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Gewehr bei Fuß. Radikale Splittergruppen werfen der Regierung vor, sich nicht ans Abkommen zu halten.

© Luis Robayo/AFP

Kolumbiens Angst vor der Gewalt: Was die Kampfansage ehemaliger Farc-Anführer für den Frieden bedeutet

Ehemalige Kommandeure der Farc-Guerilla wollen wieder zu den Waffen greifen. Das stellt die kolumbianische Regierung vor Herausforderungen.

Kolumbien droht ein Rückfall in gewaltsame Zeiten. Knapp drei Jahre nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens zwischen Farc-Guerilla und Regierung verkündete eine Splittergruppe der Rebellen kürzlich die Rückkehr zum bewaffneten Kampf. Präsident Iván Duque will mit militärischen Maßnahmen reagieren. Wie bedrohlich ist der Konflikt – und was bedeutet er für den Friedensprozess?

Anführer der neuen Guerilla ist Luciano Marín Arango, alias „Iván Márquez“, ehemalige Nummer zwei der Farc und früher deren Chefunterhändler bei den Gesprächen mit dem Staat über ein Ende des bewaffneten Kampfes. Er begründet seine Ankündigung ausgerechnet mit dem Frieden. Márquez erhebt in einer rund dreißigminütigen Videobotschaft vor allem schwere Vorwürfe gegen die Regierung.

„Als wir das Friedensabkommen in Havanna unterzeichneten, waren wir überzeugt, dass es möglich sei, die Lebensumstände der benachteiligten Bevölkerungsgruppen zu verändern“, erklärt Márquez in dem Video. „Aber der Staat hat nicht einmal die wichtigste seiner Pflichten erfüllt: das Leben seiner Bevölkerung zu garantieren.“ Die Regierung habe somit wesentliche Punkte des Abkommens bisher nicht umgesetzt.

Präsident Duque gerät nun in Bedrängnis. Denn die Kritik an der mangelnden Umsetzung des Friedensabkommens ist nach Einschätzung von Experten nicht unberechtigt. Einem Report des US-amerikanischen Kroc-Instituts zufolge wurden bis Februar 2019 lediglich 23 Prozent der Vereinbarungen erfüllt. In den vergangenen drei Jahren wurden außerdem mehr als 480 Menschenrechts- und Umweltaktivisten sowie Dutzende einstige Farc-Kämpfer ermordet. Nach einer Untersuchung der Stiftung Pares haben sich mittlerweile rund 1800 ehemalige Farc-Mitglieder 23 bewaffneten Splittergruppen angeschlossen. 300 bis 400 Kämpfer seien neu rekrutiert worden.

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Diese Gruppen agieren bisher größtenteils unkoordiniert. Doch das könnte sich ändern, wenn sie sich mit der Bewegung rund um Márquez verbinden. Das hat womöglich auch Auswirkungen auf die mehr als 10 000 ehemaligen Rebellen, die an Programmen zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft teilnehmen. Einer gut organisierten Guerilla könnte es leichter fallen, ehemalige Kämpfer zu rekrutieren, befürchtet Analyst Ariel Ávila. Umso wichtiger sei es, den entwaffneten Rebellen eine rasche und sichere Rückkehr ins zivile Leben zu ermöglichen.

Rodrigo Londoño, ehemaliger Anführer der Farc und Vorsitzender der neu gegründeten Farc-Partei, betonte ohnehin, am Friedensabkommen festhalten zu wollen. „Wir halten Wort“, sagte er dem Radiosender Caracol. Mehr als 90 Prozent der ehemaligen Guerilla stünden weiter hinter ihm. Die Videobotschaft macht somit deutlich, dass die ehemalige Guerillagruppe gespalten ist. Und: Die Farc-Partei fürchtet Stimmeneinbußen bei den Kommunalwahlen Ende Oktober. Denn die Wähler könnten den Namen Farc mit der neuen Gewaltdrohung verbinden.

Ausschnitt des Videos, bei dem alias Iván Márquez (l.) sein Manifest vorliest. Rechts neben ihm steht alias Jesús Santrich.
Ausschnitt des Videos, bei dem alias Iván Márquez (l.) sein Manifest vorliest. Rechts neben ihm steht alias Jesús Santrich.

© Pedro UGARTE / various sources / AFP

Auch der Staat ist herausgefordert. Präsident Duque betonte zwar, den Friedensprozess fortführen zu wollen. Allerdings soll eine Spezialeinheit der Armee die Aufwiegler aufspüren. Im Klartext: Die Streitkräfte haben den Auftrag, die Gefahr auszuschalten. Bereits einen Tag nach Veröffentlichung des Videos töteten Streitkräfte neun mutmaßliche Guerilla-Kämpfer, darunter laut Behördenangaben einen ehemaligen Farc-Kommandanten.

Duques politischer Ziehvater, Ex-Präsident Álvaro Uribe, ging sogar noch einen Schritt weiter und erklärte das Friedensabkommen für „inexistent“. Uribe sieht seine Vorbehalte bestätigt, die Farc sei keine politische Bewegung, sondern eine Bewegung „krimineller Terroristen“. In einem Statement stellte auch Duque klar, dass er die neue Guerillagruppe als Drogenbande betrachtet, die Anschläge verübt. Auffällig ist, dass Márquez in seinem Video zum Vorwurf des Drogenhandels schweigt. Behörden und Gerichte werfen mehreren einstigen Farc-Anführern vor, in den Kokainhandel verwickelt zu sein.

Im Video ist Seuxis Paucias Hernández, alias „Jesús Santrich“, neben Márquez zu sehen, ebenfalls ein Vertreter aus der früheren Führungsriege der Guerilla. 2018 wurde Santrich wegen Drogenhandels festgenommen, im Juni 2019 kam er frei. Auch die Splittergruppen der Guerilla finanzieren sich überwiegend durch Rauschgiftgeschäfte. Beobachter vermuten daher, dass Márquez dem illegalen Drogenhandel lediglich einen politischen Anstrich verleihen wolle.

Die drohende Konfrontation hat womöglich sogar Folgen für die Region. Kolumbiens Regierung wirft Márquez vor, vom „Diktator“ Nicolás Maduro unterstützt zu werden, der das Nachbarland mit harter Hand regiert. Für Kolumbiens Behörden steht fest, dass die militante Gruppe Venezuela als Rückzugsgebiet nutzt. Maduro selbst befeuerte solche Gerüchte. Ende Juli verkündete er, dass Márquez und Santrich in Venezuela willkommen seien.

Ob die Vorwürfe zutreffen oder nicht: Kolumbien drohen gefährliche Zeiten. Viele fürchten, der Alltag könnte künftig wieder von Gewalt und Gegengewalt geprägt sein. Wie es mehr als 50 Jahre der Fall war.

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