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Die drei Koalitionäre sind mit dem Erreichten sichtlich zufrieden.

© Bernd von Jutrczenka, dpa

Koalitionsvertrag unterzeichnet: Endlich regieren

Das Kabinett Merkel IV tritt fast sechs Monate nach der Bundestagswahl zur Arbeit an. Die Kanzlerin wird am Mittwoch im Bundestag gewählt.

Von Robert Birnbaum

Horst Seehofer muss noch etwas üben. Nicht, dass ihm das Berliner Pflaster fremd wäre; auch auf dem Podium der Bundespressekonferenz war der CSU-Vorsitzende öfter zu Gast. Aber dieses neue Ministerium, das er sich da ums Innenministerium herum zusammengebastelt hat, wofür soll das noch gleich gut sein? „Ich hab’ das Heimatmuseum ... äääh.“ Die Pressekonferenz murmelt und kichert, Angela Merkel schmunzelt. Selbst in Olaf Scholzens Mundwinkeln zeichnet sich eine leichte Tendenz nach oben ab. Also noch einmal mit Konzentration: „Das Heimat ... ministerium. So!“

Geschafft. Sie haben es alle drei geschafft. Fast sechs Monate Verhandlungen, Verwirrungen, Verirrungen, fast ein halbes Jahr seit der Bundestagswahl bis zu diesem Montag, an dem drei Parteivorsitzende gleich nebenan im Bundestag einen Koalitionsvertrag unterzeichnen werden. „Alle haben, glaub’ ich, das Gefühl, dass es endlich Zeit ist mit der Arbeit zu beginnen“, sagt die Kanzlerin. „Tempo machen“, sagt Seehofer. „Ordentlich regieren“, sagt Scholz.

Scholz hat den schwierigsten Part

Die Abstufungen im Tonfall sind kein Zufall. Für Merkel gehen die Geschäfte weiter; gefragt, ob sie sich freue, dass sie um Neuwahlen herumgekommen ist, gibt die CDU-Chefin die Antwort: „Ich freu’ mich für die Menschen in Deutschland.“ Seehofer seehofert, wie es christsoziale Art ist, immer Überdruck im Kessel.

Scholz hat den schwierigsten Part. Seine SPD hat diese vierte große Koalition gebilligt. Aber die Skepsis ist größer als das Drittel Neinsager bei der Mitgliederbefragung. Deshalb hält der amtierende Vorsitzende einen staatsbürgerlichen Vortrag. „Regieren war und ist für die SPD nie Selbstzweck“, sagt er. Es sei nur zu begründen durch das Ziel, das Leben der Menschen besser zu machen, „Schritt für Schritt, Tag für Tag.“ Und Politik – Scholz schaut jetzt auf einen Zettel, er hat sich die nächsten Sätze aufgeschrieben – Politiker unterschieden sich von Wissenschaftlern oder Journalisten darin, dass sie handeln müssten, Lösungen finden, Entscheidungen treffen, auch ohne schon vorher alles zu wissen. Und sie müssten dabei Kompromisse eingehen: „60 Prozent von 100 sind ganz schön viel“, sagt der Hamburger.

Ansonsten findet es Scholz nach den langen Verhandlungsnächten mit der Union einen nachgerade demokratiefeindlichen Blödsinn, zu behaupten, die Volkparteien seien nicht zu unterscheiden: „Ich wusste jeden Abend, warum ich mit 17 in die SPD eingetreten bin!“

Manche sehen sich zum ersten Mal

Tatsächlich muss man sich wohl keine Sorgen machen, dass das Kabinett Merkel IV in Harmonie versinkt. Als zum Beispiel der künftige Finanzminister Scholz die „ganz klare pro-europäische Haltung der SPD“ betont, erwidert Seehofer gleich, stellt „Leitplanken“ in den Raum und „Stabilitätskultur“. Dafür betont der Sozialdemokrat, dass die „schwarze Null“ im Haushalt alle von selbst richtig gefunden hätten – eine Spitze gegen all die Unionspolitiker, die glauben, ihm Ermahnungen mitgeben zu sollen.

Selbst die Konfliktmanagerin Merkel findet Streit – pardon: Diskussion – auf einmal gar nicht mehr so schlecht. „Eine gute Debattenkultur ist das, was mir vorschwebt“, versichert die CDU-Chefin, eine, in der jeder seine Position darstelle und dann den Weg zum immer notwendigen Kompromiss aufzeige: „Wo komme ich her – wo bin ich hingegangen?“ Das wäre, auch wenn es jetzt zunächst recht akademisch klingt, ja mal wirklich neu.

Am frühen Nachmittag wechseln die drei rüber ins Jakob-Kaiser-Haus. Der Parlamentsbau mit dem riesigen offenen Mittelfoyer ist inzwischen traditionell der Ort, an dem der Koalitionsvertrag unterzeichnet wird. Vor dem Podium trifft sich das künftige Kabinett. Manche sehen sich hier wirklich zum ersten Mal. Die künftige Justizministerin Katarina Barley stellt anderen die frischgebackene Bildungsministerin Anja Karliczek vor. Andere nehmen Abschied aus der ersten Reihe; der SPD-Mann Hubertus Heil, bald Sozialminister, fasst den scheidenden Hermann Gröhe fest an beiden Schultern, eine Geste des Trostes und der Ermutigung. Politik ist Macht auf Zeit; selten wird das so sichtbar wie in solchen Zeiten des neuen Anfangs.

Überraschender Beifall

Als Merkel ans Pult tritt, brandet Beifall auf. Unten in den Stuhlreihen klatscht die künftige Koalition, oben von den Galerien klatschen zufällige Besucher genau so wie Mitarbeiter. Merkel wirkt kurz etwas irritiert. Beifall war selten in letzter Zeit. Die alte und neue Kanzlerin zitiert den ersten Amtsvorgänger Konrad Adenauer: „Erfolg ist das Ergebnis harter und zäher Arbeit. Er erfordert Anstrengung aller Kräfte.“

Davon können sie alle ein Lied singen. Scholz versichert noch einmal, dass die SPD nur regiert, damit es den Leuten besser gehe. Und Seehofer wird jetzt endlich ohne Versprecher die Botschaft los, die er sich zurechtgelegt hat: „Dies ist eine große Koalition für die kleinen Leute.“ Anschließend setzen sie ihre Unterschriften unter die drei Originale des Koalitionsvertrags. Noch ein Tag Atempause bis zur Kanzlerinnenwahl, dann geht es los.

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