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Gerade beim geplanten CO2-Grenzausgleich gab zuletzt große Meinungsverschiedenheiten unter den Abgeordneten.

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Klimaschutz-Paket „Fit for 55“: Diese Widerstände gibt es gegen die EU-Klimaschutzziele

Das ambitionierte Klimaschutz-Paket der EU stößt im Europaparlament vorerst auf Ablehnung. Woran liegt das – und was sind die Folgen?

Bis zuletzt war in Straßburg selbst um kleinste Details des Gesetzespakets „Fit for 55“ gestritten worden. In einem historischen Abstimmungsmarathon hätten am Mittwoch im Europaparlament eigentlich die Weichen für die künftige europäische Klimapolitik gestellt werden sollen.

Doch es kam anders: Gleich bei mehreren zentralen Aspekten fand sich keine Einigung im Plenum. Die Punkte wurden allesamt an den Umweltausschuss zurückverwiesen, der sich nun erneut damit befassen wird. Zu zersplittert waren die Fraktionen, zu kontrovers die Vorschläge.

Vor allem bei dem von der EU-Kommission geplanten CO2-Grenzausgleich gab es große Meinungsverschiedenheiten unter den Abgeordneten. Dabei geht es vor allem um die Frage, wie lange die Industrie noch von freien Verschmutzungsrechten im Emissionshandel profitieren soll.

Dass gerade dieses Dossier alles blockiert hatte, sei „keine verantwortungsvolle Politik“ und geradezu „lächerlich“, kommentierte Peter Liese (CDU), der Verhandlungsführer für den Emissionshandel ist. Warum sich die EU mit ihrem Klimapaket so schwer tut und was die Änderungen für die Verbraucher bedeuten – ein Überblick.

Was verbirgt sich hinter dem Gesetzespaket „Fit for 55“?

Das Programm beinhaltet alle Klimaziele der Europäischen Union (EU) bis 2030. Mit „Fit for 55“ soll der Ausstoß an Kohlendioxid bis dahin um 55 Prozent im Vergleich zu 1990 sinken. Das Gesetzespaket ist Teil des Green Deals, den EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) bereits vor drei Jahren vorgestellt hatte und der die EU bis 2050 klimaneutral machen soll.

Zum Vorhaben „Fit for 55“ zählen zwar nur zwölf der insgesamt mehr als 50 Gesetzesinitiativen, die für den Green Deal vorgesehen sind. Allerdings umfasst das Paket bereits tiefgreifende Maßnahmen, die schon in diesem Jahrzehnt ergriffen werden sollen. Damit soll der Weg in die Klimaneutralität vorbereitet werden.

Dazu hat die Kommission auch Reformen in ganz unterschiedlichen Bereichen angekündigt: So soll etwa der Emissionshandel ausgeweitet werden. Ein neuer CO2-Grenzausgleich soll verhindern, dass Unternehmen ins Ausland abwandern, um hierzulande ihre CO2-Abgaben zu vermeiden. Auch eine verbindliche Regelung für die Mitgliedsstaaten bei der Reduktion ihrer nationalen Emissionen will die EU einführen. Besonders umstritten ist außerdem ein Ende des Verbrennungsmotors.

Warum verfolgt die EU all diese Ziele?

Die Umsetzung der neuen Verordnungen bedeutet einen regelrechten Marathon für Kommission, Parlament und Europäischen Rat. Im Juli des vergangenen Jahres hatte die EU-Kommission das „Fit-for- 55“-Paket vorgestellt. Gefolgt waren Monate harter Verhandlungen im Umweltausschuss sowie den Begleitausschüssen, die am Mittwoch zum Abschluss im Europaparlament kommen sollten.

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Neben der grünen Transformation der Wirtschaft will die Europäische Union darüber hinaus mit „Fit for 55“ vor allem auch die sozialen Folgen des Strukturwandels abfedern. EU-Klimakommissar Frans Timmermans (PvdA) hatte vor der Abstimmung bei der Aussprache im Parlament am Dienstag erklärt: „Unsere Politik wird gerecht sein oder es wird keine Politik sein.“ Teil der Gesetzesreform soll daher die Einrichtung eines Klima-Sozialfonds mit einem Volumen von 72 Milliarden Euro sein.

Welche Widerstände gibt es dagegen?

Extrem umstritten war von vornherein der Vorschlag der Kommission gewesen, den CO2-Handel auszuweiten, in dem die Industrie und die Energiebranche seit 2005 CO2-Zertifikate erwerben müssen. Damit hätten erstmals auch private Verbraucher in der EU für jede Tonne CO2 zahlen müssen, wie es in Deutschland bereits der Fall ist. Doch besonders die ärmeren EU-Mitgliedsstaaten sowie das von den Gelbwesten-Protesten geprägte Frankreich sehen den Vorschlag sehr kritisch und fürchten soziale Verwerfungen angesichts der neuen Kosten.

Die Konfliktlinien in den Verhandlungen waren zwischen der konservativen EVP, den Liberalen und einiger rechter Parteien verlaufen, auf der anderen Seite hatten Grüne und Sozialdemokraten ein Lager gebildet und eigene Vorschläge eingereicht. Ein Kompromissversuch des EVP-Berichterstatters Liese war im April gescheitert.

Die linke Allianz hatte ihn überstimmt. Allerdings nicht ohne Widersprüche, die zeigen, wie kontrovers die Themen selbst innerhalb der Fraktionen gesehen werden. Während die Sozialdemokraten sich im Industrieausschuss beispielsweise noch für ein Ende der freien Industrie-Verschmutzungsrechte bis 2034 ausgesprochen hatten, lehnten sie dies im Plenum wiederum ab.

Für viel Dissens sorgte auch die Frage, wie ambitioniert der Emissionshandel verfolgt werden soll. Während sich der Berichterstatter Liese näher an den Vorschlägen der EU-Kommission orientiert hatte und eine sehr strenge jährliche Reduktion der auf dem Markt befindlichen Verschmutzungsrechte forderte, hatten sich Grüne und Sozialdemokraten für eine einmalige Löschung von Millionen Zertifikaten ausgesprochen, dafür aber für eine langsamere, spätere Reduktion. Die Liberalen plädierten für einen Mittelweg.

Zum Scheitern brachte die Abstimmung der Vorschlag zum CO2-Grenzausgleich, der mit dem Emissionshandel eng verbunden ist. Dieses Dossier bestimmt, wann Schluss ist mit den Gratis-Zertifikaten für die Industrie. Der zuständige Berichterstatter hatte diese Praxis bis 2028 einstellen wollen, der Berichterstatter des Emissionshandels dagegen erst 2034. Linke und Liberale plädierten für 2030 und die Grünen für ein sofortigen Aus. Am Ende wurde der gesamte Vorschlag abgelehnt, mit ihm fielen auch der Emissionshandel und der Klimasozialfonds.

Worüber wurde genau abgestimmt?

Hunderte Änderungsanträge lagen am Mittwoch auf dem Tisch. Die vorliegenden Gesetze betrafen die Reform des Emissionshandels, den Klimasozialfonds, den CO2-Grenzausgleich, die Verschärfung der Emissionsrechte für den Flugverkehr, die neuen CO2-Grenzwerte für Fahrzeuge, die verbindlichen Klimaziele der einzelnen Mitgliedsstaaten und die Klimaziele des sogenannten Landnutzungssektors, der vor allem Wälder und Moore umfasst. Allein die letzten beiden Vorschläge winkte das Parlament am Mittwoch durch.

Bei der Luftfahrt sollte, wie bei der Industrie, ein Ende der freien CO2-Rechte innerhalb weniger Jahre erreicht werden. Erstmals sollen außerdem alle in der EU startenden Flüge n dem Emissionshandel unterliegen, auch Langstreckenflüge.

Beim Emissionshandel, der nun nachverhandelt wird, hatte der Umweltausschuss vorgeschlagen, dass ab 2025 der kommerzielle Straßenverkehr sowie gewerblich genutzte Gebäude ebenfalls CO2-Zertifikate hätten erwerben müssen. Ab 2024 wären der Schiffsverkehr, 2025 der Flugverkehr und 2026 die Müllverbrennung vollständig bepreist worden.

Wie ist die Situation beim Verbrennungsmotor?

Die CO2-Grenzwerte für neuzugelassene Autos sollen nach den Vorstellungen der EU-Kommission ab 2035 um 100 Prozent gegenüber 2021 sinken, was einen kompletten Verkaufsstopp für Verbrenner nach sich ziehen würde.

Das Europa-Parlament stimmte dem am Mittwochabend in einer knappen Entscheidung zu. Vor allem Konservative und Liberale drängten zuvor auf eine Absenkung um nur 90 Prozent, damit Neuzulassungen mit der alten Technik auch nach 2035 möglich wären. Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) hatte im Frühjahr erklärt, dass „Deutschland ein Ende des Verbrennungsmotors für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge in der EU ab 2035 unterstützt“.

Dennoch werden auch im kommenden Jahrzehnt und darüber hinaus noch Millionen Verbrenner auf den Straßen unterwegs sein. Die durchschnittliche Lebenszeit eines Pkw in der EU beträgt 15 Jahre. Allerdings muss auch mit Verbrennern der Straßenverkehr auf lange Sicht klimaneutral werden. Das ginge aufgrund der begrenzten Verfügbarkeit von Bio-Kraftstoffen wohl nur mit teuren E-Fuels auf Basis von grünem Wasserstoff.

Was bedeutet das nun für die Verbraucher?

Da der Großteil des „Fit-for-55“-Gesetzespaketes am Mittwoch vertagt worden ist, sind erst einmal keinerlei Konsequenzen zu erwarten. Doch längerfristig werden die Energiepreise in jedem Fall steigen. Denn auch wenn die Reform des Emissionshandels vertagt wurde, ist er darauf ausgelegt, sich zu verknappen und den Ausstoß von CO2 zu verteuern. Allerdings wird viel davon abhängen, worauf sich der Umweltausschuss einigt.

Vorgelegen hatte ein verhältnismäßig sanfter Vorschlag des Umweltausschusses, wonach zunächst der CO2-Preis gedeckelt worden und private Verbraucher mindestens bis 2029 vom zweiten Emissionshandel ausgenommen gewesen wären.

Da in Deutschland aber ohnehin schon ein CO2-Preis von derzeit 30 Euro pro Tonne gilt, sind hierzulande in den kommenden Jahren keine plötzlichen Preissprünge zu erwarten. Dennoch dürfte sich ein steigender CO2-Preis im kommerziellen Emissionshandel auf sämtliche mit Emissionen verbundenen Produkte auswirken.

Wahrscheinlich ist zudem, dass Flugtickets und die Kosten des Schiffstransportes teurer werden, wenn diese Branchen in Zukunft für ihre Emissionen mehr zahlen sollen. Werden auch die in Europa startenden Langstreckenflüge in den Emissionshandel aufgenommen, würden sich die Zertifikatskosten für Airlines verdoppeln.

Experten erwarten, dass die Fluggesellschaften die gestiegenen Kosten an die Passagiere weiterreichen. So soll allerdings ein Anreiz geschaffen werden, weniger zu fliegen. Und die Airlines sollen ermuntert werden, in Emissionsreduktionen zu investieren. Jedoch sollte die Steigerung beim derzeitigen CO2-Preis auf den meisten Flügen eher moderat und im niedrigen zweistelligen Bereich liegen.

Klar ist: Einen Verbrenner zu fahren, dürfte sich in den 2030er Jahren nur noch wenig lohnen. Die großen Hersteller stehen vor einem umfassenden Flottenumbau hin zum E-Antrieb, die Skalierungseffekte werden den Preisunterschied zum Verbrenner drücken. Langfristig kommt hinzu, dass die CO2-Bepreisung fossiler Kraftstoffe steigen und der Preis für synthetische Kraftstoffe deutlich über dem heutigen Benzinpreis liegen wird.

Wie geht es jetzt weiter?

Obwohl viele der Vorschläge vom Parlament vertagt worden sind, herrscht doch Einigkeit über viele der Einzelheiten im Paket „Fit for 55“. Die letzten Meinungsverschiedenheiten auszubügeln, wird nun Aufgabe des Umweltausschusses sein. Dem Berichterstatter Peter Liese zufolge könnte dies schnell gehen: Schon in zwei Wochen, spätestens Ende des Monats, so vermutet er, kann neu abgestimmt werden. Im Herbst beginnen dann die Verhandlungen mit dem EU-Rat.

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