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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan

© imago images/ZUMA Press/Ettore Ferrari

Krieg, um Wahlen zu verschieben?: Erdogan droht mit neuem Einmarsch in Syrien

Der türkische Präsident Erdogan hat sich ein neues Mandat für Auslandseinsätze geholt. Die Opposition wirft ihm vor, aus persönlichen Interessen zu handeln.

Die türkische Regierung hat für zwei Jahre freie Hand zur Entsendung von Truppen nach Syrien und in den Irak. Präsident Recep Tayyip Erdogan holte sich jetzt ein Mandat vom Parlament in Ankara, das ihm auch die Stationierung ausländischer Streitkräfte in der Türkei erlaubt.

Erdogan droht seit Wochen mit einem neuen Einmarsch in Nord-Syrien. Die Opposition wirft dem innenpolitisch angeschlagenen Präsidenten vor, er wolle einen Krieg anzetteln, um die spätestens 2023 anstehenden Wahlen verschieben zu können.

Erdogans Regierung erklärte in ihrer Beschlussvorlage für das Parlament, die Bedrohungen an den Südgrenzen des Landes nähmen zu. Deshalb müssten auch in den kommenden zwei Jahren grenzüberschreitende Militäraktionen möglich sein. Im Nordirak kämpfen türkische Soldaten gegen die Terrororganisation PKK; der Einsatz dort dauert schon viele Jahre.

Innenpolitisch umstritten sind vor allem die Militäraktionen im Norden Syriens. Erdogan hat seit 2016 den Befehl zu drei Interventionen gegeben, mit denen die PKK-nahe syrische Kurdenmiliz YPG aus dem Grenzgebiet vertrieben werden sollte. Zudem rückten türkische Truppen in die syrische Provinz Idlib ein, um dort eine Offensive syrischer Regierungstruppen aufzuhalten.

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Seit dem Tod von zwei Mitgliedern einer türkischen Spezialeinheit nahe der nordsyrischen Stadt Tel Rifat vor zwei Wochen droht Erdogan mit einer fünften Intervention. Der Einmarsch sei „unvermeidlich“, meldete der türkische Staatssender TRT.

[Mehr zum Thema: Berechnend unberechenbar: Warum eskaliert der türkische Präsident den Streit mit voller Absicht? (T+)]

Mit der Einnahme von Tel Rifat könnte die Türkei ihre Position in Nord-Syrien stärken und ihren Einfluss im Gebiet nördlich der syrischen Wirtschaftsmetropole Aleppo ausbauen. Allerdings braucht Erdogan dafür die Zustimmung Russlands, das in der Gegend die Lufthoheit besitzt. Bisher ist unklar, ob Moskau einem solchen Einsatz zustimmen und welche Gegenleistungen der Kreml von der Türkei verlangen wird.

Bisher konnte sich Erdogan in den Debatten über Syrien-Einsätze auf einen breiten innenpolitischen Konsens stützen. Seit 2013, als das Parlament zum ersten Mal die Erlaubnis für Syrien-Missionen der Armee im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) erteilte, hatte die linksnationale Partei CHP als größte Oppositionskraft die Mandate stets mitgetragen.

Fast alltägliches Bild: Rauchschwaden nach einem Angriff des IS auf syrische Streitkräfte.
Fast alltägliches Bild: Rauchschwaden nach einem Angriff des IS auf syrische Streitkräfte.

© Zohra Bensemra/Reuters

Nun aber verweigerte die CHP gemeinsam mit der pro-kurdischen Partei HDP und kleineren Linksparteien ihre Zustimmung im Plenum. Das Mandat ging trotzdem durch: Die konservativen Oppositionsparteien IYI Parti und Deva stimmten mit den Regierungsfraktionen, der Erdogan-Partei AKP und deren rechten Koalitionspartnerin MHP.

Die CHP wirft Erdogan vor, nicht im nationalen Interesse zu handeln, sondern seine eigene politische Zukunft retten zu wollen. Die Regierung fordere die Zustimmung des Parlaments zu dem Vorhaben, Soldaten zu verheizen, außenpolitische Abenteuer zu beginnen und notfalls die Wahlen 2023 mit Hilfe einer „Kriegserklärung“ in Syrien auf einen späteren Termin zu verlegen, sagte der CHP-Politiker Özgür Özel in der Debatte.

Regulärer Wahltermin kann aus „Kriegsgründen“ verschoben werden

Die türkische Verfassung sieht die Möglichkeit vor, den regulären Wahltermin aus „Kriegsgründen“ um ein Jahr oder mehr zu verschieben. Özel begründete seinen Verdacht damit, dass die Regierung zum ersten Mal eine Verlängerung der Auslandseinsätze um zwei Jahre durchsetzte: Bisher waren die Mandate immer nur für ein Jahr erteilt worden.

Erdogans AKP und die MHP verlieren wegen der Wirtschaftskrise in der Türkei seit Monaten an Unterstützung und müssen laut Umfragen bei den nächsten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen, die spätestens in anderthalb Jahren stattfinden müssen, mit einer Niederlage rechnen.

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Ein Oppositionsbündnis aus CHP und IYI Parti liegt gleichauf mit der Allianz aus AKP und MHP, doch könnte der Oppositionsblock mit Unterstützung der pro-kurdischen HDP rechnen und der Regierung damit die Mehrheit im Parlament abjagen. Auch Erdogans persönliche Popularität nimmt ab; bei der Sonntagsfrage liegt er hinter den beliebtesten Oppositionspolitikern.

Die Opposition kritisierte auch, es sei nicht klar, welche ausländischen Truppen in der Türkei stationiert werden sollten. Sie spekulierte, dass damit pro-türkische Milizen aus Syrien gemeint sein könnten. Vielleicht wolle Erdogan ja sogar die afghanischen Taliban zur Hilfe rufen, sagte Oppositionschef Kemal Kilicdaroglu.

Regierungskritiker werfen Erdogan außerdem vor, mit zweierlei Maß zu messen. Noch vor zwei Tagen habe der Präsident mit dem Rauswurf westlicher Botschafter gedroht, weil diese sich angeblich in innere türkische Angelegenheiten eingemischt hätten, schrieb der Journalist Yalcin Dogan auf der Nachrichtenplattform T24. Erdogan finde aber nichts dabei, Truppen nach Syrien oder Libyen zu schicken – da sei dann keine Rede mehr von Einmischung.

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