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Krieg in der Ukraine: Neutralität als Kompromiss

Länder wie die Schweiz, Schweden oder Österreich haben sich zur Neutralität verpflichtet. Ist das ein Weg zum Ende von Putins Krieg?

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In der dritten Woche des russischen Krieges gegen die Ukraine scheint ein kleiner Hoffnungsschimmer auf. Kreml- Sprecher Dmitri Peskow wird am Mittwoch in Moskau von Journalisten gefragt, was er von dem ukrainischen Vorschlag hält, nach dem Vorbild Schwedens oder Österreichs die Neutralität des Landes zu erklären. „Das ist eine Variante, die tatsächlich derzeit diskutiert wird und die man als Kompromiss ansehen kann“, antwortet der Vertraute von Präsident Wladimir Putin.

Zuvor schon hatte Außenminister Sergej Lawrow gesagt, es gebe Formulierungen, über die sich beide Seiten in Kürze einigen könnten. In einem Interview mit dem TV-Sender RBC erweckte Lawrow sogar den Eindruck, als hätte Putin nie etwas anderes gewollt. Neutralität, „ das ist genau das, wovon Präsident Putin im Februar während einer seiner Pressekonferenzen sprach: alle möglichen Varianten, beliebige gegenseitig annehmbare Garantien der Sicherheit für die Ukraine und alle Länder, einschließlich Russlands – mit Ausnahme einer Nato-Erweiterung“, sagte Lawrow. Dass Putin in Wahrheit Kriegsziele nannte, die mit einer Vernichtung der Ukraine und der Liquidierung ihrer demokratisch gewählten Führung geendet hätten, ließ der Minister jetzt weg.

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Von der Hoffnung, die Ukraine könne Nato-Mitglied und dadurch sicherer vor den imperialen Ansprüchen Putins werden, hatte sich Präsident Wolodymyr Selenskyj in den vergangenen Tagen verabschiedet. „Jahrelang haben wir von offenen Türen gehört, aber jetzt haben wir auch gehört, dass wir dort nicht eintreten dürfen, und das müssen wir einsehen“, sagte Selenskyj am Mittwoch. Er gibt damit seinen Mitbürgern zu erkennen: Wir kapitulieren nicht vor Putin. Es ist die Nato, die uns nicht haben will.

Das Recht zur Selbstverteidigung bleibt

Länder wie die Schweiz, Schweden Finnland oder Österreich haben entweder in politischen Absichtserklärungen oder in Verträgen ihre grundsätzliche Verpflichtung zu einer dauernden – im Falle Österreichs „immerwährenden“ – Neutralität festgelegt. Das Recht zur Selbstverteidigung wird durch Neutralität nicht infrage gestellt. Das Vorbild der bisherigen neutralen Staaten einfach nur zu übernehmen, lehnte der ukrainische Delegationsleiter Mychailo Podoljak ab. Die Ukraine fordert weitreichende Sicherheitsgarantien und einen Vertrag, in den auch andere Staaten eingebunden sind. Das gibt für keinen der bisherigen neutralen Staaten.

Für Österreich ist die Neutralität im Moskau Memorandum von 1955 niedergelegt. Sie war für die Sowjetunion Bedingung für die Souveränität Österreichs, das im Gegenzug die Verpflichtung einging, sich nicht mit Deutschland zu vereinigen oder einem Militärbündnis beizutreten.

„Neutralität gehört zum Selbstverständnis der Österreicher“, schrieb der Wiener „Standard“ dieser Tage. Daran habe Putins Krieg gegen die Ukraine nichts geändert. In der Verfassung stehe, Österreich werde seine Neutralität „mit allen gebotenen Mitteln“ schützen, darauf vertraue eine breite Mehrheit der Bevölkerung. In Finnland und Schweden dagegen hat der Krieg die Diskussionen neu entfacht, ob das Konzept der Neutralität noch zeitgemäß ist. Beiden Ländern hat Moskau bereits gedroht, auch für sie würde eine Nato-Mitgliedschaft negative Folgen haben.

Für die Ukraine wird die entscheidende Frage sein: Kann man Russland am Verhandlungstisch trauen? Da hat gerade dieses Land negative Erfahrungen gemacht. Mit dem Budapester Memorandum vom Dezember 1994 hatte Kiew von Russland die Garantie seiner Unabhängigkeit, Souveränität und der Unverletzlichkeit seiner Grenzen erhalten – und dafür seine Atomwaffen hergegeben. Diese völkerrechtlich bindende Verpflichtung hat Putin bereits 2014 mit der Annexion der Krim gebrochen.

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