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Solidarisch mit Fridays for Future: Eckart von Hirschhausen beim Klimastreik im März in Berlin neben Organisatorin Luisa Neubauer.

© imago images / epd / Christian Ditsch

Klimaaktivist von Hirschhausen: Machen Sie mit bei den Demos! Schenken Sie der Erde Ihre Zeit!

Die Erde hat Fieber, und das wird uns alle betreffen. Aber es gibt ein Heilmittel: Ihre Aufmerksamkeit. Ducken Sie sich bitte nicht weg! Ein Aufruf.

Eckart von Hirschhausen ist Moderator, Arzt, Kabarettist und Schriftsteller. Er ist Vertreter von Scientists for Future, die sich für ein politisches Handeln zur Überwindung der Klimakrise einsetzen.

Ein Journalist macht sich mit keiner Sache gemein, nicht mal mit einer guten, heißt es. Meine ersten Artikel als gelernter Mediziner und Wissenschaftsjournalist erschienen im Tagesspiegel. Nach allen Regeln der Wissenschaft hält man sich da mit eigener Bewertung zurück.

Deshalb ist es mir ein Anliegen, heute auf der Meinungsseite Sie direkt anzusprechen zu dürfen, als Leser, als Mitdenker, als Mitbürger. Und das tue ich nicht als Journalist oder Komiker, sondern, weil ich mir ernsthafte Sorgen mache: um unsere Erde. Sie hat Fieber, und das Fieber steigt, sie steuert auf ein Multiorganversagen zu. Eine harte Diagnose.

Mit meinen Sorgen bin ich nicht allein. Die machen sich viele Wissenschaftler und verantwortliche Menschen schon lange. Deshalb gibt es „Scientists for Future“, den Lancet Climate Countdown, deshalb gibt es Stellungnahmen der europäischen Akademien der Wissenschaft, des Weltärztebundes und und und.

Das sind keine linken Ökospinner, sondern viele Konservative, die bewahren und schützen wollen. Und so dringt endlich dieses Wissen in die Mitte der Gesellschaft, schreckt auf, schreckt ab und mobilisiert im besten Fall unsere besten Seiten.

Je mehr ich mich informiere, desto ungeduldiger werde ich

Am Freitag gehen weltweit viele Menschen auf die Straße zum globalen Klimastreiktag. Sind Sie schon entschieden, ob Sie mitmachen?

Die Schüler haben angefangen, jetzt sollten auch viele andere folgen: Raus zum Klimastreik am Freitag!, findet Eckart von Hirschhausen.
Die Schüler haben angefangen, jetzt sollten auch viele andere folgen: Raus zum Klimastreik am Freitag!, findet Eckart von Hirschhausen.

© dpa

Unter dem Twitterhashtag #healthforfuture gibt es einen Aufruf zum Nachlesen für die Details an alle Gesundheitsberufe. Er hat bereits mehr als 1500 Unterstützer. Darunter Detlev Ganten, lange Jahre Vorstand der Berliner Charité und Gründer des World Health Summit, Sylvia Hartmann vom Bundesverband der Medizinstudierenden und Franz Wagner, Präsident des Deutschen Pflegerats. Diesen Aufruf richte ich gerne an alle, die jemals Patient waren und alle, die nicht zu Patienten werden wollen.

Das Wort Patient kommt von Geduld und Leiden. Aber je länger wir alle geduldig sind, desto mehr werden wir und erst recht zukünftige Generationen leiden. Je mehr ich mich über den Zusammenhang von Klimawandel und Gesundheit informiere, desto ungeduldiger werde ich. Ärzte haben die Aufgabe auf Gesundheitsgefahren hinzuweisen, Leben zu schützen und wenn es sein muss, auch schlechte Nachrichten zu überbringen. Und die schlechte Nachricht heißt: Wir müssen morgen nicht das Klima retten, sondern uns.

Pflegeheime und Krankenhäuser ohne Klimaanlagen

Medizinische Folgen haben unmittelbar nicht nur die Hitzewellen, die laut aktuellen Veröffentlichungen des Robert-Koch-Instituts bereits mehrere Tausend Opfer in Deutschland gefordert haben. Neue Infektionskrankheiten kommen aus den Tropen zu uns, Allergien nehmen zu, und wer schon chronisch mit Herz und Lunge zu tun hat, spürt es als Erstes. Die meisten Pflegeheime und viele Krankenhäuser haben keine Klimaanlagen, und wenn die Sonne die Innenräume aufheizt, kann im wahrsten Sinne keiner einen kühlen Kopf bewahren um für andere da zu sein. Auf viele dieser Konsequenzen sind wir im Gesundheitswesen kaum vorbereitet.

Als Arzt erkennt man vielleicht schneller, warum die Idee von einem ständigen Wirtschaftswachstum im Kern krank ist, denn das ist wie Krebs: Wachsen auf Kosten der Umgebung, alle Ressourcen für sich bunkern und dann noch das Leben töten, das einen nährt. So doof muss eine Zelle erstmal sein. Und bösartig. Es gibt im menschlichen Organismus nichts, was dauerhaft auf Wachstum angelegt ist. Selbst die meisten Parasiten und Krankheitserreger sind so schlau, ihr Wachstum so zu dosieren, dass sie ihren Wirt nicht umbringen, sondern mit einander weiterleben können.

Alternativlos ist nur eins: der Planet

In der Politik wird gerne davon gesprochen, dass etwas „alternativlos“ sei. Das einzige, was tatsächlich alternativlos ist, ist dieser Planet. Da wo wir sind, ist der einzige Ort im ganzen bekannten Universum, wo wir leben können. Und wie der wunderbare Physiker Harald Lesch auf all seinen Kanälen und Vorträgen betont: „Physik ist nicht verhandelbar. Naturgesetze warten nicht auf demokratische Entscheidungen.“ Und da wir das große Glück haben, eine Physikerin an der Spitze der Regierung zu haben, kann man hoffen, dass die Kanzlerin allen, die weiterhin denken, Klima sei eine politische Modeerscheinung, eine kleine Nachhilfestunde gibt. Damit alle auch mutige und vielleicht auf den ersten Blick unpopuläre Entscheidungen unterstützen.

Die Zeit ist überreif, und ein großer Teil der Menschen in Deutschland hat das verstanden. Und weil die meisten wissen oder ahnen, dass sie viel weniger vernunftbegabt als gewohnheits- und gewöhnungsbegabt sind, würden sie auch akzeptieren, wenn sich Rahmenbedingungen, Gesetze und Preise ändern. Es ist wie bei Verhaltensänderungen im Gesundheitsbereich. Was gab es für einen Aufschrei, als das Rauchen in Kneipen verboten wurde. Ist das Abendland untergegangen? Unsere Freiheit? Nein. Heute wollen selbst Raucher die alten Verhältnisse nicht zurück.

Das Rauchverbot in Kneipen wird von vielen Rauchern inzwischen auch gutgeheißen.
Das Rauchverbot in Kneipen wird von vielen Rauchern inzwischen auch gutgeheißen.

© picture alliance / Caroline Seid

Aber welche Freiheiten hat jemand heute, wenn in seiner Heimat die Temperaturen unerträglich sind, zu hoch, um etwas anzubauen, zu ernten oder auch nur für eine ausreichende Versorgung mit Wasser? Welche Freiheitsgrade wird ein Kind haben, das heute in der Charité geboren wird, wenn es einmal 30 Jahre alt ist, 50 oder 80? Was antworten wir unseren Kindern und Enkeln, wenn sie uns fragen: „Was habt ihr 2019 gemacht? Ihr wusstet doch genug. Ihr habt in einer Demokratie gelebt, in einem der reichsten und kreativsten Länder, mit Ideen und Lösungen, die Welt hat nach euch geschaut, ob ihr das hinbekommt um sich das dann abzuschauen – was war euch wichtiger?“

Panik hilft nicht, aber tun kann man etwas

Wir haben so gigantische Fortschritte gemacht in der Medizin weltweit, die Lebenserwartung ist gestiegen, viel weniger Menschen hungern, viel mehr haben Zugang zu Bildung und Wissen. Wir leben aktuell so satt, so sicher wie noch nie in der Menschheitsgeschichte – und alle diese Fortschritte stehen heute auf dem Spiel. Ich lebe gerne im 21. Jahrhundert mit all seinen Möglichkeiten. Es sollte nicht unser letztes gutes Jahrhundert sein.

Geben Sie also das Beste, was Sie haben: Aufmerksamkeit! Ja, Sie können ihre Plastiktüte öfter wiederverwenden, aber man muss sich nicht erst selber in veganer Askese geübt haben um demonstrieren zu dürfen. Spenden Sie Zeit! Vermögen heißt nicht auf Geld zu hocken, sondern Vermögen heißt, man vermag etwas zu bewegen.

Nicht weg, sondern hin zu etwas. Panik hilft uns nicht weiter. Aber Priorität. Vor 50 Jahren landeten Menschen auf dem Mond. Und sahen von dort aus, wie schön es auf der Erde ist. Und wie dünn und fragil der Himmel ist – die Atmosphäre, die uns umgibt und am Leben hält.

- Am Freitag, dem 20. September, um 13 Uhr startet die #HealthForFuture-Demonstration vor dem Bettenhochhaus der Charité, die sich dann um 13.30 Uhr der „Fridays for Future“- Kundgebung am Karlplatz in Berlin-Mitte anschließt.

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