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Der britische Premier tritt beim G7-Treffen letzte Woche gemeinsam mit seiner Frau vor die Presse.

© Stefan Rousseau/Pool/REUTERS

Update

Komplettrückzug erst nach Hochzeit?: Johnson ist als Parteichef zurückgetreten – bleibt aber vorerst Premierminister

Nach massivem Druck hat Boris Johnson seinen Rücktritt als Tory-Parteichef erklärt. Bis zur Wahl eines Nachfolgers will er aber Regierungschef bleiben.

Nach einer offenen Revolte gegen ihn hat der britische Premierminister Boris Johnson am Donnerstagmittag seinen Rücktritt als Parteichef der Konservativen erklärt. Er wolle aber als Regierungschef weitermachen, bis ein Nachfolger gewählt ist, sagte Johnson am Donnerstag in London. Er sei traurig, den besten Job der Welt aufgeben zu müssen.

Allerdings fordern zahlreiche Parteifreunde, der 58-Jährige solle sofort auch als Regierungschef abtreten. Der ehemalige britische Regierungschef John Major sagte, Johnson sollte „zum allgemeinen Wohl des Landes“ nicht noch so lange im Amt bleiben, bis ein Nachfolger gefunden sei, erklärt Major in einem offen Brief.

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„Der Vorschlag, dass der Premierminister bis zu drei Monate im Amt bleibt, nachdem er die Unterstützung seines Kabinetts, seiner Regierung und seiner Parlamentsfraktion verloren hat, ist unklug und möglicherweise unhaltbar“, schreibt Major. Die Opposition verlangt eine Neuwahl.

Zurückhaltung wegen Hochzeitsplänen?

Medienberichte deuten allerdings darauf hin, dass der Rückzug als Premier wegen privater Pläne auf sich warten lässt. Johnson und seine Frau Carrie hatten im Mai 2021 im kleinen Kreis geheiratet - wegen der Corona-Beschränkungen konnten sie nur 30 Gäste zu einer Gartenparty in die Downing Street einladen.

Für den 30. Juli ist nun eine große Party in Chequers, dem offiziellen Landsitz des britischen Premierministers, geplant. Der "Daily Mirror", der "Guardian" und andere britische Medien berichten, der Zeitplan für den Rücktritt hänge vor allem mit dieser Feier zusammen - die Einladungen nach Chequers seien bereits verschickt.

Auch ein Versprecher deutet darauf hin, dass Johnson in seiner Rücktrittsrede das Herrenhaus aus dem 16. Jahrhundert im Sinn hatte: Als er vor seinem Amtssitz in der Londoner Downing Street seinen Rücktritt bekannt gab, bedankte er sich bei seinen "wunderbaren Mitarbeitern hier in Chequers".

Londons Bürgermeister Sadiq Khan von der oppositionellen Labour-Partei kommentierte die Vorwürfe ironisch: "Auch wenn wir alle gerne ein rauschendes Hochzeitsfest auf Kosten des Steuerzahlers in Chequers haben würden, wird er das nicht tun können, weil die britische Öffentlichkeit es abscheulich finden wird", sagte Khan im Sender LBC Radio.

Die Regierungskrise in London hatte sich am Donnerstag weiter verschärft. Johnson verlor zunehmend an Rückhalt. Mehrere Kabinettsmitglieder und Dutzende parlamentarische Regierungsmitarbeiter traten von ihren Ämtern zurück. Fast 60 Minister und andere Regierungsmitglieder sind seit Dienstag abgetreten.

Selbst der erst am Dienstag ins Amt berufene Finanzminister Nadhim Zahawi hatte Johnson öffentlich zum Rücktritt aufgerufen. „Premierminister, in Ihrem Herzen wissen sie, was das Richtige ist. Gehen Sie jetzt“, schrieb Zahawi in einem auf Twitter veröffentlichten Brief an Johnson.

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Mögliche Nachfolger für Johnson

Der britische Vize-Ministerpräsident Dominic Raab will einem Medienbericht zufolge nicht der Nachfolger an der Regierungsspitze werden. Auch der frühere Wohnungsbauminister Michael Gove wolle nicht für den Posten antreten, berichtet ein Reporter der Zeitung „Daily Mail“.

Im Rennen um Johnsons Nachfolge gibt es ansonsten bislang keinen klaren Favoriten. Der erst am Dienstag ins Amt berufene Finanzminister Nadhim Zahawi gilt wie Außenministerin Liz Truss und Handelsministerin Penny Mardaunt als möglicher Nachfolger. Laut einer YouGov-Umfrage hat sie die zweitgrößten Chancen auf das Amt der Parteichefin.

Top-Favorit ist der Verteidigungsminister Ben Wallace. Das besagt eine am Donnerstag veröffentlichte Umfrage unter Tory-Mitgliedern. Wallace hat im Zuge der Ukraine-Krise an Beliebtheit gewonnen. Der 52-jährige ehemalige Offizier gilt als geradlinig und kompetent. Offiziell hat bisher nur Generalstaatsanwältin Suella Braverman ihre Kandidatur angekündigt.

Oppositionschef Keir Starmer von der Labour-Partei begrüßte den erwarteten Rücktritt Johnsons. Das seien „gute Neuigkeiten“, sagte Starmer der britischen Nachrichtenagentur PA zufolge. Er fügte hinzu: „Aber es hätte schon vor langer Zeit passieren sollen.“

Die britische Außenministerin Liz Truss wird der BBC zufolge ihre Teilnahme am Treffen der G20-Ressortchefs auf Bali abbrechen. Truss plane, nach Großbritannien zurückzukehren. Auch sie gilt als mögliche Nachfolgerin.

Massiver Gegenwind führte zu Rücktritt

Noch am Mittwochabend hatte ein enger Johnson-Vertrauter verkündet, der Premier werde nicht aufgeben. „Der Premierminister ist in einer optimistischen Stimmung und wird weiterkämpfen“, sagte Johnsons parlamentarische Assistent James Duddridge dem Sender Sky News.

Johnson habe bei der vergangenen Parlamentswahl das Mandat der Wähler bekommen und „so viel zu tun für das Land“. Doch ein Festhalten an der Macht schient angesichts des massiven Gegenwinds kaum möglich. Am Donnerstag berichtete unter anderem die BBC unter Berufung auf Regierungskreise von Johnsons bevorstehender Rücktrittsankündigung.

Notfalls, so berichteten britische Medien, sollte Johnson per Misstrauensvotum aus dem Amt entfernt werden. Der Tory-Politiker hatte erst vor einem Monat eine Misstrauensabstimmung in seiner Fraktion knapp überstanden.

Für eine weitere Misstrauensabstimmung wäre eine Änderung der parteiinternen Regeln notwendig gewesen. Erwartet wurde zunächst, dass es Johnson darauf ankommen lassen würde. Doch am Donnerstag wurde der Druck offenbar zu groß.

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Ausgelöst wurde die jüngste Regierungskrise in Westminster durch eine Affäre um Johnsons Parteikollegen Chris Pincher, dem sexuelle Belästigung vorgeworfen wird. Zuvor war herausgekommen, dass Johnson von den Anschuldigungen gegen Pincher wusste, bevor er ihn in ein wichtiges Fraktionsamt hievte. Das hatte sein Sprecher zuvor jedoch mehrmals abgestritten.

Die Affäre erwies sich nun als Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Johnson steht schon seit Monaten massiv wegen illegaler Lockdown-Partys während der Pandemie im Regierungssitz Downing Street in der Kritik. Er hatte wegen Teilnahme an einer der illegalen Zusammenkünfte selbst einen Strafbefehl von der Polizei erhalten und ist damit der erste britische Regierungschef, der sich während seiner Amtszeit strafbar gemacht hat. Trotzdem stritt er lange jegliches Fehlverhalten ab. (dpa/Reuters/AFP)

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