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Trauer um die Toten: Ein Israeli nimmt Abschied von seinem Sohn, der bei Gefechten mit der Hamas ums Leben kam.

© Reuters

Krieg in Gaza: "Wir haben keine andere Wahl"

Seit zwei Wochen herrscht Krieg in Nahost. Immer mehr Menschen sterben. Dennoch halten viele Israelis den Einsatz in Gaza für notwendig – selbst Linke befürworten nun den Kampf gegen die Hamas und loben ihren konservativen Regierungschef.

Michael ist sich sicher: "Wir haben einfach keine andere Option", sagt er. "Die Tunnelanlagen haben klar gezeigt, dass wir jetzt keinen Waffenstillstand benötigen, sondern dringend etwas tun müssen." Die Worte des 63-jährigen Tel Avivers klingen harsch. Doch Michael betont: "Ich bin ein Linker – das ist mir sehr wichtig. Als Soldat bin ich während des ersten Libanon-Krieges nach Hause gekommen und danach sofort auf die Straßen gegangen, um gegen ihn zu protestieren. Doch jetzt sind wir an einem Punkt, an dem wir nicht mehr anders können."

Die Hamas habe die Linke regelrecht unterminiert

Michael erinnert sich noch gut an den ersten Gaza-Krieg 2008, der, wie er sagt, viel zu vielen Zivilisten das Leben gekostet hat. Damals hatte er noch andere Ansichten, stand der Operation extrem kritisch gegenüber. "Es war für mich wie ein Trauma. Ich hatte eine Identitätskrise und wusste nicht, was ich machen soll. Ich war unglaublich schockiert über die Ansichten vieler Israelis." Er weiß, dass es auch diesmal ein längerer Einsatz werden könnte, bei dem noch viele weitere Menschen sterben. "Aber jeder hat hier mittlerweile verstanden, dass wir keine andere Wahl haben." Die Hamas habe die Linke und die Friedensbewegung in Israel regelrecht unterminiert. Jerusalem habe den Transport von Baustoffen wie Zement in den Gazastreifen sehr eingeschränkt – aus Angst, dass sie zu militärischen Zwecken benutzt werden könnten. Dafür gab es heftige Kritik. "Und mit dem Wenigen, das durchgekommen ist, haben sie nun genau das gemacht – Tunnel gebaut." Auch deshalb sagt Michael, dass er zwar Premier Benjamin Netanjahu nicht ausstehen könne. "Aber ich muss sagen, dass er diese Krise bisher gut gemeistert hat."

Das Recht auf Selbstverteidigung

So wie Michael geht es in Israel derzeit vielen Menschen. Selbst jene, die sich zum linken Spektrum zählen und die auch sonst für einen Waffenstillstand und für Frieden waren, sind jetzt kritischer. Vor allem durch die während der Bodenoffensive ausgemachten Tunnel fühlen sich die Israelis bestätigt. Viele posten in diesen Tagen zum Beispiel auf Facebook Grafiken, die zeigen, wie die israelische Armee nur die Zivilbevölkerung schützen möchte, während die Hamas sie als Schutzschild benutzt. Andere fragen vor allem Freunde aus dem Ausland: "Was würdet ihr machen, wenn die Hamas bei euch solche Tunnel bauen würde." Oder: "Israel hat das Recht, sich zu verteidigen."

"Wer wird uns sonst schützen?"

Auch die 26-jährige Elinor sieht das so. "Ich glaube, dass die Menschen in Israel die Operation schweren Herzens unterstützen", sagt sie. "Wir wissen, dass wir keine Wahl haben. Wer wird uns sonst schützen? Die UN? Amerika? Europa?" Sie weiß, dass nicht alle Menschen im Gazastreifen Extremisten sind. "Es tut mir unglaublich leid, dass Frauen und Kinder sterben", sagt sie. Die Armee versuche alles, um die Menschen zu schützen. Dennoch weiß sie auch, dass sie so nicht leben möchte – mit häufigem Sirenenalarm sogar in ihrer Heimatstadt Petach Tikwa nahe Tel Aviv. "Für die Menschen im Süden ist es ja noch viel schlimmer. Durch die Tunnel sind schon Terroristen ins Land eingedrungen, die Menschen mussten in ihren Häusern bleiben."

20.000 Menschen bei der Beerdigung eines Soldaten

Elinor, die für einen Reiseanbieter arbeitet, war zunächst kritisch, als die Bodenoffensive begann. "Ich wusste, dass das noch mal was ganz anderes ist und dass viele Soldaten sterben würden." Israel ist ein kleines Land, jeder kennt hier über zwei, drei Ecken jeden. Und so trifft auch das Bild jedes getöteten Soldaten nicht nur die Familien, sondern das ganze Land. Zu der Beerdigung des Soldaten Sean Carmeli am Montag in Haifa kamen mehr als 20000 Menschen. Bislang sind insgesamt 27 Soldaten ums Leben gekommen. "Ich sehe sie nicht als Soldaten. Sie sind Brüder, Väter, Ehemänner. Jedes mal, wenn die Namen veröffentlich werden, frage ich mich: Kenne ich jemanden? Sind es Freunde meiner Familie? Brüder oder Ehemänner meiner Freunde?"

"Wer das Wort ,Frieden’ in den Mund nimmt, wird als anti-israelischer Verräter beschimpft"

Wenige Israelis gehen an den Samstagen auf die Straße, um gegen den Krieg und das Sterben unschuldiger Menschen zu protestieren. Der 27-jährige Student Eyal ist einer von ihnen, der auch vergangene Woche in Tel Aviv dabei war. Er weiß, dass es immer weniger Verständnis für die Proteste gibt und stattdessen immer mehr Kritik und Gegenproteste. "Die Linke wird immer mehr delegitimiert. Jeder, der nur das Wort ,Frieden’ in den Mund nimmt, wird als anti-israelischer Verräter beschimpft", sagt er. Bekannte hätten ihren Job verloren, weil sie öffentlich auf Facebook ihren Unmut über die getöteten Frauen und Kinder im Gazastreifen bekundet haben.

Immer wieder kommt es bei den Demonstrationen zu Zusammenstößen mit rechten Aktivisten. Dabei, sagt Eyal, sei er selbst nicht extrem links. "Ich war Offizier in der Armee", betont er. Und selbst er sei nicht mehr völlig gegen den Einsatz. "Vor allem nachdem die Hamas den angebotenen Waffenstillstand nicht angenommen hat, kann ich nicht mehr klar Nein sagen." Doch Eyal wird weiterhin auf die Straße gehen. Er hofft auf einen Waffenstillstand und auf Frieden.

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