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Und einer gewinnt - so wie Benjamin Karl aus Österreich im Parallel-Riesenslalom des Snowboard-Wettbewerbs.

© dpa

Klare Verhältnisse statt Zweideutigkeit: Warum wir Olympia genießen - trotz allem

Beim simplen Prinzip sportlicher Wettkämpfe bleiben keine Fragen offen - welch Entlastung in dieser immer komplexeren Welt. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Ariane Bemmer

Nun laufen sie also, die vielleicht überflüssigsten Olympischen Spiele aller Zeiten. Spiele, die keine Menschen zusammenbringen, weil genau das aus Corona- Gründen unbedingt vermieden werden soll. Die als Veranstaltung in China gegen sportliche Werte stehen, die mit Fairness zu tun hätten, was im Zusammenhang mit dem (nicht nur die) Uiguren unterdrückenden Staatsapparat schwerlich festzustellen ist. Die mit den Schnee- und Eissportarten in knochentrockener Region umwelt- und klimatechnisch eine Katastrophe sind. Und die zudem die Athletinnen und Athleten als Gewissensträger und politische Individuen übergehen, die ihren Schweiß und ihre Arbeit in den Dienst einer zwischen dem Olympischen Komitee IOC und China ausgemachten Imageshow stellen müssen.

So weit, so schlecht, so vielfach beklagt. Dennoch wird zugeschaut und berichtet, was in den olympischen Arenen so geboten wird. Warum eigentlich? Ambiguitätsintoleranz könnte Teil der Antwort sein: der Unwille, auf Dauer Vieldeutigkeit zu ertragen. Das simple Prinzip sportlicher Wettkämpfe ist bestens geeignet, Abhilfe zu schaffen: In allen Disziplinen ist jemand so lange besser als die anderen, bis er am Ende die Goldmedaille bekommt. Da bleiben keine Fragen offen (außer der nach Doping, weshalb die auch so nervt).

[Lesen Sie hier mehr im aktuellen Olympia-Blog.]

Der Religionswissenschaftler Thomas Bauer sieht in Ambiguitätsintoleranz ein Problem moderner Gesellschaften. Ausgelöst durch Bürokratisierung, Technisierung und das kapitalistische Modell sei Eindeutigkeit immer wichtiger geworden. Klare Prozesse, klare Regeln, ja oder nein, links ankreuzen oder rechts.

Ambiguität, Unentschiedenheit, Mehrdeutigkeiten halten nur auf

Das schafft Geschwindigkeit, die ihrerseits wieder Eindeutigkeit verlangt. Ambiguität, Unentschiedenheit, Mehrdeutigkeiten halten da nur auf, weshalb sie von den Menschen gern vermieden werden. Als profanes, aber passendes Beispiel nimmt Bauer in dem Essay „Die Vereindeutigung der Welt“ (2018) die deutsche Begeisterung für Krimis, die fast immer mit einem gelösten Fall enden.

[Lesen Sie mehr bei Tagesspiegel Plus - Uigurischer Fackelträger von Peking 2008: "Der olympische Geist ist bedeutungslos geworden"]

Man kann damit – jenseits des Promistatus – auch erklären, warum Novak Djokovic so viel Interesse hervorrief. In dem konfusen Corona-Informationswust, mit dem die Menschen es inzwischen zu tun haben, war der Zoff um die Einreise des Tennisspielers nach Australien eine vergleichsweise übersichtliche Sache und eine Gelegenheit, mal eindeutig Position zu ziehen. Auch die Lust, mit der vor einigen Jahren gestritten wurde, ob es möglich sei, sich mit Hartz-IV-Mitteln gesund zu ernähren, könnte so gespeist gewesen sein. Die komplexe Materie der Sozialgesetzgebung schrumpfte in dem Streit auf Essenspläne und Würstchenpreise zusammen, und dazu konnten und wollten sehr viele etwas sagen. Vom Zulauf für die Populisten ganz zu schweigen, die das Fehlen von Ambiguitätstoleranz für ihre politischen Ziele zu nutzen wissen.

Aber Vereindeutigen ist als großes Vereinfachungsmanöver für den Umgang mit einer immer komplexeren Welt nicht wirklich geeignet. Es gab bereits die Idee, Ambiguitätstoleranz in der Schule zu unterrichten. Und damit in dem Fach dann nicht das IOC Klassenbester wird, sollte man da auch lernen, wo das Aushalten von Widersprüchen Grenzen hat. Bei Menschenrechtsverletzungen etwa oder dem Mundtotmachen von Kritikern.

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