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Streitbarer Sozialdemokrat: der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse.

© Marijan Murat/dpa

Exklusiv

„Klima des Hasses“: Wolfgang Thierse rechnet mit der SPD ab

Die Wahl von Walter-Borjans und Esken verschärft die Lage der Sozialdemokraten, sagt der Ex-Bundestagspräsident. Er fürchtet den Totalabsturz seiner Partei.

Der langjährige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse fürchtet unter der neuen SPD-Führung einen Totalabsturz seiner Partei: „Eine Partei, die nicht lernt, eigene Regierungs-Leistungen auch zu loben, sondern durch ein Klima der Unzufriedenheit, der Verdächtigungen und des Hasses geprägt ist, wird keine Zukunft haben“, sagte Thierse dem Tagesspiegel. Da sei es völlig egal, wer an ihrer Spitze stehe.

Angesichts der Verwerfungen in der SPD hält Thierse eine CDU/CSU-Minderheitsregierung unter Führung von Kanzlerin Angela Merkel für eine realistische Option. Denn der Haushalt 2020 sei beschlossen. Merkel werde dann mit der deutschen EU-Ratspräsidentschaft ab Mitte 2020 die „Königin Europas sein und die SPD kann nur noch meckern und mosern“.

Die aktuelle Entwicklung der SPD birgt die Chance einer echten Erneuerung, personell und programmatisch. Vielleicht führt sie kurzfristig zu weiteren Stimmenverlusten, sie wird aber perspektivisch neue Wähler gewinnen, die die SPD um ihres neuen, modernen, sozialen Gesellschaftsmodells willen wählen.

schreibt NutzerIn Gophi

Die Wahl von Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken werde das ganze Dilemma der SPD und ihre Haltung zur großen Koalition verschärfen, meinte Thierse. Die Logik der Personalentscheidung wäre der Ausstieg aus der Koalition, denn beide hätten mit dessen Erwartung den Mitgliederentscheid gewonnen, erklärte Thierse.

Sie seien aber innerparteilich dafür wiederum gar nicht legitimiert, da beim Mitgliedervotum über den Eintritt in die Koalition mit rund 70 Prozent die Wahlbeteiligung höher war als nun bei der Entscheidung über den Vorsitz – und mit 66 Prozent sei auch die Zustimmung zur Koalition mit den Unionsparteien höher gewesen als jetzt bei der Vorsitzendenwahl. Esken und Walter-Borjans sind von nur rund 53 Prozent gewählt worden.

„Ein Nichtausstieg jetzt beschädigt aber die Glaubwürdigkeit von Esken/Borjans“, sagte Thierse. Ein Koalitionsausstieg dagegen gefährde wichtige Erfolge der SPD, „vor allem die Grundrente, ein Hauptprojekt der SPD, für das sie lange gekämpft hat“. Wer die Koalition jetzt sprenge, werde bei der nächsten Wahl wohl dafür bestraft: „Sieger wird mit Sicherheit nicht die SPD sein, sondern vor allem die AfD und die Grünen.“

Der 76-jährige Thierse war Teil der Bürgerrechtsbewegung in der DDR und war von 1998 bis 2005 Präsident des Deutschen Bundestages.

Juso-Chef Kevin Kühnert warnte seine Partei nun vor einem vorschnellen Ausstieg. „Wer eine Koalition verlässt, gibt einen Teil der Kontrolle aus der Hand, das ist doch eine ganz nüchterne Feststellung“, sagte er der Düsseldorfer „Rheinischen Post“. Das sollten die SPD-Delegierten des Parteitags am Wochenende in Berlin berücksichtigen, wenn sie über ihre Anforderungen an die Koalition beschließen. „Nicht weil sie Angst bekommen sollen, sondern weil Entscheidungen vom Ende her durchdacht werden müssen“, erklärte Kühnert, der sich auf dem Parteitag für den Vizevorsitz bewirbt.

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