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Pro-Russische Soldaten auf Patrouille im zerstörten Süden der ukrainischen Hafenstadt Mariupol.

© Alexander Ermochenko

Kiew wirft Moskau Vernichtung von Zivilisten vor: Die dürftigen Belege für den Kriegseinsatz mobiler Krematorien

Die Vorwürfe der Ukraine sind schaurig. Beweise für die Vertuschung von Kriegsverbrechen sind aber rar. Die Existenz der Lkw ist indes belegt. Eine Spurensuche.

Straßen voller Leichen in entwürdigendem Zustand: Es ist erst wenige Tage her, dass die ersten erschütternden Bilder aus Butscha auftauchten. Seither gilt der Ort nahe Kiew als Synonym für Kriegsverbrechen in der Ukraine, verübt durch russische Truppen.

Seit Mitte der Woche gibt es einen neuen schaurigen Verdacht: In der Stadt Mariupol soll die russische Armee mobile Krematorien zur Vernichtung ziviler Leichen einsetzen. Dazu werden Parallelen zur NS-Zeit gezogen. Es scheint, als erreiche das Grauen des Krieges eine weitere Dimension.

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Der Bürgermeister von Mariupol, Wadym Bojtschenko, bezichtigte Russland am Mittwoch, Kriegsverbrechen in den Transportern vertuschen zu wollen. „Das ist ein neues Auschwitz und Majdanek“, sagte er in Anspielung auf die Massenvernichtungslager der Nazis. Seit Beginn des Ukraine-Krieges wird die strategisch bedeutsame Hafenstadt im Südosten des Landes von der russischen Armee belagert.

Ähnlich wie Bojtschenko, jedoch ohne explizit die Lkw zu erwähnen, äußerte sich darauf der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und sprach von „Säuberungen“. Auch die Menschenrechtsbeauftragte des ukrainischen Parlaments, Ljudmyla Denissowa, berichtete von „mobilen Verbrennungsöfen“ und „Zerkleinerungsgeräten“ im russischen Aufgebot.

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Und es dauerte nicht lange, bis erste Bilder in den Umlauf gerieten. Die ukrainische Parlamentsabgeordnete Inna Sowsun etwa postete auf Twitter ein Satellitenbild, das besagte Sattelzüge in einem zerstörten Viertel von Mariupol zeigen soll. Dazu schrieb sie, dass russische Truppen „die Leichen von Zivilisten verbrennen“ und dazu „mobile Krematorien“ einsetzen würden.

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Hauptmotive von Beiträgen auf Twitter und Co. sind allerdings Fotos und Videos, die einen Krematoriums-Lkw aus verschiedenen Perspektiven zeigen. So verwendete auch Ex-Box-Weltmeister Wladimir Klitschko, dessen Bruder Vitali Bürgermeister von Kiew ist, ein entsprechendes Foto in einem Twitter-Beitrag. Dieses zeigt einen dunkelgrauen Sattelzug, auf dessen geöffneter Ladefläche eine ebenfalls geöffnete dunkle Röhre - wohl die Verbrennungsanlage - zu sehen ist. Zwar behauptet Klitschko nicht, dass es sich um ein aktuelles Bild handle, doch der Eindruck wird nahegelegt.

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Allein, eindeutig beleg- und unabhängig überprüfbar sind die jüngsten Anschuldigungen vorerst nicht. Und die Bilder, so sehr sie auch zum ins sich abzeichnenden Gesamtbild der russischen Kriegsführung passen mögen, vermitteln ohne Einordnung den Eindruck, als seien sie weitere Beweismittel oder zumindest Indizien für Gräueltaten auf dem Boden der Ukraine.

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Hierauf verweist auch Patrick Gensing, Leiter des Tagesschau-Portals „Faktenfinder“, auf Twitter. So seien die im Umlauf befindlichen Bilder mobiler Krematorien mehrere Jahre alt. Dazu postete er Screenshots aus Datenbanken, die das Alter der bekannten Fotos bis zurück ins Jahr 2015 datieren. „Deswegen müssen die Behauptungen nicht zwingend falsch sein; in den Medienberichten wird erwähnt, dass sie nicht aktuell sind. Aber bitte nicht die Bilder als Belege interpretieren“, erläutert Gensing.

Altes Werbevideo als Indiz für neue Gräueltaten?

Die Fotos der Sattelzüge sind also mehrere Jahre alt. Dies gilt auch für ein Video, auf das sich zunächst das britische Verteidigungsministerium in einem Bericht berief und das dann der britische „Telegraph“ zu Kriegsbeginn im Zuge seiner Berichterstattung über die russische Invasion aufgriff. Darin wird die automatische Funktionsweise des mobilen Krematoriums demonstriert, auch ein Mann ist zu sehen, der einen Sack in die Verbrennungsanlage befördert.

Allerdings ist dieses Video noch älter als die nun weltweit bekannten Fotos: Der Film wurde bereits im Jahr 2013 produziert und ist heute noch auf Youtube auffindbar. Dabei handelt es sich um einen Werbeclip des Unternehmens Zao Turmalin, wie die „New York Post“ zuerst berichtete. Die Sankt-Petersburger Firma ist auf die thermische Vernichtung und Entsorgung von physikalischen und biologischen Abfällen spezialisiert. Die Registrierungsurkunde hat laut Firmenwebsite am 16. Juni 1993 Waldimir Putin unterzeichnet.

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Die Verbindung des Unternehmens zum Namen Putin im Zusammenhang mit Kriegsaktivitäten besteht nicht erst seit der Ukraine-Invasion. Schon 2015, ein Jahr nach der Annexion der Krim und während der Eroberung von Donbass-Gebieten durch pro-russische Separatisten behauptete der damalige Leiter des ukrainischen Inlandsgeheimdienstes SBU, Walentyn Nalywajtschenko, dass sieben mobile Krematorien aus Russland in die besetzten Gebiete gefahren seien.

In deutschen Sicherheitskreisen bestätigt man die Existenz der mobilen Krematorien im nun stattfindenden Ukraine-Krieg. Schon in den Tschetschenien-Kriegen in den 90er Jahren sollen sie zum Einsatz gekommen sein. Hintergrund waren damals logistische Gedanken. Die Kosten und der Aufwand, gefallene Soldaten tausende Kilometer durch Russland zu transportieren, wären enorm. Zur Beseitigung der Zivilbevölkerung wurden sie damals nicht genutzt. Auch in diesem Krieg sehen deutsche Sicherheitskreise bislang keine Anzeichen dafür.

Ähnliche Anschuldigungen hatte 2015 auch der US-Republikaner Mac Thornberry gegenüber der Nachrichtenseite Bloomberg in seiner Funktion als damaliger Vorsitzender des Streitkräfteausschusses im Repräsentantenhaus geäußert. Der gemeinsame Vorwurf: Russland unter Präsident Putin nutzt die mobilen Krematorien, um die Leichen seiner Soldaten zu verbrennen – und um Beweise für eine aktive Beteiligung an den separatistischen Kämpfen zu tilgen.

Kreml räumt mittlerweile „bedeutende Verluste“ ein

Das wiederum führt zurück in die ebenfalls düstere Gegenwart. Hier stehen nun die Vorwürfe im Raum, die russischen Truppen begingen Kriegsverbrechen in der Ukraine und versuchten, zivile Opfer in mobilen Krematorien verschwinden zu lassen. Doch insbesondere mit Blick auf die verstörenden Bilder aus Butscha sähen Zweifel an der ukrainischen Darstellung, die Transporter dienten vornehmlich dazu, zivile Leichen zu verbrennen. Vielmehr gilt als wahrscheinlich, dass das russische Militär eigene gefallene Angehörige zu vertuschen. Eindeutig beweisen lassen sich jedoch auch diese beiden Annahmen vorerst nicht.

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Zudem bezog sich der britische Verteidigungsminister Ben Wallace in einem Interview mit dem „Telegraph“ zu Kriegsbeginn weniger auf Vergehen an Zivilisten als vielmehr auf das Binnenklima im russischen Militär. „Wenn ich ein Soldat wäre und wüsste, dass meine Generäle so wenig Vertrauen in mich haben, dass sie mir mit einem mobilen Krematorium über das Schlachtfeld folgen (…) und meine Regierung denkt, dass ein mobiles Krematorium das Mittel ist, um Verluste zu vertuschen, wäre ich zutiefst besorgt“, sagte er.

Mittlerweile hat die russische Führung „bedeutende Verluste“ im Ukraine-Krieg eingeräumt. „Es ist eine sehr ernste Operation mit schwerwiegenden Folgen“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Donnerstag, ohne aber konkrete Zahlen zu nennen. Zuvor hatte die Regierung von 1351 getöteten Soldaten gesprochen, internationalen Schätzungen zufolge liegt die Zahl bei 19.000. Zu den Krematoriums-Vorwürfen jedoch schweigt sie.

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