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Politik: Kleine Siedlung, großer Ärger

Die Räumung jüdischer Häuser im Westjordanland führt zu einer Eskalation mit Hunderten von Verletzten

Was bei der Räumung aller Siedlungen im Gazastreifen im vergangenen Sommer weitgehend vermieden wurde, ereignete sich nun in Amona, einem illegalen Außenposten der Siedlung Ofra bei Ramallah. Fanatische Jungsiedler lieferten sich mit Polizei und Grenzwacht heftige Kämpfe, die von uniformierter Seite gar als Krieg bezeichnet wurden. Alle neun von Gerichten zur Räumung freigegebenen Wohnhäuser wurden innerhalb weniger Stunden zerstört.

2000 bis 3000 Kinder und Jugendliche, meist im Alter zwischen 13 und 18 Jahren und aus anderen Siedlungen herbeigeeilt, bewarfen die 2800 Uniformierten mit Steinen, Felsbrocken, Bausteinen, Farbbeuteln, Autoreifen, Sandsäcken und anderem mehr. Die Polizisten, wie schon bei der Räumung im Gazastreifen unbewaffnet, setzten diesmal zuerst ihre Reitertruppen, danach Wasserwerfer, aber auch ihre Schlagstöcke ein.

Insgesamt wurden über 250 Personen verletzt. Über 60 Polizisten und Grenzwächter mussten in die Krankenhäuser von Jerusalem transportiert werden. Unter ihnen ist ein Grenzwächter, der durch einen Baustein am Kopf schwer verletzt wurde und in Lebensgefahr schwebt. Die Polizei, die 1400 ihrer Leute vor Ort in Reserve hielt, wandte diesmal eine andere Taktik an als im August im Gusch-Katif-Siedlungsblock. Damals ließen sich die Polizisten und Soldaten reaktionslos von den aufgebrachten Siedlern beschimpfen und verfluchen. Diesmal schlugen die Uniformierten nach den ersten Steinwürfen zurück, woraufhin die Jugendlichen sie als Verräter und Nazis beschimpften. Auf Videoaufnahmen will die Polizei die schlimmsten Aggressoren ausfindig machen und danach festnehmen. Vor Ort wurden nur rund zwei Dutzend Rädelsführer verhaftet.

Die offizielle Siedlerführung hatte noch in der Nacht zum Mittwoch ein letztes Mal mittels einer Eingabe an das oberste Gericht versucht, die Räumung zu verhindern – erfolglos. Wie immer schon bei Konfrontationen erklärte sich die Siedlerführung außerstande, ihren Nachwuchs zu mäßigen. Ausgelöst hatte die Räumungsaktion die „Peace now“-Bewegung. Amona wurde von Regierung, Siedlern und Friedensaktivisten zum Präzedenzfall erhoben. Der schnell gewachsene Außenposten war 1995 ohne amtliche Bewilligungen und außerdem auf palästinensischem Privatland errichtet worden. Die israelische Regierung hatte sich mehrfach – unter anderem an der Scharm-al-Scheich-Konferenz – insbesondere gegenüber den USA verpflichtet, alle illegalen Siedlungsaußenposten zu räumen. Doch monatelang geschah nichts, dann war plötzlich nur von der Räumung von rund zwei Dutzend meist unbewohnter Außenposten die Rede. Und als ein paar wenige tatsächlich zerstört wurden, errichtete die „Hügel-Jugend“ – der Siedlernachwuchs – für jeden zerstörten zwei neue.

Vor genau einem Jahr reichte Talia Sasson, eine der höchsten Beamtinnen in der Generalstaatsanwaltschaft, Ministerpräsident Ariel Scharon den von ihm bestellten Bericht über die illegalen Siedlungsaktivitäten ein. Sasson zählte nicht weniger als 105 illegale Siedlungsaußenposten auf, exakt so viele, wie die „Peace now“-Bewegung ausgemacht hatte.

Scharon, der in früheren Jahren als eigentlicher Siedlungspatron galt, und der auch noch die Amona-Siedler ermuntert hatte, erklärte sich entschlossen, alle illegalen Außenposten zu räumen. Seither dürften zwischen einem und zwei Dutzend weitere dazugekommen, bisherige ausgebaut und etliche Wohncontainer bezogen worden sein.

Doch erst die Vorstöße der „Peace now“ und die entsprechenden Gerichtsurteile veranlassten Scharons Stellvertreter Ehud Olmert zu seinem entschlossenen Vorgehen. Noch vergangene Woche hatten Regierung und Armeeführung kurz vor der geplanten Räumung des von Siedlern besetzten ehemaligen Großmarktes in Hebron einem Kompromissvorschlag der Siedler zugestimmt. Doch nun, in Amona, lehnte Olmert gleich mehrere solcher Vorschläge ab und erteilte den Räumungs- und Zerstörungsbefehl.

Allerdings: Über weitere konkrete Räumungsbefehle verlor er bisher kein Wort. Zumindest bis zu den Wahlen Ende März rechnen die militanten Siedler mit Ruhe – und wollen weitere Außenposten errichten.

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