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Heutzutage werden Stimmungen vermehrt nicht mehr verbal, sondern mit Emojis ausgedrückt.

© Matthias Balk / dpa

Kommunikationstrend Whatsapp: Generation Smartphone: Die Angst zu stören

Texten statt telefonieren - die Kommunikation der Jüngeren ist im Wandel. Das Smartphone ist zur neuen Schreibmaschine geworden. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Werner van Bebber

Wer der Generation Smartphone beim Kommunizieren zusieht, hat es längst bemerkt: Sie Whatsappen lieber mit dem Gerät, statt zu telefonieren. Sie nutzen die Finger beider Hände, um zu texten und Emojis auszusuchen. Wenn man sie anruft, heißt es nach dreimaligen Klingeln: "nicht erreichbar".

Die Telefon-Funktion der Geräte, ohnehin längst nicht mehr die wichtigste, verliert immer weiter an Bedeutung. Weil heute zu jedem Trend auch eine Phobie gehört, liest man neuerdings von der "Telefonphobie" unter jungen Leuten. Das Telefonieren hat etwas Übergriffiges bekommen.

"Verheerungen" des Schrillens und zeitliche Tabuzonen

Man könnte eine Geschichte der menschlichen Kommunikation am Umgang der Generationen mit dem Telefon schreiben. Walter Benjamin schrieb in der "Berliner Kindheit um 1900" von den "Verheerungen", die das Schrillen des Apparats anrichtete, wenn ein Schulfreund per Telefonanruf die Mittagsruhe seiner Eltern störte.

Als man sich an die Apparate gewöhnte, weil immer mehr Leute ein Telefon hatten, gab es - ein Relikt aus Benjamins Zeiten - zeitliche Tabuzonen. Noch in sechziger Jahren galt "die Mittagszeit" als solche, bis in die Achtziger war die Zeit nach 22 Uhr eine, in der man andere nicht mehr telefonisch behelligte.

Wer in der DDR aufwuchs, erinnert sich noch an die Vermittlung, die alle stets als "Teilnehmer" ansprach. Wer in West-Berlin lebte, erinnert sich an das Privileg, vom Zeittarif, der in Westdeutschland längst galt, ausgenommen zu sein - eins der Privilegien, die das West-Berliner-Sein zu etwas scheinbar Besonderen machten.

Schülerlieben wurden schüchtern vertieft

Ein fesselndes Medium, dieses Telefon. Mädchen kamen aus der Schule, bloß um gleich wieder die beste Freundin anzurufen. Schülerlieben wurden schüchtern vertieft, indem man jenseits des Schulgeländes am Nachmittag oder frühen Abend per Telefon miteinander verbunden war.

Das Gerät fesselte einen auch an die Wohnung. "Warum rufst Du mich nicht an? Ich sitze hier im halben Wahn", sang Anette Humpe mit "Ideal" auf dem ersten Album, "Du hast gesagt, Du meldest Dich, warum tust Du's nicht?"

Zeitalter der Immer-und-fast-überall-Erreichbarkeit

Alles vorbei im Zeitalter der Immer-und-fast-überall-Erreichbarkeit. Nur Funklöcher erinnern noch an gewisse Erfahrungen - auch von Freiheit. Und doch ist das direkte Miteinander-Reden längst mehr jedermanns Sache. Es ist, als habe die unfassbare Ausbreitung des Smartphones eine neue Zaghaftigkeit mit sich gebracht: Man könnte stören.

Bloß für Chefinnen und Chefs der alten Schule gilt das nicht. Sie beanspruchen Zugriffsrechte auf ihre Untergebenen wie früher die grauen Piepser, die manche Menschen mit sich führten. Nicht allein Ärzte und Pfleger trugen dies piepsenden und vibrierenden Freiheitsbeschränker, auch andere Dienstleister, die im Prinzip nie Feierabend hatten.

Doch von solchen Berufsgruppen abgesehen und vor allem zwischen vielen Bekannten, Freunden, Liebenden gibt es längst eine Zurückhaltung bei der per Anruf unmittelbar herbeigeführten Kommunikation. Wenn man schon mobiltelefonisch direkt auf jemanden losgeht, ist das allermindeste ein Gesprächsbeginn mit: "stör ich?"

Stimmungen nicht mehr mit der Stimme, sondern mit Bildchen ausgedrückt

Laut einer regelmäßig erhobenen Studien mit dem Namen "Jugend Information Medien" nutzten 2018 genau 95 Prozent der Jungen und Mädchen zwischen zwölf und 19 Jahren Whatsapp zur Kommunikation. Früher hat man das Telefonieren lernen müssen - das Sprechen und Zuhören, ohne zu sehen, aber mit Verbindung. Eine oft nicht eindeutige, aber zweisame Situation.

Heute schreibt man in einen leeren Raum hinein. Der adressierte Mensch, dessen Whatsapp-Account die beiden blauen Häkchen nicht vermerkt, hat die Mitteilung vielleicht gesehen, weil er oder sie ohnehin ununterbrochen auf den Bildschirm guckt, und deshalb nicht aufgerufen. Oder sie oder er hat das Gerät vergessen - oder macht gerade etwas Analoges.

Stimmungen werden nicht mehr mit der Stimme, mit spontanem Gelächter, einem Schniefen oder einem Schluchzen ausgedrückt, sondern mit Bildchen. Sprachlich gesehen, wechselt die Kommunikation sozusagen die Ebene: vom gehörten und gesprochenen zum geschriebenen und bebilderten Wort.

Hyper-Individualisierung als Trend der Zeit

Ob das auf Dauer irgendwelche Gehirnstrukturen ändert, wie der Handy-Nacken die Arbeit der Orthopäden, wird die Zukunft zeigen. Ob zwischenmenschliche Fähigkeiten verlorengehen, wenn man nicht mehr telefoniert - Einfühlungsvermögen vielleicht - darüber kann man streiten.

Auch darüber, ob diese Kommunikation junge Leute einsamer macht oder ob sie deren Einsamkeit lindert. Der Abschied vom Telefonieren, den die Jugend vollzogen hat, liegt jedenfalls im großen Trend der Zeit, den man als Hyper-Individualisierung beschreiben könnte: Jede und jeder macht das Ihre und das Seine alleine und zur ganz eigenen Zeit.

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