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Videoüberwachung im Wohnviertel Mjølnerparken in Kopenhagen (Archiv).

© Theresa Münch/dpa

Kita-Pflicht, härte Strafen, Zwangsumsiedlungen: Dänemark klassifiziert 28 Stadtviertel als Ghettos

Die dänische Regierung klassifiziert nicht um ersten Mal einige Stadtviertel als Ghettos. Strenge Maßnahmen sollen Parallelgesellschaften entgegenwirken.

Anfang 2019 ist es in Kraft getreten – das sogenannte „Ghetto-Gesetz“ der dänischen Regierung. Danach werden bestimmte Wohnviertel im Land als Ghettos klassifiziert und landen auf einer als „Ghettoliste“ bekannten Aufzählung des Wohnungsbauministeriums in Kopenhagen. Die „Süddeutschen Zeitung“ zitiert die dänische Regierung, dass die Liste dazu diene, entstehende Parallelgesellschaften zu identifizieren und bestehende bis spätestens zum Jahr 2030 aufzulösen. Betroffen sind vor allem muslimisch geprägte, ärmere Stadtviertel, in denen viele Migranten leben.

Um als „Ghetto“ klassifiziert zu werden, muss ein Stadtviertel drei von fünf Kriterien, die das Ghetto-Gesetz definiert, erfüllen. Dazu gehören:

  • Mehr als die Hälfte der Einwohner sind Zuwanderer aus nichtwestlichen Ländern
  • Die Arbeitslosigkeit übersteigt 40 Prozent
  • Mehr als 60 Prozent der Erwachsenen haben nur die Grundschule absolviert
  • Das Durchschnittseinkommen liegt bei weniger als 55 Prozent der gesamten Region
  • Die Zahl der verurteilten Straftäter übersteigt das Dreifache des nationalen Durchschnitts

Für die Menschen, die in derart klassifizierten Vierteln leben, hat dies direkte Konsequenzen: So gibt es für Kinder aus den entsprechenden Stadtvierteln eine Kita-Pflicht. Die „Ghetto-Kinder“ werden laut „Süddeutscher Zeitung“ mindestens 25 Stunden pro Woche von ihren Eltern getrennt. Sie erhalten Unterricht im Dänischen, lernen aber auch nicht näher umrissene „dänische Werte und Traditionen“. Wer seine Kinder zuhause behält, dem werden die Sozialleistungen gekürzt. Fehlen Kinder mehr als 15 Prozent der Unterrichtszeit, soll die Kommune das Kindergeld streichen. Diese Maßnahmen sind für Menschen, die außerhalb der designierten Ghetto-Bezirke leben, nicht gültig. Wie tagesschau.de berichtet, können in den Ghetto-Bezirken Diebstahl und Vandalismus doppelt so hart bestraft werden. Viele Hilfsorganisationen lehnen den Begriff „Ghetto“ zur Bezeichnung der Wohnviertel ab.

Steht ein Viertel zudem fünf Jahre in Folge auf der Ghetto-Liste, so will das Gesetz, dass Sozialwohnungsblocks abgerissen werden und die Bewohner neue Wohnungen erhalten. Kritiker sprechen hier von Zwangsumsiedlungen, denn viele Bewohner fühlen sich in ihren Vierteln wohl und leben bereits sehr lange dort. Dänische Zeitungen schätzen, dass es sich um 11.000 Personen aus derzeit 28 Ghetto-Stadtbezirken handelt, die umgesiedelt werden sollen.

Die dänischen Sozialdemokraten hatten 2018 noch als Opposition gegen den „Ghetto-Plan“ abgestimmt, übernahmen ihn aber mit ihrem Wahlsieg im Juni 2019. Der dänische Wohnungsbauminister Kaare Dybvad hatte im Sommer dieses Jahres erklärt, er wolle den historisch belasteten Begriff „Ghetto“ nicht mehr verwenden, allerdings tauche dieser laut „Süddeutscher Zeitung“ immer noch auf der Webseite seines Ministeriums auf.

Die dänische Migrationspolitik hat sich unter der Mitte-Rechts-Regierung und dem Einfluss der rechtsnationalen Dänischen Volkspartei verschärft, wird aber von fast allen Parteien mitgetragen. Die Regierung versuchte schon häufiger, Parallelgesellschaften aufzulösen und den Druck auf Bewohner in migrantischen Vierteln zu erhöhen. Im Dezemeber 2018 stand laut tagesschau.de zudem die Idee im Raum, straffällig gewordene Ausländer auf der unbewohnten dänischen Insel Lindholm unterzubringen. Diese wurde einst für die Erforschung von Tierseuchen genutzt. (Tsp)

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