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Als im September 2015 Flüchtlinge an der Spandauer Schmidt-Knobelsdorf-Kaserne ankommen, werden sie noch begeistert begrüßt.

© Davids/Florian Boillot

Konservative und Neue Rechte: Deutschlands liberale Konservative sind heimatlos

Es ist die Zeit radikaler Parolen: gegen Flüchtlinge, für Nationalstolz. Konservative wie Rupert Scholz und Ulrich Greiner könnten vermitteln. Längst sind sie Teil einer neuen, rechten Bewegung. Und stehen doch allein.

Plötzlich zucken 120 Zuhörer zusammen, die dicht gedrängt in der Bibliothek des Konservatismus in Charlottenburg sitzen. Gerade bezichtigt ein Gast im Publikum Rupert Scholz, den Referenten des Abends zum Thema Asyl, politisches Establishment zu sein. Er weiche immer aus, wenn es um Konsequenzen gehe, dabei müsse Scholz sich Merkel und andere Politiker ins Gefängnis wünschen, weil er deren Asylpolitik selbst beklage. Diese Politik zerstöre Deutschland.

Da wird der renommierte Staatsrechtler, Bundesverteidigungsminister unter Helmut Kohl und 80 Jahre alt, laut. Sein Tonfall beendet das Raunen abrupt. Er ruft: „Ihre Polemik akzeptiere ich nicht!“ Er belehrt, dass man in Deutschland einen Rechtsstaat habe. „Wenn sie in einem demokratischen System jemanden vor Gericht stellen wollen, brauchen sie ein Verfahren“, sagt Scholz erregt.

Deutschland ist zurzeit voller radikaler Parolen und scharfer Gegenreaktionen. Debatten ohne Anfeindungen sind kaum möglich. Immer heißt es, „das wird man ja noch sagen dürfen“. Die Debatte um die Flüchtlingspolitik war und ist ein Katalysator für Aggressivität. Es gibt nur Freund oder Feind – dafür oder dagegen.

Wenn überhaupt jemand vermitteln können sollte, müssten dies die liberalen Konservativen wie Scholz sein. Den Linken sind sie altbekannt, zudem haben sie den besten Zugang nach Rechtsaußen und zu denen, die dort in den vergangenen Jahren auftauchten, weil Schnittmengen im Denken vorhanden sind.

Sie bilden einen bürgerlich-konservativen Debattierklub

Rupert Scholz ist seit 1983 CDU-Mitglied und ein bekennender Konservativer, dessen Credo vom Philosophen Odo Marquard stammt: Zukunft braucht Herkunft. Seit 2015 ist Scholz ein vehementer Kritiker der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin; doch hier in der Bibliothek sieht er sich jetzt gezwungen, seine persönliche Grenze zu ziehen, gegen das Radikale, die verletzende Polemik und den antidemokratischen Gestus.

In dem stickigen Raum neben hohen Regalen voll konservativer und nationalkonservativer Bücher sitzen auf schwarzen Klappstühlen Männer und Frauen über 60 oder 70 Jahre, einige Jüngere sind auch dabei. Sie sind gekommen, um Rupert Scholz über Migration und Obergrenze sprechen zu hören. Seit der Gründung 2012 ist die Bibliothek ein Ort, an dem sich Menschen versammeln, die dem Establishment misstrauen, sie bilden einen bürgerlich-konservativen Debattierklub: Enttäuschte Mitglieder der CDU, AfD-Anhänger, parteilose Konservative, auch Unterstützer der „Identitären Bewegung“, die „den Erhalt der ethnokulturellen Identität im Grundgesetz verankern“ will. Alle möglichen Facetten des Rechts-Seins sind vertreten.

Im immer unübersichtlicher werdenden Dunstkreis der AfD machen sich sowieso Rechte jeglicher Couleur auf, um den Diskurs im Land zu diktieren. Es ist eine Bewegung gegen die vermeintliche Political Correctness – gegen die Ehe für alle, Gender-Mainstreaming, moderne Sexualaufklärung oder den Feminismus; gegen den Euro und natürlich gegen eine Masseneinwanderung. Die honorigen Konservativen wie Rupert Scholz sind gewollt oder ungewollt ein Teil dieser Bewegung geworden. Und gleichzeitig einsam – weil sie von den neuen Rechten nur umspült werden wie ein Fels im Meer.

Rupert Scholz, 81 Jahre und Mitglied der CDU, bei einem Vortrag über "Migration und Obergrenze" in der Bibliothek für Konservatismus in der Charlottenburger Fasanenstraße.
Rupert Scholz Anfang Mai bei einem Vortrag über "Migration und Obergrenze" in Berlin

© ale

Das emsige Getuschel im Publikum ist auffällig, wer hierher kommt, kommt gern ins Gespräch, freut sich über Gleichgesinnte. „Was kann man nur tun angesichts der Lage im Land“, fragt ein Gast seine Nachbarin. „Entweder Militärputsch oder Krieg“, antwortet die.

„Wie lange muss ich noch zusehen, wie mein Vaterland kaputtgemacht wird“, wird Scholz nach seinem Vortrag von einer Frau gefragt. Als Scholz sie ignoriert, flüstert eine Besucherin: „Jetzt traut sich wieder keiner aufzustehen!“

Ein junger Mann berichtet, dass er unter seinen Altersgenossen leide. Die seien für Migranten, für Fremde, für die bunte Gesellschaft, „nur Deutsch sein wollen die nicht“. Deutschland werde Opfer einer Umerziehung: „Wie sollen wir die Menschen von uns überzeugen, ohne als Rechte diffamiert zu werden?“ Scholz erwidert trocken: „Müssen Sie den Meinungskampf annehmen.“

Die Besucher und diese Bibliothek stehen stellvertretend für den Flickenteppich an rechten Haltungen, die in diesem Land immer mehr Beachtung finden. Mittlerweile haben mehr als 153 000 Bürger die „Erklärung 2018“ unterschrieben, die „die illegale Masseneinwanderung“ anprangert und als Petition in den Bundestag eingereicht werden soll. Neben Vertretern der Neuen Rechten haben sich viele Bildungsbürger mit einem akademischen Grad beteiligt.

Scholz hat nicht unterschrieben, aber sein Name taucht auf als Vorschlag für die Zusammensetzung einer Kommission, die die Initiatoren fordern.

Ein paar Tage vor seinem Vortrag in der Bibliothek raucht Scholz in seinem Büro einer internationalen Anwaltskanzlei in der Friedrichstraße genüsslich Zigarillos. Die Erklärung 2018? Kenne er nicht. Interessiere ihn auch nicht. Er sei sein eigener Herr, sage, was er zu sagen habe. Wenn das ein Rechtsextremer gut findet, sei ihm das nicht egal, aber er könne nichts dagegen machen.

Scholz: Wer Grenzen aufgibt, gibt den Staat auf

Rupert Scholz findet, man könne eine Gesellschaft verändern, aber nur, wenn man sich seiner Geschichte und Kultur bewusst sei. „Ich kann den Menschen nicht zum Weltbürger zwingen, dass er alles Nationale abstreift. Seine Nationalität ist sein Herkommen, seine Heimat. Ich bin in meinem Sein, auch in meinem Bewusstsein Teil der Vergangenheit meines Volkes. Wer das leugnet, ist ein Ideologe und verstümmelt sein Selbst.“ Er sieht sich als Konservativen, der in der CDU heimatlos geworden ist, verraten von der eigenen Partei. Die Abschaffung der Wehrpflicht, der schnelle Atomausstieg oder die Ehe für alle waren für ihn schmerzhafte Wegmarken. Alexander Gauland hat seine Konsequenzen gezogen und die AfD mitgegründet. Rupert Scholz ist geblieben.

Seit Ende 2015 fordert er eine Reform des Asylrechts, weil nahezu alle Geflüchteten, die nach Deutschland gekommen seien, das Asylverfahren durchlaufen, „doch nur bei den wenigsten handelt es sich um politisch Verfolgte." Humanität, findet er, könne nicht über der Verfassung stehen. Und: Wer Grenzen aufgebe, gebe den Staat auf. Sein persönlicher Kampf gegen die Flüchtlingspolitik hat zwei Säulen – eine juristische und eine gesellschaftliche. Er fürchtet, dass der Versuch, 1,5 Millionen Menschen aus einem anderen kulturellen Umfeld zu integrieren, „zu schweren Verwerfungen in der Gesellschaft führen muss“. Letztlich fürchtet er um den Verlust nationaler Identität. Man könne sich als Land zwar multiethnisch öffnen, aber dann müsse man gleichzeitig ein ausbalanciertes Nationenverständnis entwickeln. „Ich muss diese nationale Identität dann proaktiv begründen und einfordern, sodass sie zur Normalität werden kann.“

Bekennender Konservativer: Rupert Scholz.
Bekennender Konservativer: Rupert Scholz.

© IMAGO

In der Bibliothek des Konservatismus würde das Publikum solche Differenzierungen mehrheitlich ablehnen. Genauso wie Linke. Doch Differenzierung ist das wesentliche Merkmal, das Scholz von den Radikalen unterscheidet. In der Fasanenstraße sind viele aus der rechten Bewegung zu finden: Der Gründer und Chefredakteur der „Jungen Freiheit“, Dieter Stein, der Mitglied der Republikaner war, ist Mitinitiator der Bibliothek und hat enge Verbindungen zur AfD. Während die „Junge Freiheit“ auf Reformen setzt, wollen andere wie der extrem Rechte Verleger Götz Kubitschek eher Revolution. Es ist kein Zufall, dass die neurechte Jugendbewegung der Identitären, Kubitscheks Zeitschrift „Sezession“ nähersteht als der „Jungen Freiheit“. Aber unter dem Strich findet die Weltanschauung der Protagonisten so viele Befürworter und Multiplikatoren wie nie zuvor. Junge wie Alte.

Kann man mit gutem Gewissen Konservativer sein, weil man sich als Gegengift und nicht als Placebo sieht?

Einer, der diese Frage nur mit einem langen Seufzen beantwortet, ist Ulrich Greiner. Für den langjährigen Leiter des Feuilletons der Wochenzeitung „Die Zeit“ und renommierten Literaturkritiker war ähnlich wie bei Scholz die Flüchtlingskrise das Ereignis, um die eigene Einstellung neu zu denken.

An einem Donnerstag im April sitzt der 72-Jährige, er ist Vater zweier erwachsener Töchter, in seinem mit Büchern vollgestopften Büro. Er ist groß, schlank, freundlich. Er ist ausgestattet mit einem Selbstbewusstsein, das sich aus eigener Lebenserfahrung und aus der Überzeugung speist, dass einem eine ordentliche Allgemeinbildung nun wirklich nicht schade. Er betont: „Wenn ich sage, dass es nicht abwegig ist, eine Islamisierung zu befürchten, dann ist das weder rassistisch noch völkisch. Ich bin auch nicht islamophob. Ich belehre niemanden, ich äußere nur meine Haltung.“

Auch das Gender-Mainstreaming regt ihn auf

Im März 2016 schreibt er einen langen Text mit dem Titel „Vom Recht, rechts zu sein“, später wird daraus das Buch „Heimatlos. Bekenntnisse eines Konservativen.“ Greiner beschreibt seine persönliche Wandlung von einem Linken zu einem Konservativen. Es ist ein privates Lehrstück, das Einblick gibt in die enge, oft empathielose und dogmatische Welt der 68er.

Das Buch besitzt auch eine Relevanz im Jetzt, weil es dazu auffordert, die Schützengräben im Namen der Vernunft zu verlassen. Greiner schreibt, dass seine konservative Haltung kein politisches Programm sei, sondern ein Lebensgefühl. Dieses steht dem Zeitgeist entgegen – trifft aber das Lebensgefühl der neuen Rechten. So wie die Kritik Rupert Scholz’ an der Flüchtlingspolitik die Haltung der neuen Rechten trifft. Greiner schreibt, dass die Warnung vor einer Islamisierung nicht bloß das Hirngespinst verwirrter Pegida-Anhänger sei, findet, dass der im Grundgesetz garantierte Schutz von Ehe und Familie die gleichgeschlechtlichen Lebensformen nicht mit einschließe, stellt sich gegen „Praktiken biotechnischer Reproduktion“ und zweifelt an der Legitimation Brüssels für die Banken- und Eurorettung. Auch das Gender-Mainstreaming regt ihn auf.

In Hamburg sagt er: „Wenn wir unsere Kultur nicht mehr kennen, wenn das tradierte Wissen über Literatur, Kunst oder auch über die eigene Geschichte verloren geht, dann ist die Leitkultur in Gefahr.“ In seinem Büro beklagt Greiner angesichts der Debatten um den Schriftsteller Uwe Tellkamp, der die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung kritisierte, dass es keinen Vertrauensvorschuss mehr gebe. Es werde einem nicht mehr abgenommen, dass man in der Sache diskutieren wolle.

Aber er will. Und so reist er einen Tag später von Hamburg nach Göttingen, um an einer Veranstaltung des linken Schriftstellerverbands PEN Deutschland teilzunehmen. Thema: „Das Recht auf Meinungsäußerung und die neue Rechte.“

Mehr als 150 Vertreter des vermutlich aufgeklärten Bürgertums sitzen am Abend in der historischen Bibliothek der Paulinerkirche. Der Saal strahlt das aus, was Greiner vermisst: abendländische, christliche Kultur. Auf dem Podium sitzen die PEN-Präsidentin Regula Venske, die Schriftstellerin Zoe Beck, die die Initiative Verlage gegen Rechts gegründet hat, und der Historiker Ulrich Sieg. Aber ausgerechnet Greiner tappt gleich zu Beginn selbst in die Falle. Er unterstellt dem Historiker, der einen Kurzvortrag hält, er wolle die heutigen Debatten offenbar auch unter Naziverdacht stellen. „Wohin soll das führen“, fragt er gereizt. Sieg hat über die Zeit vom Ersten Weltkrieg, über Weimar bis zum Nationalsozialismus gesprochen und gesagt: „Konservative Revolutionen ereignen sich. Jetzt. Damals. Darüber müssen wir weiter diskutieren.“

Ulrich Greiner, Autor und ehemaliger Leiter des Feuilletons der "Zeit".
Ulrich Greiner, Autor und ehemaliger Leiter des Feuilletons der "Zeit".

© Imago

Für Greiner ist der Abend gelaufen wie nach drei schnellen Gegentoren im Fußball. Er kann sagen, was er will, er ist der Feind. Als er anmerkt, er finde es gut, dass die AfD im Parlament sitze, weil man sich nun mit ihr auseinandersetzen müsse, pfeifen einige. Zoe Beck spricht von einem „Kneipenkontext“, den er herstelle, und findet, wenn das allein so wäre, dass man streitet – „gut, aber auf welche Art und Weise, das sei eben gar nicht gut, weil die AfD bewusst Grenzen überschreitet“. Sie fragt Greiner empört, ohne ihn anzusehen: „Ist das dann auch noch putzig?“ Als er versucht, Tellkamp zu verteidigen mit dem Hinweis, man müsse doch mit ihm diskutieren können, ohne dass man sage, der rede ja wie Pegida, kontert sie: Tellkamp wünsche sich doch nur Widerspruchsfreiheit.

Greiner wirkt einsam dort auf dem Podium – er ringt um Fassung.

Wenige Wochen vor Göttingen liest auch Ulrich Greiner in der Bibliothek des Konservatismus aus seinem Buch vor, obwohl ihm nicht wohl dabei ist, er hat Angst, dass man ihn auffordert, sich mit der AfD oder Pegida zu solidarisieren, wie er erzählt. Er würde dann seine Grenze ziehen, den Zynismus eines Gauland anprangern, die Relativierung der Shoah, den rechten Revisionismus. Aber es passiert nichts, kein Versuch einer Vereinnahmung. Vielleicht liegt es daran, dass er nur ausspricht, was seine Zuhörer denken. Es sei riskant, konservativ hinsichtlich seiner Lebensform zu sein. Wer für die klassische Ehe, für Kindererziehung ohne Krippe und selbstgezeugte Kinder sei, müsse sich „vor Hass und Anfeindungen vorsehen“ und der „vernichtende Verdacht, „rechtsextrem zu sein“, schwebe über einem.

Nach der Lesung sitzt er mit dem Veranstalter und Gästen in der Kneipe zusammen. Er fühlt sich wohl, erinnert sich im Rückblick an ein „Traditionsbürgertum der angenehmsten Sorte“. Bis das Thema auf das „Soldatische“ und „Männliche“ kommt. Das fehle den Deutschen, sagt einer. Er beklagt, dass man in einem „post-heroischen“ Zeitalter lebe, Nationen bräuchten aber „soldatische Tugenden“. Greiner spürt, jetzt wird es suspekt. Sein Vater, der bei der Wehrmacht war, hatte schon versucht, ihm das „Soldatische“ beizubringen. Er hat es verabscheut. Gerade hat er gedacht, er sei unter Seinen. Jetzt nicht mehr.

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