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Die kurdischen Kämpfer mussten wieder zu den Waffen greifen.

© Rodi Said, Reuters

Krieg im Norden Syriens: Gestörte Beziehung

Mit der türkischen Offensive gegen die Kurden eskaliert ein alter Konflikt. Verhandlungen kommen für Ankara nicht in Frage.

Bei ihrer Intervention im nordwestsyrischen Afrin haben türkische Truppen nach Angaben aus Ankara am Mittwoch weitere Geländegewinne erzielt. Aber der Vormarsch geht relativ langsam voran, auch weil die Kurdenmiliz YPG laut Medienberichten immer wieder Verstärkung aus anderen Teilen Nordsyriens erhält. Die aktuellen Gefechte begannen am 20. Januar, doch ihre Wurzeln reichen rund hundert Jahre in die Vergangenheit zurück. Der Konflikt zwischen dem türkischen Staat und der kurdischen Minderheit ist so alt wie die türkische Republik.

Im Oktober 1923 gründete der osmanische Ex-General Mustafa Kemal, der später den Ehrennamen Atatürk erhielt, die moderne türkische Republik. Weniger als zwei Jahre später stand der junge Staat seinem ersten großen Aufstand gegenüber. In Südostanatolien erhoben sich die Kurden unter Scheich Said. Ankara ließ den Aufstand niederschlagen, Scheich Said wurde gehängt.

Abkehr vom Vielvölkerstaat

In Abkehr vom Vielvölkerstaat der Osmanen setzte Atatürks Republik auf die Betonung der staatlichen Einheit, die auch den Gedanken eines einheitlichen Staatsvolkes einschloss. Forderungen ethnischer Minderheiten wie der Kurden wurden daher als Angriff auf den jungen Staat insgesamt gesehen – ein Verständnis, das die türkische Politik prägte. Der öffentliche Gebrauch der kurdischen Sprache wurde verboten, zeitweise wurde sogar die Existenz einer kurdischen Volksgruppe überhaupt verneint.

Nicht immer und überall führten die Gegensätze zu Konflikten. So arrangierte sich Ankara mit vielen Clanchefs im feudalistisch geprägten Kurdengebiet. Eine der Folgen war jedoch, dass das Kurdengebiet sozial und wirtschaftlich vom Rest des Landes abgekoppelt wurde.

Die Macht der Clans rief gegen Ende der 1970er Jahre kurdische Linksextremisten auf den Plan. Einige von ihnen gründeten 1978 unter Abdullah Öcalan die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Eine der ersten Aktionen der Gruppe war ein Angriff auf die Bucaks, Chefs eines mit Ankara verbündeten Kurdenclans. Im Jahr 1984 rief die PKK den Kampf für einen Kurdenstaat und gegen Ankara aus. Öcalan floh nach Syrien, wo das Assad-Regime die kurdischen Separatisten als Werkzeug in seinem Dauerstreit mit dem türkischen Nachbarn einsetzte. Die stalinistisch organisierte PKK präsentiert sich nach außen als Freiheitsbewegung, duldet in ihren Einflussbereichen und in der eigenen Organisation jedoch keinerlei Widerspruch; Öcalan ließ mehrmals interne Kritiker hinrichten.

Zeichen der Entspannung

Unterdessen eskalierte der Krieg zwischen der Armee und der PKK. Mehrere tausend kurdische Dörfer wurden zerstört, mehrere Millionen Kurden flohen in andere Teile der Türkei und nach Europa. Zeitweise ging der türkische Staat mit Folter und außergerichtlichen Hinrichtungen gegen Kurdenaktivisten vor, während die PKK bei Terroranschlägen auch Zivilisten tötete. Mehr als 40000 Menschen sind in dem Konflikt bisher ums Leben gekommen.

Öcalans Festnahme im Jahr 1999 markierte eine Wende. Der PKK-Chef bot sich als Gesprächspartner für die Suche nach einer Lösung an, die auch wegen einer neuen Ära in Ankara plötzlich möglich erschien. Als erster türkischer Ministerpräsident räumte Recep Tayyip Erdogan im Jahr 2005 ein, dass sein Land ein „Kurdenproblem“ habe.

Nach jahrelangen Kontakten vereinbarten die türkische Regierung und die PKK einen Waffenstillstand, der in der Region die Hoffnung auf Frieden aufblühen ließ. Doch der Konflikt im benachbarten Syrien, wo sich der dortige PKK-Ableger PYD mit seiner Miliz YPG eine Autonomiezone entlang der türkischen Grenze sicherte, fachte den Krieg in der Türkei im Jahr 2015 wieder an. Die Entwicklung in Syrien lässt den türkischen Alptraum vom Kurdenstaat – und der damit verbundenen Bedrohung der staatlichen Einheit der Türkei – neu aufleben. Erdogan begründet den derzeitigen türkischen Einmarsch in Afrin mit dem Argument, ein „Terror-Korridor“ an der türkischen Grenze müsse verhindert werden.

Vorwürfe an Washington

Zusätzlich kompliziert wird der Konflikt durch das Bündnis der YPG mit den USA im Kampf gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“. Erdogan wirft Washington vor, dass US-Waffen, die an die YPG geliefert wurden, nun gegen Soldaten des Nato-Partners Türkei eingesetzt würden. Ankara hat angekündigt, nach der geplanten Vertreibung der YPG aus Afrin weiter Richtung Osten vorstoßen zu wollen, um die Kurdenmiliz von der gesamten türkischen Südgrenze zu verdrängen. Verhandlungen kommen für die Türkei nicht in Frage – die uralte kurdisch-türkische Spirale der Gewalt dreht sich weiter.

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