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Die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 kann nun offenbar zu Ende gebaut werden.

© Stefan Sauer/dpa

Kompromiss bei Nord Stream 2: Amerikanische Deeskalation

US-Präsident Biden gibt im Streit um Nord Stream 2 nach – für eine engere Zusammenarbeit mit Deutschland bei China. Das ist riskant. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Juliane Schäuble

Ist nun alles gut? Sechs Monate nach dem Machtwechsel im Weißen Haus haben die USA offenbar ihren Widerstand gegen die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 aufgegeben – und senden damit grünes Licht für die Lösung eines seit Jahren schwelenden transatlantischen Streits.

US-Präsident Joe Biden macht damit klar, dass er die unter seinem Vorgänger arg gebeutelten Beziehungen zu Berlin wirklich reparieren will, und er hat dafür einen guten Grund: Er sieht Deutschland als Führungsmacht in Europa, die er als Partner an seiner Seite wissen will – vor allem mit Blick auf China, für ihn die größte Herausforderung der kommenden Jahrzehnte.

Ist der Deal also ein Erfolg für ihn genauso wie für die scheidende Bundeskanzlerin Angela Merkel, die das Thema in der vergangenen Woche bei ihrem Abschiedsbesuch im Weißen Haus abräumen wollte?

Die größte Baustelle im transatlantischen Verhältnis

Einerseits ja. Die größte Baustelle im transatlantischen Verhältnis kann abgebaut werden. Merkel war mit dem klaren Vorsatz nach Washington gereist, Biden ihre Sicht der Dinge zu verdeutlichen: Nord Stream 2 ist für sie kein rein deutsches Projekt, sondern ein europäisches. Offenbar konnte sie Biden zudem glaubhaft versichern, das Recht der Ukraine auf Gastransit garantieren zu können.

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Das Problem ist nur: Viele Partner haben daran große Zweifel, vor allem in Mittel- und Osteuropa. Hier gilt Merkel – und damit Deutschland – endgültig als Russlandversteher, und das ist nicht positiv gemeint. Dass ihr Vorgänger Gerhard Schröder in den Aufsichtsrat von Gazprom einzog, nachdem er Nord Stream 2 ermöglicht hatte, belege, wie groß die Korruptionsgefahr sei, heißt es.

Die Pipeline wird als ein gefährliches geopolitisches Projekt gesehen, durch das Russland seine Macht ausweiten will. Und als Beispiel für einen deutschen Alleingang, mit dem Deutschland seine wirtschaftlichen Interessen über das Sicherheitsbedürfnis der Ukraine und Polens stellt.

Putin sieht die Pipeline als Erziehungsinstrument

Wladimir Putin macht keinen Hehl aus seinen Absichten: Er sieht die neue Pipeline als Erziehungsinstrument für die Ukraine, die von Russland unabhängiger werden will. Mit ihr will der Kremlchef Kiew unter Druck setzen, es mit der Eigenständigkeit und der Orientierung nach Westen nicht zu übertreiben.

Biden weiß das alles, er ist seit langem ein Gegner der Gasleitung. Und er kennt die große Skepsis im US-Kongress. Dennoch hat er sich entschieden, seinen Widerstand aufzugeben.

Es sei ja ohnehin zu spät, sagt er, da Nord Stream 2 bei seinem Amtsantritt fast vollendet gewesen sei. Daran hätten auch Sanktionen nichts mehr ändern können.

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Der nun gefundene Kompromiss soll Kiew beruhigen. Er beinhaltet finanzielle Zusagen und eine Klausel, mit der sich die USA Sanktionen gegen den russischen Energiesektor vorbehalten, falls Moskau sich aggressiv verhält.

Wie kann Russland in Schach gehalten werden?

Das Weiße Haus argumentiert, bei den Verhandlungen mit Berlin sei man dem gemeinsamen Ziel nähergekommen. „Russland davon abzuhalten, Energieströme als Waffen einzusetzen“. Wie genau das aber im Ernstfall geschehen soll, bleibt offen. Auch gibt es in dem Kompromiss-Entwurf, aus dem US-Medien im Vorfeld zitierten, offenbar kein Angebot für eine engere West-Anbindung der Ukraine.

Für die Ukraine kann dieser Deal nicht beruhigend wirken. Dass die Unterhändler erst im Nachhinein nach Kiew reisten, unterstreicht den Eindruck, dass hier über ihren Kopf hinwegverhandelt wurde. Mit Warschau, das lange auf einen Sieg von Donald Trump gesetzt hatte, wurde genauso wenig vorab gesprochen. Dem Zusammenhalt in Europa dient dieses Vorgehen eher nicht.

Auch die Hoffnung der Biden-Regierung, dass Deutschland bei China die eigene Sichtweise übernimmt, könnte enttäuscht werden – trotz aller warmen Worte über gemeinsame Werte. Im September wird eine neue Regierung in Berlin gewählt, die durch den Deal nun ein Problem weniger hat. Washington kann sich indes nicht sicher sein, für seine Deeskalation belohnt zu werden.

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