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Wollen sie - oder wollen sie vielleicht doch nicht?

© Kay Nietfeld, dpa

Koalitionsverhandlungen: Zur Freundschaft reicht es nicht

Auch Teilnehmer der Koalitionsverhandlungen von Union und SPD sind mit ihren Ergebnissen nicht zufrieden. Immer wieder streiten sie öffentlich. Wo soll das alles enden?

Von Robert Birnbaum

Die Seufzer-Quote ist dieser Tage reichlich hoch. Wer sich umhört bei denen, die die große Koalition verhandeln, dem schallt oft ein gequältes „Ach ...“ entgegen oder ein: „Ach, wissen Sie ...“ Details aus den Verhandlungsrunden will keiner erzählen oder allenfalls mit der ausdrücklichen Bitte, sie auf keinen Fall aufzuschreiben; nach den Jamaika-Erfahrungen hält das Schweigegelübde. Doch das Aufstöhnen erzählt ja auch etwas. Nicht nur im Publikum, auch in Union und SPD fragen sich inzwischen etliche, wie eine Regierung funktionieren soll, die sich selbst nicht leiden kann. Die Seufzer haben gleich mehrere Gründe. Müdigkeit spielt eine Rolle, Überdruss an dieser längsten Regierungsbildung der Republik. Bei Sozialdemokraten kommt oft Leiden am eigenen Verein dazu mit seiner Neigung zur Selbstbeschädigung und der Unsicherheit darüber, wie die Mitgliederbasis am Ende über den Koalitionsvertrag entscheidet.

Bei Christdemokraten wiederum gesellt sich zum Mitleiden an und mit der SPD der Unmut über die Halbstarken- Auftritte der kleinen CSU-Schwester. Nur die selbst gibt sich ungerührt. Die CSU, hat Landesgruppenchef Alexander Dobrindt neulich verkündet, befinde sich als einzige „im Wahlkampfmodus“. Er meinte die Landtagswahl in Bayern; aber der Satz stimmt auch so.

Keine Liebesheirat

Die Missstimmung eskalierte ausgerechnet in dem Moment, als der erste große Durchbruch vermeldet werden konnte. Die Einigung zum Familiennachzug für Flüchtlinge geriet zur öffentlichen Rauferei. SPD-Chef Martin Schulz feierte den Kompromiss als vollen Erfolg, Unionsfraktionschef Volker Kauder widersprach höflich, Dobrindt tat es in einer Weise, die Schulz nachgerade zum Lügner stempelte: Härtefallklausel? Gibt's nicht – keine neue, keine erweiterte.

Das vorletzte Wort behielt SPD-Vize Ralf Stegner in den „Tagesthemen“: Er sei doch sehr befremdet, dass eine CSU, „die sich christlich nennt, mit einer solchen Inbrunst gegen die Zusammenführung von Familien“ kämpfe – „in blindwütigem Wettbewerb mit der AfD über die Deutungshoheit über den Stammtischen“. Was ihm anderntags von CSU-Chef Horst Seehofer den Titel „Konsensbremse“ eintrug.

Unter normalen Menschen wäre da langsam der Punkt erreicht, an dem man die Verlobung auflöst. Doch ausgerechnet Stegner selbst findet solche Vergleiche abwegig: Es gehe nicht um eine Liebesheirat, sondern nur um eine „Lebensabschnittspartnerschaft“. Das würden alle unterschreiben – selbst Unionsleute, die von Anfang an eine große Koalition für die vernünftigere Lösung hielten als das interessante, aber erkennbar labile Jamaika-Experiment mit Grünen und FDP.

Raufbolde nicht eingeladen

Nun sollten sich auch Lebensabschnittspartner nicht täglich anschreien. Tatsächlich zeigt aber der Fall Familiennachzug nicht nur die nervösen Konfliktlinien einer eventuellen Koalition. Er steht zugleich für die Wirksamkeit der stillen Mechanismen, die sie trotzdem zusammenhalten können. Denn der Kompromiss wurde dort geschmiedet, wo schon viele Streitigkeiten endeten: In jenem Flügel des Jakob-Kaiser-Hauses, in dem die Fraktionschefs ihre Büros haben. Diesmal war es Volker Kauders Zimmer, wo der CDU-Mann mit der SPD-Kollegin Andrea Nahles, Dobrindt und einer Handvoll Fachleuten in einer guten Stunde formulierte, worüber man sich vorher nur gefetzt hatte. Die zwei Oberraufbolde – Stegner und CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer – waren nicht geladen.

Tatsächlich wollen die Fraktionen und ihre Spitzen in einer nächsten großen Koalition eine zentrale Rolle spielen. Kauder und Nahles saßen neulich zusammen auf einem Podium bei einer Gedenkstunde an Peter Struck. Kauder und der damalige SPD-Fraktionschef waren Freunde. Die zwei hielten Angela Merkels erstes Bündnis mit der SPD über alle politischen Differenzen hinweg stabil.

Im Hinterkopf schon die nächste Wahl

Zur Freundschaft reicht es zwischen Kauder und der Nachfolgerin einstweilen nicht. Aber Nahles lässt keinen Zweifel daran, dass sie sich ebenfalls als Steuerfrau sieht. Beide wissen um den Wert von gegenseitigem Vertrauen und pragmatischer Zusammenarbeit. Die Ministerin Nahles war mit jedem Gesetzentwurf zuerst in Kauders Zimmer und dann erst vor Mikrofonen und Kameras. Heute reicht zur Absprache eine kurze Aufzugsfahrt zwischen zwei Stockwerken. Dabei ist beiden ebenfalls klar, dass pragmatisches Abarbeiten des Koalitionsvertrags diesmal nur die halbe Aufgabe sein kann. In beiden Fraktionen ist die Bereitschaft zur Fortsetzung der Koalition groß. Dass Schulz vom Nein zum Ja kam, lag wesentlich am Druck der eigenen Abgeordneten.

Zugleich herrscht aber in der Unions- wie der SPD-Fraktion ein starkes Bedürfnis nach Abgrenzung und Profilierung. Alle haben schon die nächste Bundestagswahl im Hinterkopf. Die SPD will endlich raus aus dem Abwärtstrend. CDU und CSU wissen, dass die bequeme Zeit endet, in der ihr Wahlprogramm schlicht „Angela Merkel“ hieß.

Die Frage, wie stark die Kanzlerin ihre absehbar letzte Regierung prägen kann, schließt sich da gleich an. Zwar hat das öffentlich vermittelte Zerrbild der Schweigenden, die nur Wortmeldungen verteilt, mit Merkels realer Rolle in den Koalitionsgesprächen nichts zu tun. Aber die ungewöhnliche Autorität, die sie lange hatte, hat durch Flüchtlingskrise und mieses Wahlergebnis gelitten.

Unerwartetes Lob

Wenig hilfreich für die Regierungsbildung ist auf der anderen Seite, dass die SPD mit Schulz einen schwachen Vorsitzenden hat. Den Sonderparteitag in Bonn hat nicht der Chef für sein knappes Ja zu Koalitionsverhandlungen gewonnen, sondern wenn jemand Einzelnes, dann Nahles. Juso-Chef Kevin Kühnert agiert als Groko-Gegner nur so erfolgreich, weil ihm der Vorsitzende den Raum überlässt. Schulz’ Autorität trägt nicht mehr weit. Obendrein zeigt er wenig Gespür für die Seelenlage der eigenen Partei. Das Sondierungspapier nannte er „hervorragend“. Der Parteitag sah es anders und forderte Nachbesserung. Ob Schulz Parteichef bleibt, ob er ins Kabinett kann, ob er dort zum Aktivposten wird oder zum Problembären – alles ungeklärte Fragen. Sie belasten nicht nur untergründig die Verhandlungen, sondern lassen auch an der Stabilität einer anschließenden Regierung zweifeln.

Andererseits – so holprig der Weg ist, so wenig sagt das über die Beständigkeit einer nächsten Regierung. Stegner spricht die stille Hoffnung vieler Groko-Skeptiker im eigenen Lager an, wenn er sagt, die Lebensabschnittsbeziehung werde „hoffentlich bald auch wieder enden“. Im Koalitionsvertrag soll eine Revisionsklausel verankert werden, die nach zwei Jahren eine Art politischen Kassensturz vorsieht.

Doch Spekulationen, dass eine genervte SPD im Verein mit Ungeduldigen in der Union Merkel vor die Tür setzt und Neuwahlen erzwingt – die bleiben reine Spökenkiekerei. Zwei Jahre sind in der Politik eine sehr lange Zeit. Nicht ausgeschlossen, dass die Partner wider Willen sich bis dahin längst wieder schätzen. Zumal vieles von der Berliner Aufregung an der Basis völlig vorbei geht. Manche SPD-Abgeordnete erleben das im Moment hautnah. In Veranstaltungen kriegen sie gelegentlich so unerwartetes wie unverdientes Lob zu hören: Bloß gut, dass ihr endlich die Flüchtlings-Obergrenze durchgesetzt habt!

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