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In Deutschland starben 2013 insgesamt 153 Kinder durch Misshandlungen.

© dpa

Kinderschutz: In der sensiblen Zone

Es ist schwer erträglich und beschämend, dass 2013 in Deutschland 153 Kinder durch Misshandlungen starben. Neue Gesetze werden daran nichts ändern. Hilfe darf nicht wie Bevormundung aussehen. Nicht einmal wie Hilfe. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Kai Müller

Keine Debatte wird in diesem Land so emotional geführt wie die über den Kinderschutz. Tatsächlich ist es für eine so reiche und gut organisierte Nation wie Deutschland schwer erträglich und beschämend, dass im vergangenen Jahr 153 Kinder sterben mussten, weil sie misshandelt worden waren. Seit Jahren ist diese Zahl alarmierend hoch.

Wenn es ein Zeichen für gesellschaftliche Verwahrlosung gibt, dann ist es, Kinder umzubringen, sie zu verprügeln, zu schütteln, auf den Boden zu werfen oder schlicht verhungern zu lassen. Denn Kinder wachsen immer im Schutz der Gemeinschaft auf. Und die muss sich fragen, was schiefläuft, wenn sowohl die erfassten Gewaltdelikte gegen Kinder als auch die häusliche Gewalt insgesamt trotz enormer finanzieller Aufwendungen des Staates und einer wachsenden Sensibilisierung der Bevölkerung zunehmen. Versagt das System? Oder tun Menschen in diesem System nur einfach nicht das, was nötig wäre, um Fälle wie den Tod Zoes in Berlin-Weißensee, Yagmurs und Chantals in Hamburg zu verhindern?

Da sind die Jugendämter und Einzelfallhelfer belogen worden, da sind Versprechen gemacht und immer wieder gebrochen worden, und sicher: Wie oft sind die Familienbetreuer zu arglos mit den Ausreden der Erziehungspersonen umgegangen, wie leichtfertig haben sie die unheilvollen Dinge auf sich beruhen lassen. Überforderung auf allen Seiten, zuweilen sogar Kalkül. Das Outsourcing der Hilfe an freie Träger der Sozialindustrie lässt diese vor allem an eine Fortsetzung gewährter Leistungen denken.

Der Ruf nach besseren Jugendschutzgesetzen und einheitlichen Standards schafft jedoch nicht die Abhilfe, die man sich wünscht. Der Blick in diese Familiendramen offenbart die Grenzen der Hilfe. Um nicht zu sagen: des Menschenmöglichen. Es ist schwierig, das anzuerkennen und nicht zu resignieren.

Freiwillige in Problemfamilien!

Durch die Ausweitung der Befugnisse von Kinderärzten, die die Verletzungen und Misshandlungsmale an ihren kleinen Patienten am ehesten entdecken, würden Grenzen verschoben, aber durchlässiger wären sie nicht. Am Ende kommt es doch auf die Bereitschaft der Familien zur Zusammenarbeit an. Man kann nicht anhelfen gegen die Überzeugung der Betroffenen, deren Privatsphäre durch das Grundgesetz geschützt wird und die von sich selbst meinen, sie würden doch alles richtig machen – das mit dem Kleinen sei jetzt nur eben einfach blöd gelaufen … Da die Elterntäter oft selbst schon als Kinder in ein Versorgungssystem geraten sind, wissen sie sehr genau auf die Erwartungen der Betreuer zu reagieren, die sich bietenden Spielräume aufzuspüren.

Wie ankommen gegen die instinktive Ablehnung von Hilfe durch diejenigen, denen sie guttäte? Das ist die Frage, die Jugendarbeiter und Sozialhelfer umtreibt. Es heißt immer: Bildung, man müsse in Bildung investieren. Dabei geht es bei den in ihrer Überlastung und Ratlosigkeit bis zum Äußersten gehenden Eltern um etwas viel Einfacheres: Empathie. Da Erwachsene mit einer Jugendhilfe- und Sozialamtsbiografie zuweilen selbst in den ersten drei Lebensjahren nicht erfahren haben, was Mitgefühl ist, weil auf ihre Bedürfnisse nie eingegangen wurde, können sie später von dieser Erfahrung nicht zehren. Umso mehr in einer staatlichen Abhängigkeit, in der man dann noch als Erwachsener ständig hören muss, dass man sich an diesen oder jenen Bescheid zu halten habe.

Deshalb kann Jugendschutz nur in einem Klima gelingen, in dem Hilfe nicht wie Bevormundung aussieht, nicht einmal wie Hilfe. Schon die Beantragung von Leistungen wie beim Leyen’schen Bildungs- und Teilhabepaket ist vielen zu kompliziert und nervig. Auch die Möglichkeit einer Familienassistenz wird viel seltener ergriffen, als wünschenswert wäre; Patenschaften – eine Seltenheit.

Und doch lohnt es sich darüber nachzudenken, ob Freiwillige im Rahmen eines Sozialjahres in Problemfamilien „entsandt“ werden könnten. Die sensible Zone des Allzuprivaten könnte in solchen Helfern Botschafter des Kindeswohls finden, wenn erst einmal eine zwischenmenschliche Ebene aufgebaut ist.

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