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Rund 5,5 Millionen Muslime leben in Deutschland, ein Drittel davon in Nordrhein-Westfalen. Es gibt rund 3000 Moscheen, von denen allerdings nur etwa ein Prozent den Muezzin per Lautsprecher zum Gebet rufen lässt.

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Köln erlaubt den Muezzin-Gebetsruf: Das Recht auf Religionsfreiheit steht auch Muslimen zu

Ob kirchliches Glockengeläut oder islamischer Gebetsruf: „Wir sind hier“, heißt die Botschaft der Gläubigen. Bloß Berlin zögert noch. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Gehört der Islam zu Deutschland? Kurz gesagt: Ja. Seit der Rede des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff zum Tag der deutschen Einheit 2010 ist die Frage beantwortet. Rund 5,5 Millionen Muslime leben in Deutschland, ein Drittel davon in Nordrhein-Westfalen. Es gibt rund 3000 Moscheen, von denen allerdings nur etwa ein Prozent den Muezzin per Lautsprecher zum Gebet rufen lässt. Zum ersten Mal durfte der Ruf des Muezzins im Jahr 1985 in der Stadt Düren erschallen. Die Erlaubnis dafür musste gerichtlich erstritten werden.

Die Dom-Stadt Köln will jetzt in einem Pilotprojekt Gebetsrufe von allen 45 Moscheen zulassen. Oberbürgermeisterin Henriette Reker sprach von einem „Zeichen des Respekts“, von religiöser Freiheit und Vielfalt. Um die zu erwartenden Einwände zu entkräften, wurde das Projekt mit einer Reihe von Auflagen versehen.

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Es ist zunächst auf zwei Jahre befristet, der Muezzin darf nur freitags zwischen 12 und 15 Uhr für maximal fünf Minuten die Gläubigen zum Gebet rufen, die Lautstärke des Rufes wurde je nach Lage der Moschee mit einer unterschiedlichen Höchstgrenze festgelegt, die umliegende Nachbarschaft muss informiert werden, die Moscheegemeinde muss für Fragen oder Beschwerden eine Ansprechperson benennen. Nach Abschluss der Projektlaufzeit findet eine Auswertung statt. Danach wird endgültig entschieden.

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Zur Religionsfreiheit, siehe Grundgesetz, Artikel 4, Absatz 2

Gilt gleiches Recht für alle? Stehen kirchliches Glockengeläut und islamischer Gebetsruf auf einer Stufe? Das Glockengeläut ist ein Klangsignal ohne Worte, der Gebetsruf ein Glaubensbekenntnis. Es beginnt auf Arabisch mit den Worten: „Allah ist groß. Ich bezeuge, dass es keine Gottheit gibt außer Allah. Ich bezeuge, dass Mohammed Allahs Gesandter ist. Eilt zum Gebet.“ Sowohl Glockengeläut als auch Muezzinruf sind darüber hinaus Präsenzbekundungen. „Wir sind hier“, heißt die Botschaft der Gläubigen.

Der Unterschied zwischen Klangsignal und Glaubensbekenntnis begründet freilich kein Recht auf Ungleichbehandlung. Im Grundgesetz, Artikel 4, Absatz 2, steht: „Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.“ Das betrifft den Muezzinruf noch eindeutiger als das Glockengeläut, mit dem ja oft auch weltliche Funktionen wie die Zeitansage verbunden sind.

Nun ist es grundsätzlich möglich, sich gegen Geläut und Muezzinruf auf die negative Religionsfreiheit zu berufen. Auch sie ist ein Bestandteil des Grundgesetzes: „Niemand darf zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an religiösen Übungen oder zur Benutzung einer religiösen Eidesformel gezwungen werden.“ Allerdings folgt daraus weder ein allgemeiner Konfrontationsschutz vor religiöser Symbolik noch ein absolutes Recht auf Verschonung von Religiosität im öffentlichen Raum. Die negative Religionsfreiheit gegen Geläut und Gebetsruf in Stellung zu bringen, hat wenig Aussicht auf Erfolg.

Es gilt eine Ruhezeit von 22 bis 6 Uhr

Gewisse Zumutbarkeitsgrenzen müssen dennoch beachtet werden. Das schreibt das „Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigung, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge“ vor (Bundes-Immissionsschutzgesetz). Das heißt, eine bestimmte Lautstärke darf nicht überschritten werden, und es gilt eine Ruhezeit von 22 bis 6 Uhr. Nachts sollten Kirchenglocken möglichst schweigen. Religionsfreiheit rechtfertigt keine durch Ruhestörungen verursachten gesundheitlichen Schäden.

Untauglich wiederum im Streit um Geläut und Muezzinruf sind religionsfeindliche Argumente – „Christen sind Kinderschänder“, „Muslime sind homophob“. Auch der Verweis auf die religiöse Prägung einer Gesellschaft, ihre Tradition und Akzeptanz von Vielfalt kann Freiheitsrechte nicht außer Kraft setzen. Der Gebetsruf mag auf Nicht-Muslime zunächst fremd wirken, auf einige gar bedrohlich, und er kündet von einer Realität, vor der manche am liebsten die Ohren verschließen. Er eckt an und verstört. So ist das nun mal. Kein Grund zur Panik.

Der Muezzinruf eckt an und verstört, kein Grund zur Panik

In Köln leben 120.000 Muslime, das sind zwölf 12 Prozent der Bevölkerung. In Berlin leben 250.000 bis 300.000 Muslime, also etwa 9 Prozent der Bevölkerung. Warum soll in der Dom-Stadt möglich sein, was sich die Hauptstadt nicht traut? Ist es nur die Angst vor dem Gegenwind?

Eine Mehrheit der Deutschen (61 Prozent) ist gegen eine generelle Erlaubnis des islamischen Gebetsrufes. Das ergab, im Auftrag von Idea, im vergangenen Jahr eine Umfrage des Sozialforschungsinstituts „Insa-Consulere“. Doch wenn’s um die Freiheit geht – in diesem Fall die der ungehinderten Religionsausübung – müssen Mehrheiten zwar berücksichtigt werden. Sie sollten aber nicht das letzte Wort haben.

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