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Auf den Ernstfall vorbereiten. Israel zieht an der Grenze zu Gaza Panzerverbände zusammen.

© Ilia Yefimovich/dpa

Konflikt um Gaza: Wie der Konflikt zwischen Israel und der Hamas eskalieren könnte

Weder die Hamas noch Israels Regierung haben Interesse an einem Krieg – doch das garantiert noch keine Waffenruhe, erst recht keinen Frieden. Eine Analyse.

Die Ruhe nach dem Sturm begann in den frühen Morgenstunden. Gegen drei Uhr verstummten auf israelischer Seite die Alarmsysteme, kurz darauf stellte auch die Armee ihre Angriffe auf Gaza ein.

Zuvor waren rund 60 Raketen aus dem Küstenstreifen auf den jüdischen Staat abgefeuert worden, einige davon holte der Abfangschirm „Eiserne Kuppel“ vom Himmel. Israel wiederum attackierte Hamas-Ziele in Gaza, darunter das Haus, in dem sich das Büro vom Chef der Terrororganisation, Ismail Haniya, befunden hatte.

Zur Sicherheit blieben am Dienstag in den Gemeinden nahe dem Gazastreifen viele Schulen geschlossen, Veranstaltungen mussten auf weniger als 300 Teilnehmer begrenzt, Arbeit auf den Feldern nahe dem Grenzzaun mit der Armee koordiniert werden. Die Anspannung blieb. Und mit ihr die Frage, ob die Lage noch eskalieren oder doch ein Waffenstillstand erzielt werden würde.

Angriff als Ablenkung?

Wie bereits während der Auseinandersetzungen in den vergangenen Monaten gilt auch diesmal als sicher, dass keine der Seiten ernsthaftes Interesse an einem Krieg hat. Eine Garantie für Frieden ist das aber nicht. Vor allem die Hamas steht derzeit innenpolitisch unter Druck, was ein Grund für die jüngste Krise sein dürfte.

Zwar wies sie die Verantwortung von sich und gab an, die Lage nicht eskalieren lassen zu wollen. Die israelische Armee ist sich allerdings sicher, dass die radikalen Islamisten hinter dem Raketenangriff auf ein Wohnhaus im Zentrums Israels am Montagmorgen stecken. Sieben Menschen wurden dabei verletzt – der Grund für Israels Vergeltungsschläge.

Angriff als Ablenkung? Es wäre ein zynisches Manöver der Hamas, um die Aufmerksamkeit der Bevölkerung in Gaza wieder auf den Erzfeind Israel zu lenken. Denn die Menschen machen inzwischen auch die eigene Führung für ihre Misere verantwortlich.

Menschen in Not. Im Gazastreifen sind Hunderttausende auf humanitäre Hilfe angewiesen.
Menschen in Not. Im Gazastreifen sind Hunderttausende auf humanitäre Hilfe angewiesen.

© Mohammed Abed/AFP

„Die Palästinenser sind unglaublich wütend: auf Israel, auf die USA, auf die arabischen Staaten, von denen sie sich im Stich gelassen fühlen“, analysiert Nahostexperte Ronni Shaked vom Truman-Institut an der Hebräischen Universität in Jerusalem. „Aber immer öfter beschuldigen sie nun auch die Hamas, weil sie begreifen, dass die nichts tun, um die Lage in Gaza zu verändern.“

So versammelten sich vor Kurzem Hunderte Menschen unter dem Hashtag #Wirwollenleben an mehreren Orten im Gazastreifen, berichtet der palästinensische Journalist Rames Gul. „Es sollten friedliche Proteste werden, vor allem junge Männer waren dabei. Manche hielten leere Kochtöpfe in die Höhe und riefen:

Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei mehr als 60 Prozent, es mangelt an Trinkwasser und Strom. Doch dass die Hamas eine Mitschuld an der Misere im Küstenstreifen hat, wollen die Anführer nicht hören. Brutal ließen sie die Kundgebungen niederschlagen. „Sie haben junge Männer verprügelt und festgenommen, Journalisten wurden eingeschüchtert. 15 meiner Kollegen hat man verhaftet“, sagt Gul. Er selbst sei gewarnt worden, nicht weiter über die Proteste zu berichten.

Ein ernstzunehmender Herausforderer für Netanjahu

Während die Hamas ihre Gegner unterdrückt, kämpft auf der anderen Seite des Grenzzauns Benjamin Netanjahu um sein politisches Überleben. Mit dem früheren Armeechef Benny Gantz und seinem Bündnis Blauweiß hat er erstmals einen ernst zu nehmenden Gegner.

Zudem hat Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit angekündigt, demnächst offiziell Anklage in drei Korruptionsfällen gegen den Premier einzureichen. Nun werfen ihm die Gegner auch noch vor, zu schwach auf die Angriffe der Islamisten zu reagieren.

Ein Erfolg für Netanjahu. Donald Trump erkennt Israel Souveränität über den Golan an.
Ein Erfolg für Netanjahu. Donald Trump erkennt Israel Souveränität über den Golan an.

© Susan Walsh/AP/dpa

Die Einsätze der israelischen Armee am Montagabend hatte Netanjahu von Washington aus koordiniert. Dort konnte er immerhin einen außenpolitischen Erfolg einfahren. Während zu Hause die Soldaten die ersten Angriffe auf Ziele in Gaza flogen, unterzeichnete US-Präsident Donald Trump in seinem Beisein ein Dekret, mit dem Amerika die Golanhöhen als Teil Israels anerkennt.

Netanjahu strahlte verschmitzt in die Kameras. Es war ein Wahlkampfgeschenk seines politischen Alliierten, auf das Netanjahu schon einige Zeit hingearbeitet hatte. Israel hatte einen Teil der Golanhöhen während des Sechstagekrieges 1967 von Syrien erobert und im Jahre 1981 annektiert. Dies widerspricht dem Völkerrecht, vom Rest der internationalen Staatengemeinschaft wurde der Schritt deshalb bisher nicht anerkannt.

Vorbehalte der Golfstaaten in Sachen Golan

Innerhalb Israels ist der Anspruch auf den Golan in weiten Teilen der Gesellschaft unumstritten. Man begründet ihn mit der strategischen Bedeutung des Gebiets im Norden, vor allem nach Jahren des syrischen Bürgerkriegs, in denen sich der Erzfeind Iran mehr und mehr im Nachbarstaat etablierte. „Wir wollen nicht noch einen Angriff wie heute Morgen im Norden Israels erleben“, sagte Trump bei der Pressekonferenz am Montag.

Ob ihm am Ende dieser Schritt mehr schadet als nützt, wird sich zeigen. Viele Golfstaaten kritisierten den Präsidenten – und waren sich damit ausnahmsweise mit dem Iran einig. Aus Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten hieß es, die Anerkennung werde negative Auswirkungen auf den Friedensprozess im Nahen Osten haben. Zuletzt hatten die Vereinigten Staaten versucht, die Unterstützung einiger Golfmonarchien für Trumps „ultimativen Friedensplan“ zu erlangen.

Für Netanjahu geht es nach dem erfolgreichen Kurzaufenthalt in den USA zu Hause angespannt weiter. Wieder einmal ist sein Land nur knapp am Krieg vorbeigeschlittert, vorerst. Aus Gaza hieß es am Dienstagmittag, dass Israel als Bedingung für einen Waffenstillstand ein Ende jeglicher Aktivitäten entlang der Grenze fordere sowie die Absage des geplanten Protests zum Jahrestag des „Marsches der Rückkehr“.

Kurze Zeit später war dann davon die Rede, die Organisatoren hätte zumindest die für Dienstagabend geplanten Kundgebungen verschoben. Und nun? Die entscheidende Frage lautet wohl: Was wird Israel der Hamas im Gegenzug anbieten?

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