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Krankenschwestern und Pflegekräfte arbeiten in der Intensivstation des Uniklinikum Greifswald mit Corona-Patienten.

© Jens Büttner/dpa-Zentralbild/dpa

Kliniken klagen über volle Betten: Wie das „Kleeblatt-Konzept“ Intensivpatienten rettet

Die Lage auf den Intensivstationen spitzt sich zu. Ein Notfallmediziner ist dennoch optimistisch – wegen des „Kleeblatt-Konzepts“ in den Bundesländern.

Von Thomas Sabin

Die Intensivbetten der Krankenhäuser in Deutschland füllen sich, die Zahl der mit Corona infizierten steigt. In manchen Regionen kommen Kliniken bereits an ihre Grenzen, wie ein Beispiel aus Jena zeigt. Patienten müssen hier teilweise in anderen Krankenhäuser verlegt werden. Ein Vorgang, der einen enormen Aufwand erfordert, aber durchaus – noch – zu bewältigen ist.

Michael Bauer, Leiter der Anästhesiologie und der Intensivmedizin am Universitätsklinikum Jena, beschrieb am Donnerstag eindringlich im „ZDF-Heute Journal“ was es bedeutet, an der Grenze der Belastbarkeit zu arbeiten. „Mir ist angst und bange“, sagte der Arzt im Fernsehen. Die Zahlen stiegen in seiner Region. Der Nachschub von schwerstkranken Patienten sei kontinuierlich.

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Andere Bundesländer, die jetzt mit der Inzidenz nachziehen, würden in 14 Tagen bis drei Wochen entsprechend die Patienten auf den Intensivstationen sehen, mahnte Bauer. In der Praxis sieht das so aus: „Einerseits sind wir im Bereich der hochspezialisierten Medizin, beispielsweise bei Patienten, bei denen eine extrakorporale Unterstützung der Lungenfunktion (ECMO) erforderlich wäre, am Limit.“ Es bestünden keine Möglichkeiten mehr, diese Therapieoption durchzuführen, sagte Bauer.

Auf der anderen Seite entstehe ein erheblicher Engpass bei Patienten mit anderen Diagnosen. „Die Situation bei uns ist auch für die normale Intensivmedizin angespannt.“ Krebspatienten beispielweise müssten deshalb länger auf eine dringend benötigte Operation warten. „Das ist seit Wochen die harte Realität in deutschen Krankenhäusern. Wenn wir nicht die Kontakte einschränken bis die Impfquote hoch genug ist, wird es sehr viele Tote in Deutschland geben.“

Patienten der Jenaer Uniklinik müssen aufgrund der Situation bereits verlegt werden, weil schlichtweg kein Platz mehr auf den Intensivstationen vorhanden ist. Doch die Verlegung von Patienten ist ein komplizierter und gefährlicher Vorgang, der organisiert werden muss. Dafür wurde vom Bundesinnenministerium das sogenannte „Kleeblatt-Konzept“ im vergangenen Jahr entwickelt.

So funktioniert das „Kleeblatt-Konzept“

Dabei schließen sich je drei bis fünf Bundesländer zu einer Planungseinheit zusammen. Im Norden sind das Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Bremen. Im Osten bündeln Berlin, Brandenburg, Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt ihre Kräfte.

Im Südwesten arbeiten Hessen, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und das Saarland zusammen. Bayern und Nordrhein-Westfalen bilden aufgrund der hohen Bevölkerungszahl eine jeweils eigene Großregion. Dabei verfügt jede Region über einen zentralen Koordinator. Die Koordinatoren stehen in wöchentlichem Kontakt.

Das Konzept unterscheidet zudem drei verschiedene Planungsstufen: grün, gelb und rot. In Form dieses Ampelsystems melden die Krankenhäuser täglich eine Einschätzung der Kapazitäten an Intensivbetten mit Beatmungsmöglichkeit. Hierbei wird eine Unterscheidung zwischen drei verschiedenen Arten von Intensivbetten gemacht:

  • Low Care: Ein einfacher Intensivplatz, Patient wird durch Gesichtsmaske beatmet oder atmet selbstständig
  • High Care: Eine stärkere Versorgung ist nötig, ein Schlauch in der Luftröhre beatmet den Patienten, eine Maschine übernimmt das Atmen
  • ECMO: Die höchste Versorgungsstufe, bei der Blut außerhalb des Körpers durch eine Maschine mit Sauerstoff versorgt wird

Jan-Thorsten Gräsner, Direktor des Instituts für Rettungs- und Notfallmedizin am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein und Mitglied der Fachgruppe COVRIIN am Robert-Koch-Institut kennt den Fall aus Jena. „Die Überlastungssituation von Michael Bauer konnte gelöst werden. Fünf Patienten mussten gestern von dort aus verlegt werden. Das hat man hinbekommen.“ Gräsner macht Mut: „Ich glaube, an Transportmitteln wird es uns nicht fehlen. Wir sind in Deutschland gut aufgestellt.“

Neben Intensivtransportern stünden unter anderem noch Helikopter oder Bundesmittel zur Verfügung. Zu diesen Transportmitteln gehören Flugzeuge der Bundeswehr oder verschiedene Luftrettungsdienste.

Mit Hilfe der Kleeblatt-Strategie könne die Verlegungen von Patienten strategisch geplant und organisiert werden. Die pandemiestrategisch genutzten Intensivtransporter sollen laut Gräsner möglichst nicht miteinander konkurrieren. Dafür würden sich die Kleeblatt-Regionen untereinander abstimmen, damit an den Abfahrt- und Zielorten auch genug Intensivtransporter vorhanden sind.

Die Achillesferse sehe der Notfallmediziner nicht bei den Fahrzeugen, eher bei den betreibbaren Betten auf den Intensivstationen. „Wenn das letzte Bett belegt ist, dann brauchen wir auch nicht mehr über Verlegungen nachdenken.“ Derzeit seien Patientenverlegungen durch ganz Deutschland noch möglich, „zum Beispiel von München nach Kiel.“

Strategische Verlegung von Patienten als Schlüssel

Bei der strategischen Verlegung von Patienten müssen zuvor einige Fragen beantwortet werden. Zuerst muss ein passendes Krankenhaus gesucht werden, dass die Versorgung des Patienten gewährleisten kann. Als Nächstes wird von den Koordinatoren mit Blick auf Prognosen geprüft, ob das aufnehmende Krankenhaus nicht selbst in den kommenden Tagen und Wochen an die Belastungsgrenze kommt.

„Als nächstes wird überlegt, wie der Patient von A nach B transportiert werden kann“, erklärt Gräsner. Und dafür braucht es Transportmittel. Kann die abgebende Region kein Fahrzeug stellen, wird in anderen Bundesländern oder beim aufnehmenden Krankenhaus angefragt. Darüber hinaus könnten die Mittel des Bundes zum Einsatz kommen.

Der Aufwand sei groß, aber es stehe ein gutes Konzept zur Verfügung. Wichtig sei jedoch, dass alle Beteiligten auch fair und transparent zusammenarbeiten. Alles muss zeitlich getaktet werden, auch um die Patienten nicht unnötigen Gefahren auszusetzen. Personal muss koordiniert werden, Krankenhäuser müssen sich auf die Aufnahme vorbereiten.

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Die aktuelle Corona-Lage ist entscheidend

Entscheidend für die strategische Planung sei Gräsner zufolge stets die aktuelle Corona-Lage. „Wenn wir vorplanen können, wie es derzeit noch möglich ist, 24 bis 48 Stunden vorher, manchmal sogar noch länger, dann können wir eine Überfüllung verhindern.“

Was jetzt in Deutschland passiert, gab es so in dem Ausmaß noch nicht. Patienten werden aus strategischen Gründen durchs ganze Land verlegt, nicht nur etwa aus medizinischen Gründen. „Sie werden verlegt, weil es woanders dieselbe hervorragende Versorgung gibt. Das gibt uns die Möglichkeit andere Intensivstationen zu entlasten und rettet Leben“, sagt Gänser.

Doch es gibt auch Grund zur Sorge. In Thüringen, wo zuletzt Intensivmediziner Michael Bauer Patienten verlegen lassen musste, liegt die 7-Tage-Inzidenz derzeit bei 256, wie aus den Zahlen des Robert Koch-Instituts (RKI) hervorgeht. Binnen eines Tages meldeten die Gesundheitsämter in Deutschland dem RKI insgesamt 25.831 Corona-Neuinfektionen. Zudem wurden innerhalb von 24 Stunden 247 neue Todesfälle verzeichnet. Die durchschnittliche Inzidenz liegt in Deutschland bei 160.

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„Die Menschen müssen dringend verstehen“

„Die Rechnung ist einfach“, sagt Gräsner. Ein Prozent der täglichen Neuinfizierten landet auf den Intensivstationen. Lässt man das außer Acht und verliert den Blick auf die Prognosen, „dann wird das schiefgehen. Wir dürfen jetzt nicht zögerlich sein, in einer Phase, wo wir noch strategisch entscheiden können.“ Nutze man diese Phase nicht, könne man in eine Triage-Situation kommen, sagt Gräsner.

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„Die Menschen müssen dringend verstehen, warum ihre Angehörigen jetzt kilometerweit durch Land gefahren werden und nicht im Krankenhaus um die Ecke liegen“, sagt Gräsner. Das sei auch Aufgabe der Politik, das den Leuten zu vermitteln. „Wenn man das nicht erklär, fehlt die Zustimmung in Bevölkerung. Und den Menschen, die auf den Stationen arbeiten, haben keine Kraft das zu erklären, weil sie gerade überlaufen.“

Nach Angaben der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) werden aktuell insgesamt 4740 Covid-Patienten in deutschen Krankenhäusern intensivmedizinisch behandelt. Davon müssen 2708 invasiv beatmet werden. Im Vergleich zum Vortag sind 564 neue Patienten aufgenommen worden. 130 sind auf einer Intensivstation verstorben. Des Weiteren geht aus dem Divi-Intensivregister hervor, dass insgesamt 20.988 Betten belegt sind. Die Anzahl der freien Betten schrumpft auf 2898.

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