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Das Duell in NRW: Thomas Kutschaty, SPD gegen Ministerpräsident Hendrik Wüst, CDU.

© IMAGO/Rene Traut

Kopf-an-Kopf-Rennen vor NRW-Wahl: So kämpfen SPD und CDU an Rhein und Ruhr um die Macht

Die CDU lag zuletzt knapp vor der SPD. Aber Ministerpräsident Wüst hat wie SPD-Spitzenkandidat Kutschaty im Wahlkampf seine Probleme. Ein Besuch in NRW.

Die Aussichten sind nicht so rosig in Mülheim an der Ruhr. „Deine letzte Wahl“, steht auf dem Wahlplakat, das in der Fußgängerzone hängt, darunter ein feuriger Atompilz. Gut, es ist nur ein Plakat der Satiretruppe „Die Partei“ – aber gerade ältere Bürger blicken hier skeptisch auf die Debatte, immer mehr, immer schwerere Waffen Richtung Kiew zu schicken.

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Im SPD-Büro trinkt Spitzenkandidat Thomas Kutschaty erstmal einen Kakao, er glaubt nicht, dass es die letzte Wahl ist. „Für Euch gewinnen wir das morgen“, lautet sein Slogan. Auf der Tasse steht in roten Lettern: „SPD – Alles andere ist kalter Kaffee.“ Der Sohn aus einer Eisenbahnerfamilie hat ein Problem, er muss sich jetzt immer lang und breit zum Krieg und seinem Kanzler äußern. Auch für Kanzler Olaf Scholz, dessen Kurs umstritten ist, ist es eine richtungsweisende Wahl. Bei einer Niederlage könnte die Nervosität in der SPD wachsen.

Zwar lag die SPD in Nordrhein-Westfalen in den Umfragen zeitweise vorne. Doch nun sieht es so aus, als ob am kommenden Sonntag bei der wichtigsten Landtagswahl des Jahres wieder die CDU das Rennen machen könnte. Auch deren Bundeschef Friedrich Merz legt sich ja mächtig ins Zeug – und reiste vom Markplatz in Olpe direkt nach Kiew. Zudem gibt es Rückenwind durch den Sieg von Daniel Günther und der CDU in Schleswig-Holstein.

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In einer Politbarometer-Umfrage lag die CDU zuletzt bei 30 Prozent, die SPD bei 28 Prozent, die Grünen bei 18 und die FDP bei sieben Prozent. Für Schwarz-Gelb dürfte es nicht mehr reichen.

Nun muss die SPD Panzerlieferungen verteidigen

Besondere Pirouetten muss der SPD-Landes- und Fraktionschef, der die Staatskanzlei für die Roten zurückerobern soll, drehen, seit Scholz vor dem Atomkrieg gewarnt hat. Dann kam die Nachricht, dass die Regierung doch auch die Lieferung von Gepard-Panzern und Panzerhaubitzen erlaubt. Kutschaty versucht, den Gepard als nicht ganz so tödlich einzustufen, der sei ja vor allem für die Flugabwehr nützlich. „Dass man bei Luftangriffen nicht mit Pusteblumen werfen kann, ist hoffentlich klar“, sagt er.

Der frühere NRW-Justizminister, ein Parteilinker, redet lieber über die Zukunft als die Vergangenheit. Vielen in Nordrhein-Westfalen sind die rot-grünen Jahre in schlechter Erinnerung, „Ich beiß‘ ins Lenkrad“, plakatierte die CDU 2017 wegen der ewigen Staus. Autobahnbrücken müssen abgerissen werden, weil Sanierungen zu lange verschleppt wurden.

 Thomas Kutschaty, SPD-Landesvorsitzender Nordrhein-Westfalen und Spitzenkandidat für die Landtagswahl, beim "Politboxen".
Thomas Kutschaty, SPD-Landesvorsitzender Nordrhein-Westfalen und Spitzenkandidat für die Landtagswahl, beim "Politboxen".

© Henning Kaiser/dpa

Zudem: Kutschaty und der damalige Innenminister Ralf Jäger wurden der Clankriminalität nicht Herr. Auf CDU-Veranstaltungen ist der Jubel am größten, wenn ein Name fällt: Herbert Reul. Ende April veranstaltete der CDU-Innenminister in der Kölner Arena eine Vereidigungsfeier für 2770 neue Polizisten. Reul geht seit der Regierungsübernahme 2017 rigoros vor, zerschlägt mit großen Razzien die Strukturen. „Wenn Sie in einer Shisha-Bar einen Stein umdrehen, finden Sie fünf weitere“, sagt Ministerpräsident Hendrik Wüst. Er verspricht, dass Reul bei einem CDU-Wahlsieg weitermachen wird. Kutschaty preist dagegen ausgerechnet Berlin als Vorbild, die würden ja nun auch die Immobilien der Bosse einziehen. Da wolle auch er ran.

Ein früherer Sozialdemokrat wählt CDU

Wenn man darauf Jörg Sartor anspricht, einen früheren Bergmann, kann der nur lachen. Das sei ein Stück aus dem Tollhaus. „Der hat nichts bewegt und sich immer hinter Mutti Hannelore versteckt“, sagt Sartor, er meint die damalige Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, die in Mülheim nach 22 Jahren nicht mehr antritt. Sartor, früher selbst Sozialdemokrat, ist Chef der Essener Tafel, ein Original. Bei der Tafel gibt es derzeit einen Aufnahmestopp, alle 1600 Plätze sind belegt. Von den letzten 150 Neuanmeldungen waren 95 Prozent Menschen aus der Ukraine, sagt er. Ihn sorgt, dass es wegen der hohen Inflation immer mehr Bedürftige geben könnte, die nur mit Hilfe der Tafeln über die Runden kommen.

Trotz des Wahlsiegs der SPD im Bund und Scholz‘ Respektwahlkampf sieht er bei der SPD zu viele Worte, zu wenig echte Kümmererpolitik. Sartor hat dieses Mal CDU gewählt, per Briefwahl. Über Kutschaty sagt er: „In meinen Augen ist das ein Schablonenschwätzer.“ Was das denn sei? „Ein Nachplapperer, der sein Fähnchen nach dem Wind dreht.“

Jörg Sartor, Leiter der Essener Tafel, war früher in der SPD, heute wählt er die CDU.
Jörg Sartor, Leiter der Essener Tafel, war früher in der SPD, heute wählt er die CDU.

© Roland Weihrauch/dpa

Kutschaty war auch gegen Scholz als SPD-Chef, setzte sich dafür ein, dass die SPD sich auf linke Themen konzentriert, statt nach dem Prinzip des „Otto-Katalogs“ Politik für alle zu machen, also das Prinzip Volkspartei aufgibt.

Nun knüpft er an Scholz‘ Respekt-Wahlkampf an, will das Riesen-Thema „bezahlbares Wohnen“ mit Mietendeckeln und 100.000 neuen Wohnungen im Jahr bekämpfen. Das Wahlprogramm liest sich aber doch eher wie der Otto-Katalog, Angebote für die Breite der Bevölkerung.

Die SPD wirbt mit der Kanzlernähe

In seinem kleinen Wahlkampfbus geht es von Termin zu Termin, bis zu zehn Stück am Tag. Start ist an diesem Tag um 6 Uhr – Flyer verteilen am Essener Hauptbahnhof. Kutschaty nimmt für sich in Anspruch, lernfähig zu sein. Wenn es nicht für Platz eins reicht, will er trotzdem versuchen, zum Beispiel eine Ampel wie in Berlin zu schmieden.

NRW sei am besten gedient, wenn jemand Ministerpräsident sei, der einen engen Draht zum Kanzler hat. Das ist die Rettungslinie, die nach dem Debakel in Schleswig-Holstein auch SPD-Chef Lars Klingbeil ausgegeben hat. Denn ein SPD-Regierungschef könne sich mit dem SPD-Kanzler am besten darum kümmern, wenn es in der aktuellen Lage darum gehe, Arbeitsplätze in NRW zu retten.

Die Spitzenkandidaten in NRW: Thomas Kutschaty (SPD), Mona Neubaur (Grüne,), Hendrik Wüst (CDU) Joachim Stamp (FDP) und Markus Wagner (AfD).
Die Spitzenkandidaten in NRW: Thomas Kutschaty (SPD), Mona Neubaur (Grüne,), Hendrik Wüst (CDU) Joachim Stamp (FDP) und Markus Wagner (AfD).

© Rolf Vennenbernd/dpa

Was die Menschen bewegt? Klar der Krieg, sagt Kutschaty „Gerade die älteren Leute sagen: Passt auf, dass das nicht eskaliert.“ Zudem wirkt immer noch das Durcheinander bei den Corona-Maßnahmen nach, hier gab es viel Wut bei den Eltern über das Hin und Her bei Maskenpflicht und Tests.

Zuletzt musste Wüsts Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) zurücktreten, sie hatte im Juli 2021 wenige Tage nach der Flutkatastrophe mit Kabinettsmitgliedern auf Mallorca ihren Geburtstag gefeiert – während die Bürger um ihr Hab und Gut kämpften. Ein SPD-Fraktionsmitarbeiter versuchte jedoch sogar über den Instagram-Account der Tochter Heinen-Essers an Infos und Bilder über die erst kürzlich publik gewordene Mallorca-Feier zu gelangen. Und schickte aus Versehen eine Freundschaftsanfrage. Die CDU war schwer empört. „Saudoof“ sagt Kutschaty zu dem Vorfall. „Uns aber Stasi-Methoden vorzuwerfen, verhöhnt die Opfer der Stasi.“

Spitzenforschung an der Ruhr – und die Sache mit dem Plastik

Sein nächster Stopp ist das Max-Planck-Institut für Kohlenforschung in Mülheim an der Ruhr, einer dieser Forschungsleuchttürme der Region, jenseits aller Strukturwandelprobleme. Karl Ziegler, der das Institut 25 Jahre leitete und 1963 den Chemie-Nobelpreis gewann, erarbeitete hier das Verfahren, das die Grundlage für die Massenproduktion von Kunststoffen wie Polyethylen bildete, also für die Plastikherstellung.

Allein durch das Patent floss über eine Milliarde Euro in das Institut zurück, ob es für die Welt ein Segen war, steht auf einem anderen Blatt. Hier wird teils über drei bis fünf Jahre an Grundlagen geforscht, hier gibt es die Zeit, die die Politik in ihrem Handeln heute immer weniger hat, Forscher aus 34 Nationen arbeiten hier.

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Heute steht die Katalyse-Forschung im Fokus. Es geht darum, bessere Chemikalien ohne Erdöl zu machen, sich quasi immer wieder neu zu erfinden – und gezielt werden Schüler und Bürger eingeladen, um die Vorurteile gegen chemische Produkte zu widerlegen. Kutschaty fragt immer wieder nach, sagt aber auch: „Ich habe wenig bis keine Ahnung von Chemie.“

Kein überstrahlender Spitzenkandidat

Dieser Wahlkampf ist anders, auch weil es nicht wie zuletzt bei Landtagswahlen und im Bund alles überstrahlende Spitzenkandidaten gibt, die die Wahlen eher zu Personen- denn Parteienwahlen machten. So war es mit Scholz, mit Anke Rehlinger im Saarland und zuletzt mit Daniel Günther im Norden.

Wüst hat das Amt von Armin Laschet übernommen, es ist auch seine erste Wahl. Er versuchte als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz die Corona-Bühne zu nutzen, doch biss mit vorab ventilierten Forderungen bei Scholz und der Ampel oft auf Granit. Und er forderte vehement eine allgemeine Impfpflicht ab 18 Jahren, die die Unions-Fraktion um Merz im Bundestag aber nicht wollte.

Hendrik Wüst, Spitzenkandidat der CDU, spricht bei einer Wahlkampfveranstaltung im Gürzenich in Köln.
Hendrik Wüst, Spitzenkandidat der CDU, spricht bei einer Wahlkampfveranstaltung im Gürzenich in Köln.

© Henning Kaiser/dpa

Im Gürzenich in Köln versucht die CDU Stimmung zu machen, aber nur rund 100 Leute sind gekommen, die meisten ohnehin CDU-Mitglied. Der Chef der Kölner CDU, Bernd Petelkau, ruft in den Saal: „Herbert Reul ist das Markenzeichen für innere Sicherheit.“ Zuvor habe das Polizeigesetz eine Verfolgung auf Autobahnen untersagt, das sei wie ein Magnet für Clans gewesen, sich in NRW niederzulassen. Im Stadtteil Ehrenfeld und Nippes, eher CDU-Diaspora, kandidiert Wüsts Staatskanzleichef, Nathanel Liminski. „Niemand redet mehr von NRW als failed state“, betont er.

Wüst wirbt mit seinen Kontakten in Brüssel und Berlin

Dann gibt es Einmarschmusik, Wüst, dessen großer Wahlkampfbus direkt vor dem Veranstaltungszentrum in der Altstadt parkt, betritt den spärlich gefüllten Saal. Der 46-Jährige ist Westfale, erinnert an seine Jugend auf dem Land. Wie Kutschaty ist er Volljurist, der auch schon die Tiefen der Politik erlebt hat. Er war als damaliger Generalsekretär in die „Rent-a-Rüttgers“-Affäre verwickelt, trat wegen der Vermittlung von Gesprächsterminen gegen Geld mit dem damaligen Ministerpräsidenten zurück.

Zur Methode Wüst gehört auch, Kompetenz und Kontakte zu signalisieren: „Das höre ich auch in Brüssel, auch aus unseren Nachbarländern“, sagt er in Köln. Oder: „Das hat mir die Finanzchefin von Evonik erzählt.“ Oder: „Da habe ich den Bundeskanzler drauf hingewiesen.“ Oder: „Darüber habe ich mit Volker Bouffier besprochen.“

Die Windräder und der Wald im Sauerland

Wüst betont, dass seit 2017 rund 400.000 Arbeitsplätze entstanden seien. Und in schwierigen Stadtteilen wurden die Talentschulen mit mehr Lehrern und besserer Ausstattung geschaffen. „Jetzt wollen alle Talentschulen.“ Das größte Problem ist aber der durch den russischen Krieg verstärkte Druck, noch schneller aus der fossilen Energie auszusteigen. Bisher gibt es in NRW die Regel, dass Windkraftanlagen 1000 Meter von Wohnbebauungen entfernt sein müssen. Die SPD will den Abstand deutlich verringern.

Da Wüst nach Lage der Dinge zwingend die Grünen für eine Koalition brauchen wird, kann sich an dieser Energie-Frage entscheiden, ob das einwohnerreichste Bundesland eine CDU- oder SPD-geführte Regierung bekommt. Wüst macht deutlich, dass er zum Beispiel viel stärker in Wäldern, vor allem dort, wo es Schäden etwa durch Borkenkäferbefall gibt, Windräder aufstellen lassen will. Da kann der nächste Zielkonflikt etwa mit einem Friedrich Merz lauern, der seinen Arnsberger Wald sehr schätzt. „Wir sind auch bereit, in den Wald zu gehen“, sagt Wüst in Köln – und ergänzt, vielleicht auch in Richtung seines Bundes-Chefs: „Da ziehen sie im Sauerland die Augenbrauen hoch“, merkt Wüst süffisant an.

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