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Durch den Klimawandel kommt es vermehrt zu Extremwetterereignissen wie hier in Griechenland vergangenes Jahr.

© picture alliance/dpa/AP

Klimaschäden und Artensterben: „Unsere Existenz steht auf dem Spiel“

Wissenschaftler fordern in der „Berliner Erklärung“ naturbasierte Lösungen gegen den Klimawandel. Deutschland müsse hierbei international vorangehen.

Der Erdgipfel im Jahre 1992 war ein umweltpolitischer Meilenstein. Auf der UN-Konferenz in Rio de Janeiro trafen sich 179 Staatenvertreter und einigten sich auf zentrale Nachhaltigkeitsziele; der internationale Umwelt- und Klimaschutz war damit geboren. Doch wie sieht es heute aus, drei Jahrzehnte und 14 Konferenzen später?

Nicht allzu gut, schreiben renommierte Forschende in der am Donnerstag veröffentlichten „Berliner Erklärung“. Die anhaltende Erderwärmung und der Verlust der Artenvielfalt seien „die größten und drängendsten Herausforderungen der Zukunft“.

Das breite Wissenschaftsbündnis fordert die Politik nun zu einem entschlossenen Handeln auf. „Nichts weniger als unsere eigene Existenz steht auf dem Spiel“, heißt es in der Erklärung. „Wir führen einen Kampf gegen die eigene Zukunft, aber es ist unfair, denn die Zukunft kann sich nicht wehren“, sagte Gewässerökologe Klement Tockner bei der Vorstellung der Erklärung.

Der Brief hat mehrere Erstunterzeichner, darunter den Virologen Christian Drosten oder die Biologin Aletta Bonn. Federführend für das Positionspapier waren drei Leibniz-Naturforschungsmuseen: das Museum für Naturkunde Berlin, das Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels und die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung.

Das aktuelle Jahrzehnt ist entscheidend

Die Forschenden warnen, eine Million Arten könnten aussterben und die Erderwärmung auf bis zu drei Grad ansteigen – wenn die Politik nicht unverzüglich handele. Das aktuelle Jahrzehnt sei dabei entscheidend, danach könnte es schon zu spät sein. Wenn die Politik nichts unternehme, würde man 80 Prozent der Nachhaltigkeitsziele und zentrale Aspekte des Pariser Klimaschutzabkommens verfehlen.

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Doch auch schon jetzt habe die Zwillingskrise dramatische Folgen. Dazu gehörten beispielsweise Waldbrände auf der ganzen Welt, die Flutkatastrophe im Ahrtal oder die Hitzewelle in Pakistan. Dies aber sei erst der Anfang. „Wir können uns nicht vorstellen, was in den nächsten Jahren passiert, wenn wir nicht gegensteuern“, kommentierte Tockner.

Chancenlos aber sei man dennoch nicht. „Wir können aus wissenschaftlicher Sicht eindeutig und klar sagen: Es gibt Möglichkeiten, etwas zu tun“, erklärte Zoologie-Professor Bernd Misof. Besonders vielversprechend seien sogenannte naturbasierte Lösungen.

Die Naturwissenschaftler Misof, Tockner und Vogel fordern die Politik in der Berliner Erklärung zum Handeln auf.
Die Naturwissenschaftler Misof, Tockner und Vogel fordern die Politik in der Berliner Erklärung zum Handeln auf.

© Oliwia Nowakowska/dpa

Dies sind Maßnahmen zum Schutz, zur Bewirtschaftung und zur Wiederherstellung von Ökosystemen. Konkret bedeutet das beispielsweise die Renaturierung von Flüssen, den Umbau von Wäldern, das Vernässen von Mooren oder die Dachbegrünung in Städten.

Deutschland muss G7-Präsidentschaft nutzen

Die positiven Effekte von naturbasierten Lösungen sind enorm: Laut einer aktuellen Studie könnten durch eine Renaturierung von 15 Prozent der arten- und kohlenstoffreichsten Flächen 300 Gigatonnen CO2 gebunden werden. Dies entspricht fast einem Drittel der Emissionen, die die Menschheit seit der Industrialisierung ausgestoßen hat. Des Weiteren könnte dadurch das Artensterben um 60 Prozent verringert werden.

Ohne naturbasierte Maßnahmen hingegen sei es „unmöglich, die globale Erderwärmung unter zwei Grad zu halten“. Die Forschenden verlangen, dass sich Deutschland im Rahmen seiner G7-Präsidentschaft einsetzt, auch international ein Umdenken zu bewirken und naturbasierte Lösungen zu forcieren. „Kein Land ist dafür besser aufgestellt, keine Aufgabe ist dringlicher“, heißt es in der Erklärung.

Der Kampf gegen das Artensterben lohne sich auch finanziell; jährlich nämlich gebe es einen weltweiten Verlust von rund vier Billionen Dollar. „Und trotz der immensen Bedrohung mangelt es noch immer an Problembewusstsein, Mut zum Handeln und an einer wirkmächtigen Umsetzung durch Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.“

Eine Sprecherin des Bundesumweltministeriums sagte dem Tagesspiegel, dass man die Forderung nach naturbasierten Lösungen unterstütze. Diese nämlich könnten „einen bedeutenden Beitrag zur Bekämpfung der Klimakrise, zur Klimaanpassung und dem Erhalt der Biodiversität leisten“. Daher erarbeite das Umweltministerium derzeit das Aktionsprogramm „Natürlicher Klimaschutz“, das auch im Koalitionsvertrag der Ampel verankert ist.

„Wir sind bereits Vorreiter“

Eine Gesamtabschätzung, wie viel CO2 in Deutschland durch naturbasierte Lösungen eingespart werden könnte, liege aber nicht vor. Jedoch spielten naturbasierte Lösungen und natürlicher Klimaschutz eine „wichtige Rolle“ beim G7-Treffen der Energie-, Klima- und Umweltminister in der kommenden Woche. Für die internationale Zusammenarbeit seien „ein gemeinsames Verständnis und gemeinsame Standards für naturbasierte Lösungen“ wichtig.

Und wie kann Deutschland zum Vorreiter werden? „Wir sind bereits Vorreiter. Wir setzen schon seit vielen Jahren auf naturbasierte Lösungen und werden dies in der neuen Koalition weiter tun. Die Transformation braucht auch eine erfolgreiche Industrienation als Vorbild“, sagte der Bundestagsabgeordnete Carsten Träger (SPD) dem Tagesspiegel.

Der umweltpolitische Sprecher erklärte, die internationale Gemeinschaft müsse Klimawandel und Biodiversität gemeinsam bekämpfen. „Der Ausbau der erneuerbaren Energien und der Artenschutz dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden“, warnte Träger.

Seit Jahren demonstrieren weltweit Millionen Menschen für einen entschlosseneren Kampf gegen den Klimawandel.
Seit Jahren demonstrieren weltweit Millionen Menschen für einen entschlosseneren Kampf gegen den Klimawandel.

© IMAGO/aal.photo

Thomas Gebhart, Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Ausschuss für Klimaschutz und Energie, sagte, dass „ambitionierter Klimaschutz, starke Wirtschaft und soziale Aspekte in Einklang zu bringen sind“. Naturbasierte Lösungen begrüße er zwar, jedoch brauche es auch technologische und verhaltensbasierte Ansätze.

Außerdem sei es wichtig, dass sich die Ampel-Koalition nicht nur Ziele setze, sondern diese auch erreiche. „Ein hohes Ambitionsniveau heute ist schon morgen nur noch so viel wert, wie es tatsächlich zur Veränderung in der Sache beigetragen hat“, sagte Gebhart dem Tagesspiegel.

Die Bundesregierung kann sich nun auch im Rahmen des 15. Weltnaturgipfels im Oktober engagieren, dem Nachfolgetreffen der historischen Rio-Konferenz. Ob der Gipfel tatsächlich stattfindet, ist noch unsicher, denn er wurde bereits mehrfach verschoben. In der Pressekonferenz der Berliner Erklärung hieß es, man könne sich eine Verschiebung nicht noch mal leisten, denn der Gipfel sei eine „historische Gelegenheit einer dringend notwendigen Trendumkehr“.

Eric Matt

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