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Brandenburg, Potsdam/Fichtenwalde: Brand in einem Waldgebiet in der Nähe des Autobahndreiecks Potsdam im Juli 2018.

© Julian Stähle/dpa

"Klimanotstand" in Berlin?: Ja, wir brauchen mehr Drama

Mit Resolutionen zum "Klimanotstand" wollen Aktivisten der Politik ihre Sprache aufzwingen. Richtig so. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Anna Sauerbrey

Die Stadt Konstanz hat in dieser Woche den „Klimanotstand“ ausgerufen, das britische Unterhaus auch. In beiden Fällen handelt es sich um Resolutionen, die von Klimaschutzgruppen eingebracht und von der Politik aufgegriffen wurden: In Konstanz steht dahinter eine lokale Fridays-for-Future-Gruppe, in Großbritannien die Klimaschutzinitiative „Extinction Rebellion“. Am Freitag startete "Extinction Rebellion" auch in Deutschland eine Online-Petition, in der sie den Bundestag aufruft, den „Klimanotstand“ zu erklären, am Montag startet eine ähnliche Initiative für Berlin. Es geht dabei nicht um das Ausrufen eines formalen Notstands, der Mechanismen in den Sicherheitsbehörden auslöst. Vielmehr ist der „Notstand“ zu einem politischen Begriff geworden. Ist das zulässig? Wieviel Drama darf es sein? Wieviel Drama muss es sein?

Bei keinem anderen Thema klafft die Intensität der Erregungszustände – und in der Folge das verwendete Vokabular – derart auseinander wie beim Thema Klimaschutz.  Gut zu beobachten war das zum Beispiel in der aktuellen Sendung von „Maybrit Illner“ am Donnerstag. Die Ozeanforscherin Antje Boetius sprach von einer „Katastrophe“ und forderte „Rettung“. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier sagte, eine CO2-Steuer dürfe „nicht über das Knie gebrochen werden“ und technokratisierte seelenruhig über Entlastungen bei der EEG-Umlage.

Klimaschutzaktivisten wollen mit den "Notstandsresolutionen" der Politik ihre Sprache aufzwingen

Nun wollen die Klimaschutzaktivisten der Politik ihre Sprache und damit ihren Erregungszustand per Petition aufzwingen. Die Dramatik der Sprache wird zum politischen Instrument – und das macht Sinn. Denn die Art, wie über ein Ereignis gesprochen wird, bestimmt, als wie groß der Handlungsbedarf wahrgenommen wird. Und je größer der gefühlte Handlungsbedarf, desto größer die Akzeptanz einschneidender Maßnahmen. Dramen erzeugen politische Spielräume.

In der Berliner Politik herrscht allerdings die umgekehrte Logik vor. Es geht eine regelrechte Angst vor dem Drama um – dahinter steckt die nackte politische Überlebungsangst. Besonders konservative Politiker, aber nicht nur sie, fürchten sich, mit einer entschiedeneren Klimapolitik erneut die nach dem Migrationsdrama gerade erst wieder mühsam auf Normalphlegma heruntergedimmte deutsche Wählerschaft erneut in Wallung zu bringen. „Gelbwestenproteste“ raunen sie, wenn man nach ihrer Haltung zur CO2-Steuer fragt. Die AfD habe das Klima-Thema schließlich schon für sich entdeckt und warte nur darauf, wieder losschlagen zu können. Also Finger weg vom Diesel. Finger weg von der CO2-Steuer. Jetzt bloß keine Fehler machen, die Diskussion kannste nur verlieren.

Die Berliner Politik verkauft die Entdramatisierung als Realpolitik

Ausgehend vom Wirtschaftsflügel und von der CSU hat sich diese Haltung nun in der gesamten Unionsspitze festgesetzt, gut zu beobachten an der CDU-Vorsitzenden höchstselbst. Noch vor wenigen Wochen wagte Annegret Kramp-Karrenbauer die so wahre wie unpopuläre Aussage: „Es gibt keinen Klimaschutz, von dem niemand betroffen ist.“ Mittlerweile ist die CO2-Steuer aus CDU-Perspektive tot, beerdigt von der Vorsitzenden höchstselbst. Die systematische Entdramatisierung wird dann als sozial verträgliche Realpolitik verkauft (als wenn es da keine cleveren Lösungen gäbe).

Um Akzeptanz für politisches Handeln zu schaffen, dürfen die Dramatik der Sprache und die Größe des Problems nicht zu weit auseinanderfallen. Das gilt natürlich für beide Enden des Spektrums. Also wer ist näher dran an der Realität?

Als Ende vergangenen Jahres das Intergovernmental Panel on Climate Change seinen Sonderbericht vorstellte, betonten die Wissenschaftler, wie wichtig es sei, den Anstieg der mittleren globalen Temperatur auf 1,5 Grad begrenzen (wir sind derzeit bei etwa einem Grad), sonst steige die Wahrscheinlichkeit für „Kippeffekte“, für das Einsetzen eines Klimawandels, der sich durch die Menschen nicht mehr aufhalten lässt - mit Folgen wie noch häufigere Wetterextreme, einem weiteren Anstieg des Meeresspiegels, die Ausrottung weiterer Arten und Ökosysteme. Um dieses Ziel zu halten, sei eine Reduktion der CO2-Emissionen um 45 Prozent bis 2030 nötig, bis 2050 eine Reduktion auf Null. Die Wissenschaftlerin Debra Roberts sagte: Die kommenden Jahre sind die wichtigsten der Menschheitsgeschichte. Da haben wir das Drama. Es ist real – auch, wenn in Berlin noch keiner auf dem Dach sitzt, während die Ostsee durch die Straßen schwappt. Die Art, wie wir darüber sprechen, ist der Schlüssel zu einer wirklich anderen Politik.

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