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Außenministerin Baerbock - hier zu Besuch beim ukrainischen Präsidenten Selenskyj in Kiew - drängt Kanzler Scholz zu klareren Worten: „Ich sage, das stimmt, was der Kanzler sagt. Natürlich darf Russland diesen Krieg nicht gewinnen, sondern muss ihn strategisch verlieren. ... Das heißt: Die Ukraine muss gewinnen.“

© Florian Gaertner/photothek.de/dpa / Florian Gaertner/photothek.de/dpa

Krieg in der Ukraine – Siegen oder lediglich nicht verlieren?: Baerbock und Merz setzen auf Zuversicht, Scholz auf Risikoangst

Mit westlicher Hilfe wird die Ukraine den Krieg gewinnen. Mehr Vertrauen in die eigene Stärke hilft auch den Deutschen beim Durchhalten. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Außenministerin Annalena Baerbock und Oppositionsführer Friedrich Merz sprechen aus, was Kanzler Olaf Scholz partout nicht sagen will: „Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen.“

Scholz formuliert zurückhaltender. „Russland darf diesen Krieg nicht gewinnen. Die Ukraine muss bestehen.“ Im Kanzleramt sind sie mächtig stolz darauf.

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Siegen oder lediglich eine Niederlage vermeiden? Dies sind nicht nur sprachliche Feinheiten. Die Diskrepanz beschreibt unterschiedliche Haltungen.

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Begleitet Deutschland den Krieg mit Zuversicht und Vertrauen in die Überlegenheit westlicher Demokratien bei Werten, politischem System, ökonomischen Ressourcen und Militär gegenüber der russischen Diktatur? Oder verzagt mit Zukunftsangst und Risikoscheu?

Wie weit reicht die Geduld der Bürger?

Bei Scholz schwingt die Vorsicht mit, sich nicht festzulegen. Wer weiß schon, wie der Krieg verläuft. Und welche schrecklichen Folgen er jenseits der Ukraine hat, von Hungersnöten und Energiepreisen über Flüchtlingsströme bis zu Wohlstandsverlusten, die die soziale Stabilität ganzer Gesellschaften bedrohen.

Auch der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz war zu einem Solidaritätsbesuch bei Selenskyj in Kiew. Und sagt: Die Ukraine muss gewinnen.
Auch der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz war zu einem Solidaritätsbesuch bei Selenskyj in Kiew. Und sagt: Die Ukraine muss gewinnen.

© Niels Starnick für BILD/dpa

Zugespitzt gesagt setzen Baerbock und Merz darauf, dass die Bürger eine entschiedene Unterstützung der Ukraine mittragen, wenn man ihnen den Sinn und die Erfolgsaussichten erklärt. Scholz lässt sich von der Sorge leiten, dass die Geduld der Menschen endlich ist. Lieber ein ungerechter Ausgang als endlose Kämpfe.

In den gut hundert Tagen Krieg haben Menschen in der Ukraine und im Ausland emotionale Höhen und Tiefen erlebt: anfangs Furcht vor einer raschen Niederlage gegen die angeblich überlegenen Angreifer. Dann Erleichterung über die erfolgreiche Verteidigung Kiews und Charkivs, die sich zeitweise zu Triumphgefühlen steigerte.

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In letzter Zeit die Verlagerung der Kämpfe in die Ostukraine mit kleinen, aber kontinuierlichen Geländegewinnen der Russen. Und mit neuen Zweifeln an der Fähigkeit der Ukraine, sich dauerhaft zu verteidigen.

Wenn Kiew Gebiete abtreten muss, wäre das kein Sieg

Wie können Baerbock, Merz und andere da einen Sieg der Ukraine zum Ziel erklären? Ist der Kanzler womöglich klüger beraten, wenn er es dabei belässt, dass Russland nicht gewinnen und die Ukraine nicht verlieren dürfe? Das lässt Interpretationsspielraum, wenn er den Bürgern eines Tags den Ausgang erklären muss.

Falls Kiew Gebiete abtreten muss, kann man das kaum einen Sieg nennen. Zudem schwebt über allem die Sorge vor einer Eskalation samt der Gefahr der Atomwaffen. Ist es nicht weiser, den Weg zu Verhandlungskompromissen offen zu halten statt Sieg zu fordern?

Diesen Rückzug hat sich Scholz freilich durch andere Festlegungen verbaut. Er hat den „russischen Abzug aus der Ukraine“ zur Bedingung einer Verhandlungslösung erklärt. Darin sei er sich mit Präsident Selenskyj einig.

Den Deutschen Mut machen, die Kriegsfolgen auszuhalten

Warum dann nicht gleich die Zuversicht von Baerbock und Merz? Sie machen den Bürgern Mut, die Kriegsfolgen in ihrem Alltag zu ertragen, weil am Ende der Sieg über den Aggressor steht.

Langfristig spricht einiges dafür. Militärexperten erklären die aktuellen Probleme der Ukrainer im Donbass damit, dass der Westen zu lange gezögert habe, ihnen schwere Waffen zu liefern. Die kommen nun aber und sollen im Juli und August die militärische Wende ermöglichen.

Bundeskanzler Olaf Scholz will die Bundeswehr wieder einsatzbereit machen - hier bei einem Besuch in Niger. Über die Kriegsziele in der Ukraine spricht er zurückhaltender als Baerbock und Merz. Die Ukraine hat er noch nicht besucht.
Bundeskanzler Olaf Scholz will die Bundeswehr wieder einsatzbereit machen - hier bei einem Besuch in Niger. Über die Kriegsziele in der Ukraine spricht er zurückhaltender als Baerbock und Merz. Die Ukraine hat er noch nicht besucht.

© Michael Kappeler/dpa

Der Konflikt ist zu einem Abnutzungs- und Zermürbungskrieg geworden. Die traurige Seite: Er wird lange dauern, und es werden noch viele Menschen sterben und viele Städte zerstört werden.

Aber die Ukraine ist bereit zu diesem Kampf. Und sie wird ihn länger durchhalten als Russland – sofern der Westen sein Versprechen hält, sie mit dem Nötigen zu unterstützen.

EU und USA sind ökonomisch mehr als 15 Mal stärker als Russland

Nach der Wirtschaftskraft sind Europa und die USA Russland um mehr als das 15-Fache überlegen. Russland hat einen Großteil seiner Vorräte und Waffen verbraucht und kann nicht schnell genug Nachschub produzieren. Die Kampfmoral der Ukrainer, die ihr eigenes Land verteidigen, ist größer als die der Russen.

Der Ausgang des Kriegs hängt von der Entschlossenheit des Westens ab, der Ukraine zum Sieg zu verhelfen. Kanzler Scholz sollte den Sieg zum Ziel erklären. Zuversicht hilft der Ukraine wie den Deutschen beim Durchhalten.

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