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Bootsflüchtlinge im Mittelmeer.

© Javier Fergo/AP/dpa

Keine zusätzlichen Flüchtlinge für Berlin: Seehofers Argumente sind keine faulen Ausreden

Der Senat ignoriert mit seinen Plänen zur zusätzlichen Aufnahme von Flüchtlingen das EU-Recht und die übrigen Bundesländer. Ein Kommentar.

Es soll Menschen geben, die sind immer die Guten. Wer ihre Meinung nicht teilt, hat bestimmt keine guten Argumente und verfolgt im Zweifel böse Absichten. So sind, sofern man den forschen Darstellungen folgt, die Rollen verteilt im Streit zwischen dem Berliner Senat, der 300 Migranten aus griechischen Flüchtlingslagern aufnehmen möchte, und Bundesinnenminister Horst Seehofer, der die Zustimmung verweigert.

Kritiker nennen Seehofers Argumente faule Ausreden

Deutschland hat ohnehin beschlossen, 243 Kinder, die eine bessere medizinische Betreuung benötigen, samt ihren Angehörigen aufzunehmen, zusammen rund tausend Menschen. Wer kann schon etwas dagegen haben, wenn Länder wie Berlin oder Thüringen noch ein bisschen mehr helfen wollen?

Die Argumente, die Seehofer dagegen anführt, sind für die Kritiker nur faule Ausreden. Er sagt, er müsse die Bundeseinheitlichkeit wahren, sei an EU-Vorgaben im Abkommen von Dublin gebunden, fürchte negative Folgen für das Bemühen um eine gemeinsame europäische Asyl- und Aufnahmepolitik, und er wolle nationale Alleingänge Deutschlands vermeiden, ganz besonders während der deutschen Ratspräsidentschaft in der EU.

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Ist das wirklich alles Kokolores? Die Aufnahme der 243 Kinder samt Angehörigen ist eine europäische Aktion, an der sich andere EU-Staaten beteiligen. Der deutsche Anteil stützt sich zudem auf einen Beschluss der Innenministerkonferenz. Beides gilt für die darüber hinaus gehenden Pläne Berlins und Thüringens nicht.

Keine Alleingänge unter deutschem EU-Vorsitz

Berlin erwartet von Seehofer, dass die Menschen, die es aus den griechischen Lagern aufnehmen will, ein Aufenthaltsrecht bekommen, obwohl sie noch kein Asylverfahren nach den Dublin-Regeln durchlaufen haben. Berlin hat auch nicht die Zustimmung der übrigen Länderinnenminister. Wer weiß, ob die Migranten, die es im Alleingang aufnehmen möchte, in Berlin bleiben und nicht demnächst in andere Bundesländer gehen?

Würde Seehofer mittun, könnten die ihm einen Vertrag mit Berlin zu Lasten Dritter vorwerfen.

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Was Berlin von Seehofer verlangt, ignoriert die Rechtslage in der EU und die Europapolitik unter deutschem Vorsitz. Die Bundesregierung bemüht sich gerade um kleine Fortschritte in der gemeinsamen Asyl- und Migrationspolitik.

Und sie fürchtet Rückschläge, wenn nun ausgerechnet wieder die Deutschen aus dem Bisschen, was da an gemeinsamem Regelwerk und politischem Willen vorhanden ist, ausscheren. So wie während der großen Migrationswelle 2015, in der Deutschland die EU spaltete und sich mit seinem Alleingang am Ende isolierte.

Fantasien von der überlegenen deutschen Moral

Nicht alles, was gut gemeint ist – hier: Solidarität mit Griechenland, das mit der Situation in den Lagern und der Abarbeitung der Asylverfahren tatsächlich überfordert erscheint –, wirkt im Ergebnis hilfreich. Schon gar nicht, wenn die Tonlage bei den europäischen Partnern als neue Variante deutscher Überlegenheitsfantasien ankommt.

Griechen sind angeblich unfähig, Lager dort sind „die Hölle“. Italiener haben kein Herz, weil sie Flüchtlingsschiffe nicht bedingungslos einlaufen lassen. Die übrigen Europäer sind unsolidarisch, weil sie die Last mit Deutschland, das 2015 großherzig aufnahm, nicht teilen. Für einige Nachbarn klingt das wie eine neue Strophe von „Deutschland, Deutschland über alles“ – eine Strophe, in der die Deutschen die Einzigen sind, die Moral haben und wissen, wie man’s richtig macht.

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