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Holger Stahlknecht, Innenminister von Sachsen-Anhalt, und Ministerpräsident Reiner Haseloff (beide CDU)

© Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Update

Kenia-Koalition in Sachsen-Anhalt: So droht das „Bollwerk gegen Rechts“ zu zerbrechen

Die CDU Sachsen-Anhalt unterstützt ein Mitglied mit rechtsextremer Vergangenheit. Dahinter stecken ein interner Machtkampf und die Erosion nach Rechtsaußen.

Mai, 2018. Im Landtag in Magdeburg wird über eine Kommission gegen Linksextremismus debattiert, auf Antrag der AfD. Fünf CDU-Abgeordnete stimmen letztlich gemeinsam mit der Rechtsaußenpartei dafür. Die Bundeskanzlerin kritisiert ihre Parteifreunde in Sachsen-Anhalt damals deutlich, die Koalitionspartner von der SPD und Grünen sind irritiert.

Es ist zumindest für eine breite Öffentlichkeit der Anfang eines anhaltenden Rechtsdralls des CDU-Landesverbandes. Seinen vorläufigen Höhepunkt fand der am Wochenende. Im ganzen Land rieben sich CDU-Mitglieder die Augen. Was ist los in Sachsen-Anhalt? Der CDU Landesverband hatte die dortige Kenia-Koalition in Frage gestellt.

Zuvor hatten die sachsen-anhaltischen Grünen gefordert, einen mutmaßlichen Neonazi aus der Partei zu schmeißen. Ohne Entschuldigung, hieß es von der CDU, sei eine Fortführung der Koalition kaum denkbar. Obwohl die Parteispitzen am Sonntag aufeinander zu gingen, beharrte die CDU-Fraktion auch am Montag noch auf eine offizielle Entschuldigung des Bündnispartners.

Wer die Absurdität dieses Vorgangs durchdringen will, muss sich die Vita des CDU-Funktionärs Robert Möritz anschauen: 2011 nahm er als Ordner an einer Neonazi-Demonstration teil. Er ist Mitglied des umstrittenen Vereins „Uniter“, ein konspiratives Netzwerk rechtsgesinnter Soldaten. Zwar hat Möritz nun unter Druck seinen Austritt verkündet – laut Vereins-Satzung geht das aber gar nicht so schnell.

Auf Facebook teilte er Beiträge einer sachsen-anhaltischen Rechtsrock-Band – und löschte nun schnell alles. Auf dem Arm hat er die Schwarze Sonne tätowiert, eine Kombination mehrerer Hakenkreuze. Erkennungszeichen deutscher Rechtsextremisten. Er erklärte seinem Kreisverband, sich losgesagt zu haben – glaubhaft erscheint das außerhalb der CDU den Wenigsten.

Warum stellt die Partei für so jemanden ausgerechnet jene Koalition in Frage, die 2016 als „Bollwerk gegen Rechts“ gestartet war, als erstes Kenia-Bündnis überhaupt?

CDU-Sachsen Anhalt gilt intern als „Chaoshaufen“

Die CDU im Land ist seitdem tief gespalten. Sie gilt auch parteiintern als „Chaoshaufen“. Während sich der müde wirkende Ministerpräsident Rainer Haseloff aus Parteiangelegenheiten zurückzieht, fällt es seinem designierten Nachfolger Holger Stahlknecht schwer, die Partei zusammenzuhalten. Er ist Innenminister und Parteivorsitzender, galt lange als neuer starker Mann. Ihm macht seit einiger Zeit vor allem der deutsch-nationale Flügel zu schaffen, der heftig mit der AfD flirtet.

Ein Blick zurück zeigt, wie Teile der Landes-CDU schon seit Monaten nach Rechtsaußen diffundieren – und die Bundespartei immer häufiger zum Eingreifen zwingen. Die fünf Abgeordneten, die mit der AfD stimmten, waren nur ein Vorgeschmack. Ende 2018 sagte der CDU-Kulturstaatssekretär auf einem Weihnachtsempfang: „Ich bin stolz Deutscher zu sein.“ Und: Er sei froh, dass man das wieder offen sagen könnte. Das irritierte nicht nur die Koalitionspartner.

Im Juni 2019 schrieb Stahlknechts Landesverband erneut Schlagzeilen. Die stellvertretenden CDU-Fraktionschefs Ulrich Thomas und Lars-Jörn Zimmer veröffentlichten eine „Denkschrift“, in der sie wörtlich schrieben: „Es muss wieder gelingen, das Soziale mit dem Nationalen zu versöhnen.“ Außerdem solle man, laut Ulrich Thomas, Bündnisse mit der AfD „nicht ausschließen“. Stahlknecht warnte damals davor, die CDU „nach rechts zu verrücken“, wieder schaltete sich Berlin ein.

Es war ein kalkulierter Tabu-Bruch. Konsequenzen für die beiden hochrangigen CDU-Funktionäre? Keine. Seitdem hat sich das Machtverhältnis in der CDU-Fraktion weiter verschoben. Stahlknecht ist geschwächt durch Ermittlungspannen nach dem rechtsextremistischen Anschlag in Halle, hat einen Ermittlungsausschuss am Hals – was, so paradox das klingt, die Rechtsaußen in seiner Fraktion stärkt.

Stahlknecht hat sich mit undurchdachten Aktionen selbst geschwächt

Stahlknecht versucht seitdem mit allen Mitteln, den rechten Flügel seiner Partei einzuhegen. Auch deshalb wollte er Ende November den umstrittenen Polizeigewerkschafter Rainer Wendt als Innen-Staatssekretär durchdrücken. Über die heikle Personale hatte Stahlknecht weder seine eigene Fraktion, noch die Koalitionspartner informiert.

Kopflos, hieß in der Magdeburger Staatskanzlei, agiere der Innenminister. Erst nach scharfer Kritik rückte Stahlknecht von seiner Entscheidung ab. Koalition gerettet, Instinkt verloren. Der CDU-Landesvorsitzende stellte daraufhin die Vertrauensfrage und kam mit zwei dunkelblauen Augen davon: Die geheime Abstimmung ging mit 16 zu 13 für ihn aus. Das knappe Ergebnis zeigte, wie sehr sich die Kräfteverhältnisse nach rechts verschoben hatten. Das Zünglein an der Waage ist nun der sogenannte „konservative Kreis“.

Symbolbild: Auf dem T-Shirts dieses Rechtsextremisten ist die "Schwarze Sonne" abgebildet. Er trägt es bei einer Demonstration im brandenburgischen Wittstock an der Dosse.
Symbolbild: Auf dem T-Shirts dieses Rechtsextremisten ist die "Schwarze Sonne" abgebildet. Er trägt es bei einer Demonstration im brandenburgischen Wittstock an der Dosse.

© imago images / Christian Ditsch

Die Gruppe, die sich erst 2017 gegründet hatte, setzte auf einem Landesparteitag kürzlich durch, dass die CDU eine Minderheitsregierung mit Tolerierung der AfD künftig nicht ausschließt. Noch steht die Gruppe hinter Stahlknecht, heißt es. Ändert sich das, dürfte Stahlknecht sich nicht halten können.

Bezeichnend: Nach Informationen des Tagesspiegel gehört der mutmaßliche Neonazi Robert Möritz jenem konservativen Kreis an – ebenso der Vorsitzende des Kreisverbandes Anhalt-Bitterfeld, der über Möritz' Verbleib in der Partei entschied. Ein weiteres Mitglied des konservativen Kreises soll nach Informationen des „Spiegel“ Mitglied im Soldaten-Verein Uniter sein.

Das Verlangen nach einer Minderheitsregierung

Der schwer angeschlagene Stahlknecht steckt in einem Dilemma: Geht er zu hart gegen die rechten Umtriebe in der Landes-CDU vor, wird er abgesägt. Die Kenia-Koalition wäre Geschichte und der Weg frei für eine Minderheitsregierung seiner Partei unter Akzeptanz der AfD. Macht er weiter damit, die Rechtsaußen mit Personal-Entscheidungen wie für Rainer Wendt und undurchdachten Eskalationen wie am Wochenende einhegen zu wollen, verprellt er seine Koalitionspartner endgültig. In beiden Fällen könnten die Rechtsaußen jubeln.

Am Sonnabend erklärte etwa der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU, Ulrich Thomas, er unterstütze die Einberufung eines Sonderparteitages. Thomas profiliert sich immer stärker als Stahlknechts größter Gegenspieler. Auch die rechtskonservative Werte-Union in Sachsen-Anhalt sprach sich am Wochenende wenig überraschend für einen Ausstieg aus der Kenia-Koalition aus – und eine Minderheitsregierung.

Die sachsen-anhaltische AfD, die sich 2018 von dem selbst für die Werte-Union unerträglichen André Poggenburg trennte, bietet das immerhin seit Wochen an.

Sven Schulze, Generalsekretär der CDU Sachsen-Anhalt, hatte den Grünen gedroht, die Koalition zu sprengen, falls sie sich nicht entschuldigen.
Sven Schulze, Generalsekretär der CDU Sachsen-Anhalt, hatte den Grünen gedroht, die Koalition zu sprengen, falls sie sich nicht entschuldigen.

© Hendrik Schmidt/dpa

Für SPD und Grüne ist die Lage ähnlich schwierig, wie für die CDUler um Stahlknecht. Bei den Grünen fragt man sich inzwischen, inwieweit die Koalition mit der rechtsoffenen Landes-CDU noch mit den Werten der Partei vereinbar ist. Teile der SPD wollen ebenfalls lieber heute als morgen die Koalition verlassen.

So ist auch zu erklären, dass der Landesvorsitzende Burkhard Lischka am Wochenende ohne große Not twitterte: Auch die SPD werde die Koalition in Frage stellen, wenn die CDU ins „politische Absurdistan“ marschieren wolle.

Eine rot-rot-grüne Mehrheit ist nicht in Sicht

Das strategische Problem: Die Parteien stehen bei sechs (Grüne) beziehungsweise 14 Prozent (SPD), ihr politischer Einfluss ist gering. Für ein rot-rot-grünes Bündnis mit den Linken reicht es in Sachsen-Anhalt schon lange nicht mehr. Kündigten sie also das (ohnehin zerbröselnde) „Bollwerk gegen Rechts“ vorzeitig auf, würde ein Schreckgespenst Realität: die in Teilen rechtsextremistische AfD käme erstmals in einem Bundesland an die Macht.

Es wäre ein Dammbruch, dessen Folgen kaum absehbar wären – auch bundespolitisch. Die Kenia-Koalition in Sachsen-Anhalt sollte Vorbild sein für die anderen in Sachsen und Brandenburg geschmiedeten Dreier-Bündnisse. Es war nie eine Liebesheirat, das hört man seit Beginn der Koalition. Die Stimmung ist schon länger eisig, einige Abgeordnete grüßen sich nicht einmal mehr, gemeinsame Groß-Projekte fehlen.

Parteichef und Holger Stahlknecht (r) geht vor einer Sondersitzung der CDU-Landtagsfraktion am Abgeordneten Ulrich Thomas (l) vorbei. Er ist sein härtester Konkurrent.
Parteichef und Holger Stahlknecht (r) geht vor einer Sondersitzung der CDU-Landtagsfraktion am Abgeordneten Ulrich Thomas (l) vorbei. Er ist sein härtester Konkurrent.

© dpa

Scheitert das Bündnis nun am Rechtsdrall der CDU, könnte das einen Domino-Effekt in anderen Ost-Bundesländern auslösen. Der Nimbus des Bollwerks gegen Rechts wäre wohl Geschichte.

Am kommenden Donnerstag hat die Landes-CDU zum Krisentreffen in Magdeburg gebeten, auch die sachsen-anhaltischen CDU-Provinzfürsten sind geladen. Bei den Koalitionspartnern geht die Sorge um, dass sich der Wind längst gedreht und Stahlknecht seine Mehrheit verloren hat, das Bündnis fortzuführen.

Eine starke CDU-Bundesvorsitzende könnte ein Zeichen setzen. Allein, es blieb zunächst aus. In der Bundes-CDU verwies man darauf, dass diese Angelegenheit in die Zuständigkeit der Landesverbände fiele. Annegret Kramp-Karrenbauer twitterte am Montag, als viele von ihr ein klares Wort erwarteten, den „Saarland Weihnachtssong 2019“.

Bundespartei meldet sich: „Nazis haben keinen Platz in der CDU“

Erst am Montagabend wurde ein Schreiben der Bundes-CDU bekannt. "Nazis haben keinen Platz in der @CDU", schrieb Bundesgeschäftsführer Stefan Hennewig am Montag in einer SMS an alle Landesverbände, die dem Tagesspiegel vorliegt. Alle in der CDU hätten die Pflicht sicherzustellen, "dass totalitäres Denken in unseren Reihen ausgeschlossen ist".

Allerdings müsse jeder Einzelfall genau und am Besten vor Ort geprüft werden. Wenn sich jemand zum Bruch mit dieser Szene entscheide, verdiene er Unterstützung auf diesem Weg, betonte Hennewig.

Möritz war von seinem Kreisvorstand Anhalt-Bitterfeld bescheinigt worden, dass er sich "glaubwürdig" von seiner Neonazi-Gesinnung abgewandt habe. Bundesgeschäftsführer Hennewig wies ausdrücklich darauf hin, dass "Fehleinschätzungen" vorkommen könnten, "die dann schnell und unnachgiebig zu Konsequenzen führen müssten".  (mit bib)

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