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Eine Frau sitzt mit einem Laptop an einem Tisch im Homeoffice.

© Fabian Strauch/dpa

Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser: Achtung - dieser Artikel wurde im Homeoffice geschrieben (und ist trotzdem fertig)

Arbeitgeberverbände fordern ein Ende der Homeoffice-Pflicht. War es das schon mit der schönen neuen Arbeitswelt nach Corona? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Robert Ide

Dieser Artikel wurde im Homeoffice geschrieben. Ist er deshalb schlechter? Wir werden sehen.

Corona geht in die Sommerpause: Die Infektionszahlen sinken, die Impfzahlen steigen, in der Außengastronomie kann man mit negativem Test einen positiven Feierabend genießen. Auch die Wirtschaft sehnt sich nach alten Normalitäten. Der Bundesverband der Deutschen Industrie verlangt von der Regierung die „Rückkehr in den normalen Geschäftsbetrieb“. Das Homeoffice, verzögert eingeführt, soll kurzfristig wieder geschlossen werden, die teuer angemieteten Büros warten auf einpendelnde Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie werden getestet, bevor sie wieder haufenweise zusammensitzen. Die Frage ist nur: Muss das so sein?

Der Bundesverband der Deutschen Industrie fordert die "Rückkehr in den normalen Geschäftsbetrieb"

Die Pandemie hat Schwächen der Gesellschaft offengelegt: ein zusammengespartes Gesundheits- und Pflegesystem, ein unflexibles und zum Dazulernen selten williges Bildungssystem, eine analoge und überregulierte Verwaltung. Und ein zu oft allzu starres Arbeitsleben, das mehr auf Kontrolle aufbaut als auf Vertrauen, eher auf feste Arbeitszeiten setzt als auf flexible Modelle. Mit denen ließen sich auch Kinderbetreuung und Großelternpflege besser regeln, Mitarbeitende neu motivieren. Weil Arbeit Spaß machen soll, Erfüllung gibt. Wenn sie nicht nur sein muss von dann bis dann. Klar, für Firmen muss es planbar bleiben. Aber die Frage ist sowieso: Sind wir so weit?

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Solange Elternzeiten für Väter und berufliche Aufstiege von Müttern misstrauisch beäugt werden, solange Überstunden als Leistung zählen und nicht die innovative Organisation eines Projekts, solange Präsenz bei Meetings wichtiger ist als Empathie für Kolleginnen und Kollegen, so lange bleibt Deutschland auch in der Bürofrage wohl eher unflexibel. Dabei müsste die Wirtschaft in digitalen Zeiten erkennen: Nicht über den Arbeitsort gewinnt sie Menschen für sich, sondern über die Art, wie Arbeit organisiert ist. Auch über die Haltung von Führungskräften. Haben sie nach der Krise, in der Angestellte nebenbei Kinder beschult und betreut, Leben neu organisiert, Ältere umsorgt und gar nicht nebenbei noch gearbeitet haben, wirklich Grund, ihren Mitarbeitenden zu misstrauen?

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Und es wurde ja nicht weniger gearbeitet. Im vergangenen Jahr wurden im Land fast 1,7 Milliarden Überstunden geleistet; im Schnitt mehr als die Hälfte davon unbezahlt. Während manche in unfreiwilliger Teilzeit feststeckten oder ihr Gewerbe ruhen lassen mussten, ackerten andere umso mehr. Viele Eltern mit wenig Unterstützung.

Die Forderungen der Arbeitgeber zeigen das Misstrauen, das Arbeitnehmern entgegenschlägt

Viele Alleinlebende ohne soziale Netzwerke im echten Leben. Ja, manche sehnen sich in die Büros zurück; nach dem Austausch dort, den Überraschungen eines Arbeitstags. Ihnen sollte das Office ohne Home offenstehen, solange es die Pandemielage erlaubt. Aber muss deshalb das ganze Land zurück in eine Normalität, in der man Tag für Tag zur gleichen Zeit in ein Büro einläuft?

Die Politik muss jetzt eine Antwort geben. Eine andere als für ihre Angestellten in Berlins Behörden und der Bundestagsverwaltung. In vielen Amtsstuben herrschte in der Hochphase der Pandemie zu viel Hochbetrieb. Ja, Arbeitsergebnisse müssen geschafft, Werte geschaffen werden. Und viele wichtige Jobs können nicht zu Hause erledigt werden. Andere schon. Da ist Kontrolle gut. Vertrauen ist besser. Denn übrigens: Auch wenn dieser Artikel im Homeoffice geschrieben wurde - er ist trotzdem rechtzeitig fertig geworden.

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