatiker sogar um 73 Prozent auf 597. Linke Gewaltdelikte gingen hingegen um rund 24 Prozent auf 1702 zurück.

Wie hat sich die Kriminalität in Berlin entwickelt?

Berlin trägt jetzt den zweifelhaften Titel Hauptstadt des Verbrechens. In keiner anderen deutschen Großstadt und auch in keinem anderen Bundesland wurden pro tausend Einwohner mehr Straftaten verübt. Gestiegen ist die Kriminalität in der Bundeshauptstadt 2016 aber nicht. Statistisch ging sie sogar um 0,1 Prozent zurück. Berlin landete auf Platz eins, weil die Kriminalität in einigen anderen Großstädten stärker zurückgegangen ist. Allerdings hat Berlin mit 40,5 Prozent bundesweit die geringste Aufklärungsquote. Laut Innensenator Andreas Geisel (SPD) wird das Bild in Berlin von Eigentumsdelikten geprägt. „An vorderster Stelle liegt der Taschendiebstahl, gefolgt vom Ladendiebstahl, dem Diebstahl von Kraftfahrzeugen sowie dem Fahrraddiebstahl. Bei diesen Straftaten ist die Aufklärungsquote sehr gering. Das kann uns nicht zufrieden stellen“, sagte Geisel dem Tagesspiegel. Thüringen und Bayern haben Aufklärungsquoten von mehr als 60 Prozent. Alarmierend ist der Abwärtstrend: 2015 wurden in Berlin noch 2,5 Prozent mehr Verbrechen aufgeklärt.

Wie stehen andere Großstädte da?

Vielen deutschen Großstädten ist es 2016 gelungen, die Kriminalität zurückzudrängen. Frankfurt am Main, Verbrechenshauptstadt 2015, verzeichnete im vergangenen Jahr beispielsweise 3,3 Prozent weniger Straftaten. Deutlich verbessert hat sich die Situation in Augsburg (minus 10,8 Prozent), München (minus 14,2 Prozent) und Stuttgart (minus 11,4 Prozent). Auffallend ist zudem der Rückgang der Kriminalität um sieben bis neun Prozent in den großen Ruhrgebietsmetropolen. Nordrhein-Westfalen steht insgesamt gut da, denn auch in Köln (minus 6,2 Prozent) und Düsseldorf (minus 7,5 Prozent) wurden weniger Straftaten festgestellt. Ausreißer nach oben sind hingegen die ostdeutschen Städte Erfurt und Leipzig, in Erfurt wurden 13,7 Prozent mehr Straftaten verübt, in Leipzig sogar 20,4 Prozent mehr.

Warum hat Berlin die Trendwende nicht geschafft?

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) ist nicht überrascht, dass Berlin Spitzenreiter ist. „Die Stadt wächst seit Jahren, unser Personalbestand aber nicht, das schafft jede Menge Tatgelegenheiten“, sagte GdP-Sprecher Benjamin Jendro dem Tagesspiegel. Wegen der hohen Aufgaben- und Einsatzbelastungen könne die Berliner Polizei nicht die Präsenz auf die Straße bringen, die notwendig wäre, um Straftaten zu verhindern. Ein anderer Aspekt sei der juristische Umgang mit Straftaten, gerade bei den Massendelikten. Es habe seinen Grund, so Jendro, warum organisierte Banden beispielsweise München meiden und „zum Klauen und Dealen“ lieber in die Hauptstadt kämen.

Wie hat sich die Kriminalität allgemein entwickelt?

Deutschland ist weder sicherer noch unsicherer geworden. 2016 wurden insgesamt 0,7 Prozent mehr Straftaten registriert als 2015. Bei einzelnen Delikten gibt es indes sehr unterschiedliche Entwicklungen. Bundesinnenminister de Maizière (CDU) stellte besonders den Rückgang von Wohnungseinbrüchen um fast zehn Prozent heraus. Auch die Zahl der Ladendiebstähle war leicht rückläufig. Besorgniserregend sei die Zunahme von Gewaltdelikten wie Mord, Körperverletzung und Sexualstraftaten um fast sieben Prozent. Auch Polizeibeamte und sogar Rettungskräfte werden laut de Maizière vermehrt angegriffen.

Wie sind die Veränderungen zu erklären?

Nach Ansicht des Bundesinnenministers ist die steigende Gewaltbereitschaft Hinweis auf eine Verrohung in der Gesellschaft, die auch im Internet deutlich werde. Die Erfolge bei der Kriminalitätsbekämpfung führt er vor allem auf schärfere Gesetze und neue Techniken zurück. So ließen sich durch eine neue Software künftige Einbruchsschwerpunkte ausmachen, die dann besser überwacht würden. Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU), derzeit Vorsitzender der Innenministerkonferenz, nannte zudem massiv gestiegene Investitionen bei Personal und Ausrüstung der Länderpolizeien. Der Anstieg der angezeigten sexuellen Übergriffe könnte laut de Maizière indes darauf zurückzuführen sein, dass mehr Opfer zur Polizei gingen.

Wie hoch ist der Anteil von Flüchtlingen unter den Tätern?

Zwei Zahlen stechen in der Kriminalstatistik deutlich hervor: Unter den Straftätern waren 2016 insgesamt fast elf Prozent mehr Ausländer als noch 2015. Zu dieser Gruppe zählen auch – aber nicht nur – Tatverdächtige, die als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind. Ihr Anteil an den ausländischen Straftätern stieg um 52,7 Prozent, von 114238 auf 174438. De Maizière sprach von einer überproportionalen Zunahme. „Da gibt es nichts zu beschönigen“, sagte der Minister. Auch der Anstieg der Gewaltdelikte gehe vor allem auf das Konto von Zuwanderern. Es gebe hier ein Prozent mehr deutsche Tatverdächtige, jedoch 90 Prozent mehr tatverdächtige Zuwanderer. Opfer seien meist andere Zuwanderer.

Viele dieser Taten, so der Minister, gingen auf Konflikte zurück, die auch im Kontext beengter Wohnverhältnisse gesehen werden müssten. Aber auch sexuelle Übergriffe nach dem Muster der Kölner Silvesternacht fielen in diese Rubrik. Auffällig werden laut de Maizière besonders junge Männer – was ebenso für deutsche Tatverdächtige gilt. Ulbig erklärte, es gebe eine kleine Gruppe von Flüchtlingen, die immer wieder durch Straftaten auffalle. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) begrüßte, dass der Anteil tatverdächtiger Zuwanderer in der Statistik ausgewiesen wird. Wer ein bisschen Menschenverstand habe, der wisse, dass die Ursache kriminellen Handelns weder in der Nationalität noch in der Ethnie begründet sei, sagte GdP-Sprecher Jendro. Die hohe Ausländerkriminalität zeige aber, „dass wir gesellschaftspolitisch mehr leisten müssen, um den Trend umzukehren“. De Maizière betonte zudem noch einmal, dass „trotz der Zuwanderung von mehr als einer Million Menschen die Kriminalität insgesamt in unserem Land nicht gestiegen ist“.

Welche Rolle spielen politisch motivierte Straftaten?

Die Kriminalität von Extremisten hat 2016 den höchsten Stand seit 15 Jahren erreicht. Die Polizei registrierte bundesweit 41 549 Straftaten. Das sind 6,6 Prozent mehr als im Jahr 2015 (38 981 Delikte) und so viele wie nie zuvor seit 2001, als die Innenminister von Bund und Ländern das polizeiliche Meldesystem „Politisch motivierte Kriminalität (PMK)“ einführten. Die Zahlen stehen in der PMK-Bilanz, die Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) am Montag in Berlin vorgestellt hat.

Etwas rückläufig ist allerdings die Summe der politisch motivierten Gewalttaten. Die Polizeien der Länder meldeten dem Bundeskriminalamt für 2016 insgesamt 4311 einschlägige Delikte. Im Jahr zuvor waren es 4402. Die Gewalttäter töteten 14 Menschen. In der Zahl sind die zwölf Todesopfer der Amokfahrt des islamistischen Terroristen Anis Amri in Berlin enthalten sowie der Polizist, den im Oktober im bayerischen Georgensmünd ein Reichsbürger erschoss. 2616 Menschen wurden bei Angriffen politischer Fanatiker verletzt (2015: 2561).

Überraschend wird nach Recherchen des Tagesspiegels ein bislang als unpolitisch geltendes Tötungsverbrechen offenbar als islamistisch motiviert eingestuft. Im Mai 2016 hatte auf dem Bahnhof von Grafing (bei München) ein Mann „Allahu akbar“ gerufen und auf vier Menschen eingestochen. Ein Opfer starb. Die Polizei wertete den Fall zunächst als Tat eines geistig Verwirrten. Dass der Fall jetzt doch als politisches Delikt genannt wird, erstaunt auch, weil ihn der bayerische Verfassungsschutz in seinem kürzlich veröffentlichen Jahresbericht nicht erwähnt.

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