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Assad und Putin - das scheinen derzeit die Gewinner zu sein im Kampf um die Herrschaft in Syrien.

© Hassan Ammar, dpa

Krieg in Syrien: Putin lädt zur Friedenskonferenz nach Sotschi

Russland hat zu Gesprächen über die Zukunft Syriens eingeladen. Nach der Niederlage des IS könnten alte Interessengegensätze wieder aufbrechen. Eine Analyse.

Die Vereinten Nationen sind gescheitert. Wieder einmal. Der Syrien-Konflikt ist während einer zweitägigen Konferenz in Wien am Ende der vergangenen Woche der Lösung nicht einen Schritt nähergekommen. Nun hat Russlands Präsident Wladimir Putin für Montag und Dienstag zu einem „Kongress der Völker Syriens“ in seine Winterhauptstadt Sotschi eingeladen. Dabei sollen die inneren wie äußeren Akteure des syrischen Dramas Grundzüge einer Nachkriegsordnung skizzieren. Auch über diesen Verhandlungen liegt bereits ein Schatten: Die größte syrische Oppositionsgruppe hat ihre Teilnahme abgesagt.

Für Russland steht von allen ausländischen Kriegsparteien derzeit wohl am meisten auf dem Spiel. Putin hatte bereits im Dezember den Sieg über die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) verkündet. Die militärische Niederlage der Dschihadisten hat aber kein Ende des innersyrischen Konflikts gebracht, sondern die Situation noch komplizierter werden lassen. Mit dem IS gab es einen gemeinsamen Feind. Jetzt verfolgen alle Kriegsparteien – externe Mächte eingeschlossen – wieder ihre eigenen, unvereinbaren Interessen. Und das vorzugsweise mit militärischer Gewalt.

Hohes Risiko für Putin

So unmittelbar vor den russischen Präsidentschaftswahlen reichen die Risiken für Putin bis in die Innenpolitik. Aus Moskauer Perspektive hat sich der Syrien-Konflikt sogar verschärft. Das Jahr begann mit einer Art asymmetrischem Krieg, es gab Drohnenangriffe gegen russische Militärbasen, Anschläge auf Hubschrauber und Soldaten. Die Aktionen zeigen, wie zweifelhaft Putins Siegesmeldung ist. Würde der Krieg wieder eskalieren oder auch nur die Zahl der Anschläge auf die eigenen Kräfte steigen, wäre der russische Präsident in fataler Erklärungsnot. Er braucht – wohl als Einziger der in Sotschi Anwesenden – einen vorzeigbaren Erfolg zumindest auf dem Papier.

Angesichts der wachsenden Risiken ist in Russland deshalb auch nicht zufällig gerade jetzt die Diskussion um die Legalisierung von Privatarmeen wieder in Gang gekommen. Von ihrer bloßen Existenz weiß ein Großteil der russischen Bevölkerung nichts. Das Staatsfernsehen, die wichtigste und in der Provinz oftmals einzige Informationsquelle, berichtet darüber nicht. Russische Söldner, vergleichbar den berüchtigten amerikanischen „Blackwater“-Einheiten, sind aber bereits seit 2013 in Syrien im Einsatz. Nach nicht überprüfbaren Angaben sollen es derzeit mehr als 3000 Mann sein. Außenminister Sergej Lawrow forderte kürzlich, die russischen Privatarmeen zu legalisieren. Offenbar rechnet er damit, dass den Söldnern im weiteren Verlauf dieses oder anderer bewaffneter Konflikte mit russischer Beteiligung eine noch größere Bedeutung zukommt. Für das Engagement in Syrien bieten sie einen unschätzbaren Vorteil: Russland besitzt eigene Truppen am Boden und kann sich doch nötigenfalls von ihnen distanzieren, wenn es unangenehm wird. Das Risiko wird „outgesourct“.

Türkische Offensive als Brandbeschleuniger

Es gibt einen neuen Brandbeschleuniger. Die Türkei schickt sich mit ihrem Feldzug gegen die Kurden an, ein gewichtiges Wort über die künftige Ordnung in Syrien mitzureden. Doch auch wenn Ankaras Offensive „Operation Olivenzweig“ heißt – ein Friedensbringer ist sie keinesfalls.

Die Türkei führt ihren Feldzug gegen die Kurden in Nordsyrien zweifellos mit russischer Billigung. Mehr noch: Alexander Lawrentjew, Putins Sonderbeauftragter für Syrien, gab praktisch grünes Licht, als er vorab erklärte, Operationen der türkischen Streitkräfte werden keinen Einfluss auf die Sotschi-Gespräche haben. Russland hat in der Nähe des Kampfgebietes Luftabwehrraketen S400 und S300 stationiert, die keine einzige Rakete abfeuerten, als türkische Kampfjets in syrischen Luftraum eindrangen. Einheiten am Boden zogen sich vor Kampfbeginn zurück.

Dass sich der syrische Machthaber Baschar al Assad öffentlich über den türkischen Einmarsch empört und ihn als Angriff auf Syriens Souveränität verdammt, ist wenig überraschend. Zum einen schaltet und waltet Erdogan tatsächlich nach Belieben, um seinen Krieg gegen die Kurden zu führen. Zum anderen gehört der Präsident zu den Erzfeinden seines Damaszener Kollegen. Als selbst erklärter Anführer der Sunniten hat Erdogan immer wieder Assad einen Mörder genannt.

Die türkische Offensive bringt jedoch sowohl für Russland als auch für Assad Vorteile: Sie schwächt die Kurden und damit den US-Einfluss in der Region. Kaum vorherzusehen ist allerdings was passiert, sollte Assad – mit welchem Kalkül auch immer – tatsächlich der kurdischen Bitte nachkommen und in die Kämpfe eingreifen. Nicht zuletzt stehen sich jetzt die Nato-Verbündeten Türkei und USA gegenüber. Amerika schätzt und unterstützt die Kurdenmiliz YPG, weil diese sich im Krieg gegen den „Islamischen Staat“ hervorgetan hat. Sie soll sogar das Rückgrat einer neuen, 30000 Mann starken „Grenzschutztruppe“ bilden. Die Regierenden in Ankara und viele Türken sehen in den Kurden dagegen nichts als Terroristen, die sich zudem nach ihrer Lesart erdreisten, einen eigenen Staat zu gründen.

Keine Waffen für die Kurden

Fest steht jedoch, dass die Amerikaner derzeit in Syrien weitgehend blockiert sind. Dazu gehört auch, dass Washington inzwischen angekündigt hat, es werde keine neuen Waffen für die YPG geben. Ein Entgegenkommen an Ankara.

Tatsächlich war das US-Interesse an Syrien schon unter Barak Obama eindimensional und eng militärisch getrieben. Halbherzig wurde zwar verkündet, wie erwünscht ein Ende des Assad-Regimes sei. Die tatsächlichen Aktionen richteten sich jedoch gegen den IS. Die Trump-Administration hat diesen Ansatz weitgehend übernommen. Dazu gehört auch das Zweckbündnis mit der Kurdenmiliz. Allein, jetzt fehlt den USA ihr Gegner. US-Verteidigungsminister James Mattis warnte zwar unlängst, die türkische Offensive lenke vom Wichtigsten ab: dem Kampf gegen den IS. Aber dabei ließ er seine Kritik an Ankara auch bewenden. Die USA haben derzeit in der Region kaum Einfluss, dafür sind auch ihre Risiken am geringsten. Washington kann gelassen auf die Sotschi-Konferenz blicken.

Man kann derzeit sagen: Assad hat im Augenblick gewonnen. Den Aufstand gegen ihn konnte er niederschlagen, mit aller Brutalität und mit allen völkerrechtswidrigen Mitteln. Zumindest militärisch scheint der Krieg damit zugunsten des Regimes entschieden. Die Rebellen – seien es Islamisten oder die übrig gebliebenen moderateren Kämpfer – haben kaum noch etwas zu bestellen. Der Machthaber ist also wieder ein Machtfaktor. Das heißt, in Sotschi wird mit Assad und nicht über ihn geredet.

Noch vor zweieinhalb Jahren hätte das wohl selbst der heute 52-Jährige für wenig wahrscheinlich gehalten. Im Herbst 2015 sprach nämlich alles dafür, dass seine Präsidentschaft unmittelbar vor dem Ende steht. Überall waren die ausgelaugten Regierungstruppen auf dem Rückzug und Assads hoch motivierte Gegner auf dem Vormarsch. Bis Putin zugunsten seines Verbündeten eingriff.

Seitdem ist es der Führung in Damaskus gelungen, große Teile des Landes mithilfe von Fassbomben, Giftgas und Gewehrkugeln zurückzuerobern. Doch bisher hat das Regime nicht alles Kontrolle. Das soll sich jetzt ändern. Noch vor den Verhandlungen in Sotschi wollte Assad auf dem Schlachtfeld Fakten schaffen, um klarzustellen, dass eine halbwegs stabile Nachkriegsordnung gegen seinen Willen nicht zu haben sein wird.

Assad will Reste des Widerstands vernichten

Die Leidtragenden sind wieder einmal die Syrer. Denn seit Wochen lässt der Gewaltherrscher jene Regionen bombardieren, in denen die Reste des Widerstands Zuflucht gefunden haben. Vor allem in der Provinz Idlib und im Gebiet Ost-Ghouta bei Damaskus wird heftig gekämpft. Dort leben Millionen schutzlose Menschen. Wer die Möglichkeit hat, versucht zu fliehen. Viele verlieren so zum zweiten, dritten oder vierten Mal ihr Zuhause. Sofern sie ihr Leben überhaupt retten können. Und alle ahnen: Es ist wohl ein letztes Gefecht. Niemand soll sich künftig Assad und seinen Getreuen mehr in den Weg stellen können.

Diese Art Friedhofsruhe verdankt Syriens nomineller Staatschef nicht allein Moskau. Insbesondere der Iran stand von Anfang an aufseiten Assads. Gleich nach Beginn des Konflikts war Teheran zur Stelle, um dessen Herrschaft zu sichern. Waffen, schiitische Milizen wie die Hisbollah, iranische Einheiten der Revolutionsgarden und sehr viel Geld – die Islamische Republik hat es sich einiges kosten lassen, um Assads Sturz zu verhindern und politisch mitzumischen. Steuergeld in Milliardenhöhe ist bereitgestellt worden. Was viele arme Iraner besonders empört. Bei den jüngsten Unruhen machten sie ihrem Unmut darüber Luft.

Dennoch hat sich der Einsatz in Syrien für die Mullahs gelohnt. Sie entscheiden mit darüber, was in dem Kriegsland passiert und achten darauf, dass ihr Einfluss gewahrt bleibt. Der alte und neue starke Mann in Damaskus gilt ihnen dabei als Garant. Denn Syrien ist ein entscheidender Bestandteil des sogenannten schiitischen Halbmonds – eine iranische Einflusszone, die sich über den Jemen, Irak und den Libanon bis zum Mittelmeer erstreckt. Das finanzielle und militärische Engagement soll sich jetzt auszahlen.

Zerwürfnisse kommen Russland zugute

Genau das allerdings, wollen regionale Großmächte wie Israel und Saudi-Arabien gemeinsam mit den USA verhindern. Sie halten Teherans Expansionsdrang für eine Bedrohung weit über den Nahen Osten hinaus. Vor allem Jerusalem beobachtet mit großem Argwohn, wie sich der Iran in Syrien festsetzt.

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, seit Jahren Teherans erklärter Gegner, will das auf keinen Fall hinnehmen. Dutzende Male hat deshalb Israels Armee Stellungen der Hisbollah im Nachbarland attackiert. Die hochgerüstete und kampferfahrene Schiitenmiliz gilt als größte militärische Gefahr für den jüdischen Staat. Immer wieder wird Netanjahu bei Putin mit der drängenden Bitte vorstellig, er möge den Iran in die Schranken weisen. Passiert ist aber wenig, was Israel beruhigen könnte.

Diese Zerwürfnisse kommen vor allem Russland zugute. Solange die verschiedenen Kriegsparteien über Kreuz liegen, hat Putin leichtes Spiel, alles in eine ihm genehme Richtung zu lenken. Nur: Dass es so kommt, ist längst nicht ausgemacht. Moskau mag den Krieg in Syrien militärisch entschieden haben. Ob es dem Kreml jedoch gelingt, dem geschundenen Land Frieden zu bringen, ist mehr als fraglich. Eine tragfähige Strategie lässt sich bisher jedenfalls nicht erkennen.

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