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Menschen in Mariupol retten Habseligkeiten aus einem zerstörten Haus (am 5. Mai 2022)

© Imago/Itar-Tass/Peter Kovalev

Krieg in der Ukraine: 60 Tote in Dorfschule befürchtet, Selenskyj sieht Russen isoliert – das geschah in der Nacht

Russland setzt seine Angriffe in der Ukraine fort. UN-Chef Guterres ist entsetzt über den Bombenabwurf auf eine Schule in Gebiet Luhansk. Ein Überblick.

Mitten im Angriffskrieg gegen die Ukraine feiert Russland am Montag mit einer Parade auf dem Roten Platz in Moskau den Sieg über Hitler-Deutschland. Von der Rede des russischen Präsidenten Wladimir Putin werden unter anderem Hinweise darauf erwartet, ob es eine General- oder Teilmobilmachung in Russland geben könnte.

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Der Westen überzog Russland vor dem Jahrestag mit neuen Sanktionen - und demonstrierte Solidarität mit der Ukraine.

Die Ereignisse im Überblick:

  • Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sieht eine große Symbolkraft in den Reisen internationaler Prominenz in sein Land zum Jahrestag des Weltkriegsendes in Europa. „Der heutige Tag in der Ukraine hat gezeigt, dass wir bereits ein vollwertiger Teil der freien Welt und eines vereinten Europas sind“, betonte Selenskyj in seiner täglichen Videoansprache am Sonntagabend. „Dies ist ein offensichtlicher Kontrast zu Moskaus Einsamkeit in Bösem und Hass, die morgen jeder sehen wird“, sagte er in Anspielung auf die Feierlichkeiten in der russischen Hauptstadt am Montag.
  • Am Sonntag hatten unter anderen US-Präsidentengattin Jill Biden, Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, der kanadische Regierungschef Justin Trudeau und die U2-Musiker Bono und The Edge die Ukraine besucht. Selenskyj sprach auch in einer Konferenzschalte mit den Regierungschefs der G7-Industrienationen. Alle G7-Staaten verpflichteten sich, die Einfuhr von russischem Öl auslaufen zu lassen oder zu verbieten. Ein US-Regierungsvertreter kündigte ein Verbot für unternehmerische Dienstleistungen für Firmen oder Personen in Russland an.
  • Die Kämpfe in verschiedenen Teilen der Ukraine gingen unterdessen weiter. Im Süden gab das ukrainische Militär an, am Sonntag 51 russische Soldaten getötet sowie zwei Raketenwerfer und einen Hubschrauber zerstört zu haben. Die ukrainische Luftabwehr schoss nach eigenen Angaben fünf unbemannte Flugapparate und drei russische Marschflugkörper ab. Die Informationen konnten nicht unabhängig überprüft werden.
  • UN-Generalsekretär António Guterres zeigte sich „entsetzt“ über einen Luftangriff auf ein Schulgebäude im Gebiet Luhansk, bei dem möglicherweise bis zu 60 Menschen ums Leben kamen. Die Attacke zeige erneut, dass Zivilisten in diesem Krieg den höchsten Preis zahlten. In der Schule hatten ukrainischen Behörden zufolge rund 90 Personen Schutz gesucht. Durch den Bombenabwurf brach ein Feuer aus und das Gebäude stürzte zusammen. Zunächst war von 30 Geretteten und zwei geborgenen Toten die Rede.
  • Die im belagerten Stahlwerk Azovstal eingeschlossenen ukrainischen Kämpfer wollen ihren Widerstand notfalls bis zum bitteren Ende fortsetzen. „Wir werden weiter kämpfen, solange wir leben, um die russischen Besatzer zurückzuschlagen“, sagt Hauptmann Swjatoslaw Palamar, stellvertretender Kommandeur des ukrainischen Asow-Regiments, auf einer Online-Konferenz. „Wir haben nicht viel Zeit, wir stehen unter starkem Beschuss“, sagte er und bat die internationale Gemeinschaft um Hilfe bei der Evakuierung verwundeter Soldaten aus der Anlage in der südöstlichen Hafenstadt Mariupol.
  • Ein Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj hat vor einem neuen Angriff der russischen Truppen auf die Hauptstadt Kiew gewarnt, wenn der Westen die Waffenlieferungen an sein Land nicht beschleunige. Dies könne Russland Zeit für eine Mobilmachung und eine erneute Offensive auf Kiew und andere Städte im Norden der Ukraine lassen, argumentierte Präsidenten-Berater Olexij Arestowytsch in einem Videointerview. Russland hatte seine Truppen nach dem Scheitern eines Versuchs, Kiew einzunehmen, von der ukrainischen Hauptstadt abgezogen und konzentriert sich nun stattdessen auf den Osten des Landes. Angesichts der hohen Verluste halten Experten zumindest eine teilweise Mobilmachung für möglich, der Kreml wies das bisher zurück.
  • Selenskyj zeichnete am Sonntag einen Minensuchhund mit einer Medaille aus. Der kleine Jack Russell Terrier Patron bekam während einer Pressekonferenz mit dem kanadischen Regierungschef Trudeau den Orden „Für selbstlosen Dienst“ verliehen. Angeblich soll der zweieinhalb Jahre alte Hund sich das Minensuchen selbst beigebracht haben. Im nordukrainischen Gebiet Tschernihiw habe er bereits auf mehr als 100 todbringende Gegenstände aufmerksam gemacht. Die Ukraine gilt seit Beginn des Konflikts in der Ostukraine 2014 und dem russischen Überfall vom 24. Februar dieses Jahres als eines der am stärksten verminten Länder der Welt.

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Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk zeigte sich enttäuscht von der Fernsehansprache von Bundeskanzler Olaf Scholz zum Jahrestag des Weltkriegsendes in Europa. Man habe sich auch in der Rede „viel mehr Konkretes“ dazu gewünscht, wie der Bundestagsbeschluss zur Lieferung schwerer Waffen umgesetzt werden solle, sagte Melnyk in der Sendung „Anne Will“. „Wenn wir den Bundeskanzler hören, der sagt, Russland darf nicht gewinnen, das heißt, dass man alles, wirklich alles unternehmen sollte, (...) um uns zu helfen in dieser schwierigen Situation, in diesem Krieg, der schlimmste Krieg seit dem Zweiten Weltkrieg“, forderte der Diplomat.

SPD-Chef Lars Klingbeil räumte ein, dass in der Vergangenheit im Umgang mit Russland Fehler gemacht worden seien. „Wir hatten immer einen politisch-gesellschaftlichen Konsens in diesem Land, dass wir eng an der Seite Russlands stehen wollen“, sagte er im Sender Phoenix. „Da haben wir einen Fehler gemacht. Wir hätten eher abbiegen müssen“, sagte er. Klingbeil erinnerte an die russische Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim 2014, den Mordversuch am russischen Oppositionellen Alexej Nawalny und den Mord an einem antirussischen Tschetschenien-Kämpfer in Berlin. „Das waren alles Zeichen dafür, dass wir politisch anders hätten mit Russland umgehen müssen.“

Die Parade auf dem Roten Platz und der Auftritt Putins könnten wichtige Anhaltspunkte über russische Pläne für den weiteren Kriegsverlauf liefern. Die Frage ist auch, was er zum Verhältnis zum Westen und den wirtschaftlichen Problemen in Russland durch die Sanktionen sagt. Der französische Präsident Emmanuel Macron reist am Montagabend erstmals nach seiner Wiederwahl für ein Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz nach Berlin. Sie wollen sich unter anderem zum Krieg in der Ukraine austauschen. Die Aspekte Verteidigung und Energieversorgung sollen dabei im Zentrum stehen. (dpa)

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