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Theresa May in Brüssel.

© Philippe Huguen/AFP

Königswinter-Konferenz: Bleiben die Briten am Ende doch?

Der zähe Brexit-Prozess könnte zu einem neuen Referendum führen – aber einem anderen als das von 2016. Die Europawahl ist der Stimmungstest. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Man steigt nicht zwei Mal in den selben Fluss. Das Wasser ist anders, die Erfahrungen seit dem letzten Bad und die Dynamiken unter den Schwimmern verändern den Kontext. Darauf setzt Theresa May, wenn sie den Brexit-Vertrag erneut zur Abstimmung stellt – obwohl sie die Mehrheit mehrfach verfehlt hat. Dies gibt aber auch jenen Zuversicht, die hoffen, dass Großbritannien in der EU bleibt.

Mitunter stellt sich heraus: Der Fluss hat sich weniger verändert als erwartet. Als die deutsch-britische Königswinter-Konferenz ihr 69. Treffen für April 2019 plante, war die Annahme, dies werde die erste Zusammenkunft von Vertretern der Parlamente, Regierungen, Think Tanks, Wirtschaft und Medien nach dem EU-Austritt sein. Man werde diskutieren, wie sich die enge Kooperation, die beide Seiten wünschen, fortsetzen lässt, wenn ein Land die EU verlassen hat, das andere hingegen dort seine Zukunft sieht. Doch dann erwies sich die Regierung May als unfähig, einen Austritt zu organisieren, den eine Parlamentsmehrheit billigt. Und der jüngste EU-Gipfel beschloss eine Verlängerung der Austrittsfrist bis Ende Oktober.

Nur, wer glaubt daran, dass es so kommt? Drei Viertel der versammelten Experten meinen, Großbritannien werde im April 2020 immer noch EU-Mitglied sein. Strömungen und Strudel verändern das Flussbett – in der Praxis oft anders, als die Theorie nahelegte. Der Austrittsartikel 50 des EU-Vertrags mit der Zwei-Jahre-Frist galt als Vehikel, das rasche Entscheidung und raschen Vollzug erzwingt. Die tatsächliche Wirkung ist umgekehrt: Solange Großbritannien sich nicht entscheiden kann, bleibt es EU-Mitglied. Das kann noch Jahre dauern.

Ein kollektiver Lernprozess

Die Debatten deckten weitere Widersprüche auf zwischen dem Bild vom Stand der Dinge und der mutmaßlichen Dynamik. In Großbritannien und in Europa haben die meisten Bürger die Nase voll; der Brexit zieht sich, andere wichtige Dinge bleiben liegen. Müsste der Druck nicht Kompromisse erzwingen? Nein, meinten viele Teilnehmer. Die Unfähigkeit, Mehrheiten zu finden, der Frust darüber und der Verfall der Geduld werden die Auswahl mit der Zeit auf die zwei radikalsten Optionen reduzieren: einen „No Deal“-Austritt oder ein „Remain“, das Verbleiben in der EU. Der Zorn wird noch wachsen, wenn klar wird, dass bisher nur über den ersten von zwei Schritten gestritten wird, die Art des Austritts. Danach ist das künftige Verhältnis Großbritanniens zur EU zu verhandeln, was nochmals Jahre dauern dürfte.

Noch gelten „No Deal“ und „Remain“ als die unwahrscheinlichen Ausgänge: „No Deal“ wegen der unkalkulierbaren Risiken. Und „Remain“, weil kein markanter Stimmungsumschwung in Großbritannien zu Gunsten der EU zu sehen ist. Die zähe Debatte wirkt jedoch wie ein kollektiver Lernprozess. Die Europawahl als britischer Stimmungstest mit mutmaßlich hoher Beteiligung und ein potenzieller Rücktritt Mays im Sommer werden das Umdenken befördern.

Irgendwann wird es wohl ein zweites Referendum geben, aber ein ganz anderes als die Volksabstimmung im Juni 2016. Mit veränderter Fragestellung und veränderten Teilnehmern. Man steigt nicht zwei Mal in den selben Fluss.

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