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So sehen keine Sieger aus. Reiner Haseloff begründet nach einer Koalitionssitzung seine Entscheidung.

© Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Koalitionsbruch gerade so verhindert: Haseloff zieht die Notbremse

Sachsen-Anhalts Regierungschef stoppt die Erhöhung des Rundfunkbeitrags – und rettet die Koalition. Als Gewinner fühlen kann sich nur die AfD.

Die Pressemitteilung 528/2020 ist eine Kapitulationserklärung von Reiner Haseloff. Sie trägt die Überschrift „Koalition löst Konflikt um Rundfunkbeitrag“. Diese etwas eigenwillige Interpretation des Ministerpräsidenten Sachsen-Anhalts markiert den vorläufigen Schlusspunkt in dem politischen Streit um die Rundfunkbeitragserhöhung von 86 Cent. 

Haseloff vermeidet damit so gerade noch einen Koalitionsbruch, ebenso eine Abstimmung der CDU-Fraktion gegen Haseloffs Willen mit der AfD. Doch mit seinem Rückzieher ist auch bundesweit die Beitragserhöhung für den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk gestoppt.

Das ungleiche Kenia-Bündnis aus CDU, SPD und Grünen stand schon mehrfach am Abgrund, so knapp war es jedoch selten. Dennoch lautet Haseloffs Fazit: „Mit dieser Lösung geht die Koalition gefestigt aus der Krise hervor und wird ihre Arbeit zum Wohle des Landes bis zum Ende der Legislaturperiode fortsetzen.“

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Haseloff hatte immer die anderen 15 Länder-Regierungschefs gemahnt, er trage zwar den neuen Rundfunkstaatsvertrag mit der empfohlenen Beitragserhöhung von 17,50 Euro auf 18,36 zur Finanzierung des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks mit. Aber: die Zustimmung in seinem Landtag sei unsicher. Denn seine eigene Fraktion ist seit Jahren für „Beitragsstabilität“, erst Recht in Zeiten von Corona, wo viele Bürger finanzielle Einbußen verkraften müssen. Und so stand es auch im Koalitionsvertrag.

„Erhobener Zeigefinger der Moralisierung“

Da aber SPD und Grüne entgegen dieser Linie der Erhöhung zustimmen wollten, damit der Vertrag nicht an Sachsen-Anhalt scheitert, spitzte sich die Lage zu. Die CDU drohte im Landtag dagegen zu stimmen, zusammen mit der AfD. Als dann CDU-Landeschef und Innenminister Holger Stahlknecht per Interview in der „Magdeburger Volksstimme“ dies bekräftigte, ARD und ZDF einen „erhobenen Zeigefinger der Moralisierung“ vorwarf, mit dem Kenia-Bruch und einer CDU-Minderheitsregierung bis zur Landtagswahl im Juni 2021 drohte, musste sich Haseloff auch noch eines Putschversuches erwehren. 

Stahlknecht schien ihn mit der Attacke stürzen zu wollen, um statt seiner der Spitzenkandidat bei der Landtagswahl werden. Auch hatte Haseloff eine Minderheitsregierung, die auf die AfD angewiesen wäre, immer ausgeschlossen.

Haseloff schmiss ihn raus aus seinem Kabinett, es folgte Stahlknechts Rücktritt als CDU-Chef, aber das eigentliche Problem blieb auch über das Wochenende ungelöst.

Nun zog Haseloff vor der für Mittwoch geplanten Beschlussempfehlung im Medienausschuss die Notbremse. Er informierte Landtagspräsidentin Gabriele Brakebusch (CDU), dass er den Entwurf des Gesetzes zum Ersten Medienrechtsänderungsstaatsvertrag zurückziehe. „Damit erübrigt sich die weitere Befassung mit dem Gesetzentwurf im Landtag.“

So vermeidet er auch das unschöne gemeinsame Abstimmen von CDU und AfD im Landtag gegen die Erhöhung – und der Bundes-CDU erspart er eine ähnlich schwierige Debatte wie in Thüringen nach der Wahl von Thomas Kemmrich (FDP) mit den Stimmen der AfD. Das Ergebnis ist aber auch: Die Erhöhung ist durch Nicht-Befassung eines von 16 Landtagen gestoppt.  

Grüne bezeichnen CDU als handlungsunfähig

Das von einer unabhängigen Kommission, der KEF, empfohlene Beitragsplus sollte den Sendern über vier Jahre zusätzliche Finanzmittel von 1,5 Milliarden Euro sichern. Allerdings stehen die Aussichten nach einem Urteil 2007 gut, dass das Bundesverfassungsgericht den angekündigten Klagen stattgeben und den Weg für die 86-Cent-Erhöhung mit Verzögerung freimachen könnte. 

Haseloff fordert, dass die Folgen der Corona-Pandemie für Rundfunkanstalten und Beitragszahler stärker einbezogen werden sollten. Denn die Empfehlungen stammen aus der Vor-Corona-Zeit. Und viele privat finanzierte Medien spüren die Krise – auch in Sachsen-Anhalt ist in einigen ländlichen Regionen die Zeitungszustellung eingestellt worden.

Die Pressemitteilung der Grünen schlägt einen anderen Ton an als die des Ministerpräsidenten: „CDU ist handlungsunfähig – Wir stehen zu unserer Verantwortung.“ Die Fliehkräfte innerhalb der CDU seien enorm. Dennoch betont der Landeschef der Grünen, Sebastian Striegel, dass man die Koalition nicht verlasse. „Wir haben eine CDU, die offen ist für den Einfluss der AfD. Und eine AfD, die permanent daran arbeitet, unsere Demokratie von innen durch Destruktivität und Chaos auszuhöhlen“, betont er. „In dieser schweren Situation können wir das Land nicht einer in der Tendenz handlungsunfähigen CDU überlassen – und erst recht nicht einer rechtsextremen AfD.“ 

Aus staatspolitischer Verantwortung halte man es für notwendig, in der Pandemie eine handlungsfähige Regierung zu gewährleisten. Auch SPD-Fraktionschefin Katja Pähle ist enttäuscht. „Das ist kein guter Tag für die Medienpolitik in Deutschland“, sagt sie. „Jetzt hat auf absehbare Zeit das Bundesverfassungsgericht das Wort.“

AfD-Fraktion zählt zu den radikalsten bundesweit

Die einzigen, die sich nun als Gewinner fühlen, sind die AfD-Abgeordneten, die anders als die CDU-Fraktion den Öffentlich-Rechtlichen-Rundfunk insgesamt in Frage stellen. AfD-Fraktionschef Oliver Kirchner hatte der CDU demonstrativ angeboten, gemeinsam die Erhöhung zu verhindern. Das konnte Haseloff unterbinden, doch das Problem dahinter bleibt: Teile der CDU in Sachsen-Anhalt stehen in dem Ruf, Sympathien für die AfD zu hegen.

Dabei zählt die Gruppe der 21 AfD-Abgeordneten im Magdeburger Landtag zu den radikalsten bundesweit. Fraktionschef Kirchner wird dem vom Verfassungsschutz beobachteten, offiziell aufgelösten „Flügel“ zugerechnet. Björn Höcke nennt ihn seinen „Freund“.

Auch der Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider, der kürzlich zum stellvertretenden Landesvorsitzenden in Sachsen-Anhalt gewählt wurde, zählt zum „Flügel“. In einem Gutachten des Verfassungsschutzes von 2019 taucht Tillschneider mehrfach auf. So sagte er über den Islam: „In Westeuropa, in unseren kranken Gesellschaften, kann er sich einnisten, kann seine Parallelgesellschaften bilden, die wie ein Baumpilz am Stamm der deutschen Eiche wuchern“.

Zudem sind einige Mitglieder der Fraktion gut mit neurechten Gruppen wie der Identitären Bewegung vernetzt. Der parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Robert Farle, rief im Landtag Corona-Verschwörungstheorien ins Mikrofon. Und 2018 wurde eine Sitzung des Landtags nach einer Rede des AfD-Abgeordneten Mario Lehmann unterbrochen. 

Lehmann hatte sich mit vulgären Ausdrücken über junge Flüchtlinge geäußert. In Bezug auf eine Sendung des Kinderkanals Kika, die einzige ARD-Einrichtung mit Hauptsitz in einem ostdeutschen Bundesland, sagte er: „Der Kika sollte eventuell auch in Ficki-Ficki-Anleitungs-TV umbenannt werden.“

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