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Abgelehnte Asylbewerber steigen am Baden-Airport in Rheinmünster (Baden-Württemberg) in ein Flugzeug.

© Daniel Maurer/dpa

Koalition einigt sich bei Flüchtlingspolitik: Schnellere Abschiebungen und Spezialzentren beschlossen

Union und SPD haben sich auf striktere Asylverfahren geeinigt. Die EU erwartet bis 2017 weitere drei Millionen Schutzsuchende. Justizministerium rechnet mit mehr als einer Million Flüchtlinge 2015 in Deutschland.

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Die große Koalition will die Verfahren für Asylbewerber ohne Bleibeperspektive deutlich verkürzen. Sie sollen künftig in bundesweit drei bis fünf Registrierungszentren untergebracht werden und einer verschärften Residenzpflicht unterliegen, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Chefs von CSU und SPD, Horst Seehofer und Sigmar Gabriel, nach einem Koalitionsgipfel am Donnerstag ankündigten. Damit legte die große Koalition ihren Streit über die von der Union geforderten Transitzonen bei: „Die Koalition ist sich einig, die Herausforderung der Flüchtlingsbewegung gemeinsam zu meistern“, heißt es in einem Positionspapier.

„Wir machen das in dem Geist, dass wir das schaffen können“, sagte Merkel. Gabriel erklärte, es werde keine „exterritorialen Zonen“ geben, die Transitzonen seien vom Tisch. Die Antragsteller sollen aber den Landkreis nicht verlassen dürfen, in dem die neuen Zentren eingerichtet werden. Andernfalls werden ihre Asylverfahren und staatliche Leistungen gestoppt.

„In Anlehnung an das Flughafenverfahren“ sollen ihre Anträge binnen drei Wochen endgültig entschieden und abgelehnte Bewerber sofort abgeschoben werden. Gabriel stellte allerdings klar, dass von den Maßnahmen nur ein kleiner Teil der derzeit nach Deutschland kommenden Flüchtlinge betroffen sein werde, die meisten Flüchtlinge hätten derzeit eine Bleibeperspektive. Weitere Neuerungen sollen eine verpflichtende Registrierung und einheitliche Flüchtlingsausweise sein, die Voraussetzung für die Abgabe eines Asylantrags und für soziale Leistungen werden.

Merkel verwies darauf, dass in Afghanistan innerstaatliche Fluchtmöglichkeiten in sichere Regionen entstehen sollten, damit afghanische Asylbewerber zurückgeschickt werden können, obwohl das Land insgesamt nicht als sicheres Herkunftsland gilt. Ein legales Kontingent von Flüchtlingen soll aus der Türkei in die EU kommen dürfen.

Vereinte Nationen: Auch im Winter jeden Tag 5000 Flüchtlinge

Die EU-Kommission erwartet bis 2017 die Ankunft von drei Millionen weiteren Flüchtlingen in Europa. Das erklärte die Brüsseler Behörde am Donnerstag in ihrem Wirtschaftsausblick für die Jahre 2015 bis 2017. Nach Angaben von Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici wird der Flüchtlingszuzug eine „schwache, aber positive“ Wirkung auf das Wirtschaftswachstum in der EU haben. Die Vereinten Nationen (UN) gehen davon aus, dass auch in den Wintermonaten täglich rund 5000 Flüchtlinge über die Türkei nach Europa kommen werden.

Bundesregierung hat keine einheitliche Prognose zu Flüchtlingszahlen mehr

Nach Deutschland sind in den ersten zehn Monaten des Jahres 758.000 Flüchtlinge gekommen. Allein im Oktober wurden rund 181.000 Neuankömmlinge registriert, wie das Bundesinnenministerium mitteilte. Das sind rund 17.000 mehr als im September. Damit dürfte die zuletzt von der Bundesregierung abgegebene Prognose von 800.000 neuen Flüchtlingen im Gesamtjahr deutlich überschritten werden. Dennoch kalkuliert der Bund weiterhin mit dieser Zahl.

Im Justizministerium geht man aber offenkundig von höheren Zahlen aus: Staatssekretär Gert Billen sagte auf der Diversity-Konferenz des Tagesspiegels im Namen von Minister Heiko Maas (SPD): „Wir müssen damit rechnen, dass mehr als eine Million Menschen in diesen Tagen zu uns nach Deutschland kommen.“ Für 2016 erwartet Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) einen Rückgang, sagte er. Schäuble sieht den Staat für die Herausforderung durch die Flüchtlingskrise finanziell gut gerüstet.

Unter den seit Jahresbeginn registrierten Flüchtlingen stellten Menschen aus Syrien mit fast 244000 Schutzsuchenden die größte Gruppe. Die Bundesländer melden bereits deutlich zurückgehende Zahlen von Balkanflüchtlingen.

Auf der griechischen Insel Lesbos gab es zu einem Besuch von Griechenlands Regierungschefs Alexis Tsipras und EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) Proteste gegen die Politik der EU. Auf einem Banner am Rathaus war zu lesen: „Die Ägäis ist voller Flüchtlingsleichen, die Europäer sind Mörder.“ Tsipras sagte, in der Ägäis werde „ein Verbrechen begangen“, das dringend beendet werden müsse. (mit dpa/AFP)

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