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Am 80. Verhandlungstag im NSU-Prozess sprach Beate Zschäpe erstmals mit dem Richter.

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Update

Kleine Sensation im NSU-Prozess: Beate Zschäpe spricht erstmals mit Richter

Am späten Nachmittag gab es eine kleine Überraschung im NSU-Prozess – Beate Zschäpe äußerte sich erstmals selbst, allerdings nicht zur Sache. Zuvor wurde der Ex-Verfassungsschützer Andreas T. vernommen, der über den Mord an Halit Yozgat scheinbar mehr weiß, als er sagen möchte.

Von Frank Jansen

Es war der späte Nachmittag, die Befragung des ehemaligen Verfassungsschützers Andreas T. zog sich am Mittwoch bereits mehr als drei Stunden hin, da gab eine kleine Überraschung im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München. Beate Zschäpe äußerte sich erstmals selbst, wenn auch nicht zur Sache und nur kurz. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl hatte gesehen, dass die Hauptangeklagte  angesichts der zähen Vernehmung von Andreas T. offenbar müde wurde und dass Anwalt Wolfgang Heer, einer der drei Verteidiger, gerade nicht links neben ihr saß. Die Flanke zum Podest der  Richter war offen und Götzl überrumpelte Zschäpe mit einer Frage. Ob sie noch folgen könne, wollte Götzl wissen,  „Sie schließen gerade die Augen?“

Zschäpe antwortete erstmals in den 80 Verhandlungstagen

Zschäpe antwortete direkt, erstmals in den 80 Verhandlungstagen seit Beginn des Prozesses im Mai 2013. Was sie sagte, war auf der Tribüne der Journalisten nicht zu verstehen, aber es löste Erstaunen aus. Bislang hatte Zschäpe eisern geschwiegen. Götzl war mehrmals mit dem Versuch gescheitert, die Frau in ein Gespräch zu ziehen. Regelmäßig antworteten die Verteidiger für Zschäpe. Dass die Angeklagte demnächst mehr sagen und sich vielleicht sogar zu den Tatvorwürfen äußern wird, ist allerdings nicht zu erwarten.

Ansonsten erschien auch an diesem Verhandlungstag das Verhalten des ehemaligen Verfassungsschützers Andreas T. bei und nach dem NSU-Mord in Kassel am Deutschtürken Halit Yozgat weiter dubios. Zunächst wurde am Mittwoch wurde im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München das Protokoll eines von der Polizei überwachten Telefonats von Andreas T. vom Mai 2006 bekannt, siebeneinhalb Wochen nach der Tat. Aus dem Gespräch ergibt sich der Verdacht, der damalige Mitarbeiter des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz habe seiner eigenen Behörde mehr berichtet als den zum Mord ermittelnden Polizisten.

In dem Telefonat wird Andreas T. von dem Kollegen, den er angerufen hat, dafür gelobt, dass er sich gegenüber dem Direktor des Landesamts nicht „so restriktiv wie bei der Polizei“ verhalten habe. Andreas T. hatte den Ermittlern gesagt, er habe den Mord nicht bemerkt. So äußerte sich T. auch als Zeuge im Prozess.

Das Protokoll des abgehörten Telefonats stellte die Bundesanwaltschaft am Mittwoch den Prozessparteien zur Verfügung, nachdem die Anwälte der Familie des Mordopfers Yozgat am Vormittag einen entsprechenden Antrag gestellt hatten. Ein Anwalt hatte am Montag das Protokoll bei der Einsicht in Akten der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe entdeckt, bekam aber keine Kopie. Er durfte nur, was er kritisiert, handschriftliche Notizen machen. Ein Richter des 6. Strafsenats verlas nun das zweiseitige Dokument.

Was verschweigt Andreas T.

Die NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hatten am 6. April 2006 Halit Yozgat in dem von ihm betriebenen Internetcafé in Kassel erschossen. Zuvor, möglicherweise auch während der Tat saß Andreas T. hinten im Lokal an einem Computer. Der Verfassungsschützer war der einzige mutmaßliche Tatzeuge, der sich danach nicht bei der Polizei meldete. Die ermittelte ihn jedoch und es wurde ein Verfahren gegen Andreas T. eingeleitet, er geriet in Tatverdacht. Die Staatsanwaltschaft Kassel fand aber keine Hinweise auf eine Beteiligung an dem Mord und stellte die Ermittlungen ein. Allerdings bleibt der Verdacht, der inzwischen aus dem Verfassungsschutz ausgeschiedene Andreas T. habe die Tat  mitbekommen, weigere sich aber, das zuzugeben.

Die Version von T. bezweifelt offenbar auch der 6. Strafsenat. Im Oktober und im Dezember hat der Vorsitzende Richter Manfred Götzl den Zeugen hartnäckig befragt. Auch mehrere Anwälte nahmen Andreas T. in die Mangel. Der Ex-Verfassungsschützer berichtete jedes Mal, er habe im Internetcafé am Computer gesessen, habe dann bezahlen und das Lokal verlassen wollen, aber Yozgat nicht im Vorraum gesehen. Andreas T. sagte, er habe 50 Cent auf den Tresen gelegt und sei gegangen. Richter Götzl sieht jedoch weiter Fragebedarf und lud den Zeugen für einen weiteren Auftritt an diesem Mittwoch. Doch bevor T. auftreten konnte, hatten die Anwälte der Familie Yozgat  den Antrag zur Verlesung des Protokolls der Telefonüberwachung gestellt. Verlangt wird auch, dass der von Andreas T. angerufene Verfassungsschützer und der frühere Direktor des hessischen Landesamtes als Zeugen geladen werden. Die Anwälte vermuten, der Verfassungsschutz übe weiterhin Einfluss auf den früheren Mitarbeiter aus.

Dass T. den Mord nicht sah, erscheint anhand seiner eigenen Aussagen zweifelhaft

Der Strafsenat entschied aber, Andreas T. zu hören, ohne eine Aussage der zwei Verfassungsschützer abzuwarten. Andreas T. konnte dann am Nachmittag, wie schon bei den vorherigen Aussagen, nicht viel Konkretes sagen. An das Telefonat, das die Polizei mitgeschnitten hatte, konnte oder wollte er sich nicht erinnern.

Dass Andreas T. den Mord nicht bemerkt hat, erscheint schon anhand seiner eigenen Aussage zweifelhaft. Womöglich hat er zumindest den erschossenen Halit Yozgat am Boden  liegen gesehen. Der einstige Verfassungsschützer ist 1,91 Meter groß und legte die 50 Cent auf den Tresen, der nicht höher war als ein Schreibtisch. Dahinter lag vermutlich schon der von Mundlos und Böhnhardt erschossene Yozgat in seinem Blut.

Andreas T. hatte im Internetcafé am Computer als „wildman 70“ in einem Flirtforum gechattet.  Zuhause saß seine schwangere Frau. Das könnte ein Motiv gewesen sein, sich nach dem Mord nicht bei der Polizei zu melden. Außerdem wollte der Verfassungsschutz nicht, dass Andreas T. sich in einem Internetcafé herumtrieb, weil der Beamte dort auf von ihm geführte Spitzel hätte treffen können.

Jedenfalls bleibt T. nun schon seit fast acht Jahren bei der Version, er habe die Bluttat nicht bemerkt. Einige Nebenklage-Anwälte im NSU-Prozess schließen aber auch nicht aus, der damalige Verfassungsschützer könnte in den Mordanschlag verwickelt gewesen sein. Dieses Szenario hält die Bundesanwaltschaft jedoch für unrealistisch.

Kurz nach dem kurzen Plausch mit Zschäpe beendete Götzl dann den Verhandlungstag. Da die Nebenklage-Anwälte mit ihren Fragen noch nicht durch waren, soll Andreas T. ein viertes Mal geladen werden – vermutlich für einen Termin im März.

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